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DREI DEUTSCHE MINORITENPREDIGER
AUS DEM XIII. UND XIV. JAHRHUNDERT.
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DREI
DEUTSCHE MlNOßlTENPREDIGEß
AUS DEM XIII. UND XIY. JAHRHUNDERT.
VON
ADOLPH FRANZ.
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FREIBURG IM BREISGAU.
HERDERSCHE VERLAGSHANDLUNG.
1907.
BEELIN, KARLSRUHE, MÜNCHEN, STRASSBURG, WIEN UND ST LOUIS, MO.
ST.,e©«AViINTURE LIBRARY
5T. BONAVENTURE, N.Y.
Fnndscana
Frudsctn institutf
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Imprimatur.
Friburgi Brisgoviae, die 16 Octobris 1906.
4: Thomas, Archiepps.
Alle Rechte vorbehalten.
Buchdruckerei der Herd ersehen Verlagshandluug in Freibürg.
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OCT 2 ? 1999
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SEINER EMINENZ
DEM HOCHWÜRDIGSTEN HERRN
HERRN GEORG KARDINAL KOPP
FÜRSTBISCHOF VON BRESLAU
ZUR FEIER SEINES
FÜNFUNDZWANZIGJÄHRIGEN BISCHOFSJUBILÄUMS
IN TREUER VEREHRUNG
ZUGEEIGNET.
Vorwort.
Die Geschichte der Predigt im" deutschen Mittelalter hat in den
letzten beiden Dezennien erfreuliche Bereicherungen erfahren. Ich
erinnere nur an die verdienstlichen Bücher Cruels und Linsenmayers
und an die wertvollen Arbeiten Schönbachs. Des letzteren Verdienste
um die Kenntnis der mittelalterlichen Predigt sind allgemein aner-
kannt. Nichtsdestoweniger bedarf die mittelalterliche lateinische Pre-
digtliteratur Deutschlands noch dringend der Einzelforschung. Der
bei weitem größere Teil derselben ruht noch ungedruckt und meist
ungekannt in den Bibliotheken. Haben doch selbst die lateinischen
Predigten des großen und oft behandelten Minoritenpredigers Bertold
von Regensburg bis jetzt noch keinen Herausgeber gefunden. Darum
ist es freudig zu begrüßen, daß Schönbach endlich die Veröffentlichung
dieser Predigten ankündigt und sich bereit erklärt, diese Ehrenpflicht
der deutschen Nation gegen einen ihrer bedeutendsten Söhne zu erfüllen.
Vor, neben und nach Bertold haben auch andere tüchtige Pre-
diger die Literatur bereichert. Ihre Arbeiten sind meist unbekannt.
Es wäre eine schöne und dankenswerte Aufgabe für die deutschen
und österreichischen Theologen, all diese Schätze zu heben, zu sichten
und für die geschichtliche Forschung bereit zu stellen. Berufen dazu
sind vor allen die Regularen der österreichischen Klöster,
deren Bibliotheken eine außerordentlich große Anzahl von handschrift-
lichen Predigtwerken enthalten; nicht minder aber auch die bay-
rischen Theologen, welchen in der königlichen Hof- und Staats-
bibliothek zu München die mittelalterliche Predigtliteratur der alten
bayrischen Klöster in fast lückenloser Vollständigkeit zur Verfügung
steht. Da liegt ein weites Gebiet ertragreicher, freilich auch mühe-
yijl Vorwort.
voller Forschung vor. Erst wenn diese geleistet sein wird, wird man
eine vollständige Geschichte der Predigt im deutschen Mittelalter
schreiben können.
Bei dieser Sachlage muß jeder auf Quellenforschung beruhende
Beitrag zur mittelalterlichen Predigtgeschichte willkommen sein. Ich
erhoffe das auch von meinem Buche, welches einen Ausschnitt aus
der Predigergeschichte des Minoritenordens bietet. Es verdankt seine
Entstehung den Anregungen, die mir die ebenso gründlichen wie geist-
vollen Arbeiten Schönbachs gaben, und glijcklichen Zufälligkeiten, die
bei wissenschaftlichen Studien auch eine Rolle spielen. In einer hand-
schriftlichen Predigtsammlung, welche Schönbach behandelt hat, finden
sich die Namen der von mir bearbeiteten drei Prediger als Quellen
genannt. Ihre Werke blieben Schönbach unbekannt. Ich fand sie
bei meinen Forschungen über die mittelalterliche Liturgie und ent-
schloß mich, sie eingehender zu prüfen. Die Ergebnisse dieser Prü-
fung lege ich nunmehr in meinem Buche vor.
Ich bin glücklich, mein Buch aus Anlaß eines Freudenfestes einem
Kirchen fürsten widmen zu dürfen, in welchem ich nicht nur meinen
Bischof verehre, sondern auch den verständnisvollen und opfer-
willigen Förderer der Wissenschaft dankbar bewundere. Es ist
hier nicht die Stelle, die Verdienste zu würdigen, welche sich der
hohe Jubilar in seinem fünfundzwanzigjährigen Wirken um Kirche und
Staat erworben hat — das muß anderem Orte und späterer Zeit vor-
behalten bleiben, — wohl aber drängen mich Pflichtgefühl und Herzens-
bedürfnis, hier der hochherzigen Förderung zu gedenken, welche die
Wissenschaft durch den bischöflichen Jubilar gefunden hat.
Weder die übergroße Last des Hirtenamtes noch die Mühen und
Arbeiten, welche die Vertretung der kirchlichen Interessen innerhalb
und außerhalb der Grenzen der Diözese auferlegen, können den Kirchen-
fürsten abhalten, der Entwicklung der wissenschaftlichen Literatur
mit regster Aufmerksamkeit zu folgen. Tief durchdrungen von der
Notwendigkeit einer gründlichen wissenschaftlichen Bildung des Klerus,
hat der Jubilar seit seinem Einzüge in die Kathedrale von Breslau
die Sorge für die Ausbildung des klerikalen Anwuchses
als eine der wichtigsten Pflichten seines hohen Amtes betrachtet. Das
bezeugen die Knabenkonvikte der Diözese, das theologische
Konvikt, die Reform der Studien- und Prüfungsordnung, die per-
Vorwort. IX
sönliche Teilnahme an den Prüfungen, die Gründung des Priester-
seminars in Weidenau und endlich die theologische Fakultät
in Breslau, deren blühender Stand seiner Fürsorge und seinem Ein-
flüsse zu verdanken ist.
In der Förderung der Diözesangeschichte erblickt er ein
wirksames Mittel, den wissenschaftlichen Sinn des Klerus zu beleben.
Darum ermöglichte er die Publikation einer Reihe bedeutsamer ge-
schichtlicher Werke und gründete das Diözesan-Archiv und das
Diözesan-Museum. Seine freigebige Hand reicht aber auch weit über
die Grenzen der Diözese hinaus: wie er zur Publikation der Papst-
urkunden eine große Summe spendete, so ist es seiner hochherzigen
Opferwilligkeit zu verdanken, daß Wilpert sein herrliches Kata-
kombenwerk herausgeben konnte. Gelehrte und Künstler verehren
in dem bischöflichen Jubilar ihren Wohltäter und Förderer. Es ist
wahrlich des Lobes nicht zu viel, wenn ich rühme, daß kein Fürst-
bischof von Breslau der wissenschaftlichen Bildung des Klerus und
der Wissenschaft überhaupt ein so reges, tatkräftiges und opferwilliges
Interesse entgegengebracht hat, als der Kirchenfürst, welcher gegen-
wärtig den altehrwürdigen bischöflichen Stuhl von Breslau ziert.
Darum darf die Wissenschaft den festlichen Tag nicht vor-
übergehen lassen, ohne dem hohen Jubilar ihren ehrfurchtsvollsten
Dank zu Füßen zu legen. Wenn nun auch meine bescheidene Fest-
gabe zunächst ein schwacher Ausdruck der innigen Verehrung ist,
welche mich mit meinem Bischöfe verbindet, so möchte ich sie doch
zugleich als ein kleines Zeichen des großen Dankes angesehen wissen,
welchen die Wissenschaft ihrem hochherzigen Förderer schuldet.
Möge Gott den Kirchenfürsten seiner Diözese, welche den Segen
seiner treuen Arbeit dankerfüllt empfindet, und der ganzen Kirche, in
deren Dienste er seinen weisen Rat und seine kräftige Tat gestellt
hat, noch viele Jahre erhalten!
München im Dezember 1906.
Der Verfasser.
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Inhalt.
Vorwort vii
Verzeichnis der wiederholt benutzten Bücher xin.
Abkürzungen zur Bezeichnung der benutzten Handschriften xvi.
Einleitung.
Die Büß- und Missionspredigt der Minoriten 1 — 2. Übergang zur scholastischen
Predigt 2. Antonius von Padua 3 — 4. Die scholastische Predigt bekämpft
von Roger Bacon 5.
I. Konrad von Sachsen.
Name, Ordensstellungen, Tod 9 — 11. Schriften Konrads 12. Die Sermones de tem-
pore, de Sanctis in den Handschriften und in Drucken 13 — 14. Konrads Stel-
lung zu der theologischen Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens 14 — 15.
Zahl der Sermones in den Handschriften und Drucken 16 — 17. Einleitende
Verse zu den Sermones de tempore 18. Perikopenordnung 19. Die Sermones
de Sanctis 20. Das Commune de Sanctis 21. Die Sermones ad religiosos et
praelatos 21. Das Quadragesimale 21 — 22. Predigtproben 22 — 24. Thema-
tische und emblematische Spruchpredigt 25. Konsonanzen in der Division des
Themas und deren Herkunft 26. Schriftkenntnis und patristische Belesenheit
27—28. Schulverse in der Predigt 29 — 31. Die Liturgie in der Predigt 32.
Gleichnisse aus der Natur 33. Disposition und Ausführung 34. Predigten für
Ordensgemeinden und Synodalreden 35. Kampf gegen kirchliche Mißstände :
Bereicherung der Verwandten aus Benefizien — Pluralität der Seelsorgsbene-
iizien - Moralische Schäden — Benelizienjagd 36. Klösterliche Armut 37. Ab-
laß 38. Verbreitung der Sermones, die Sermones de tempore als Vorlage vom
Schwarzwälder Prediger benutzt 40 — 46.
II. Die Predigten des Frater Ludovicus.
Die beiden Leipziger Handschriften 719 und 639 49 — 51. Benutzung der Sermones
de tempore in CGraec. 730 52. Andere Predigten des CLP 719. Abfassungs-
zeit 53 — 54. Frater Ludovicus ein deutscher, vielleicht sächsischer Minorit 55.
Charakter der Predigten 56. Predigtproben 56—57. Hilfsmittel 58. Denk-
verse 59.
XII Inhalt.
1. Welt und Kirche: Perioden der Geschichte der Kirche. Verfall der Sitten,
Deutung von Dn 8, 3 ff und Apc 6, 3 60 — 61. Das Schwert der Verfolgung
und der Versuchung 62 — 63. Mittelalterliche Geschichtsbetrachtung: Otto von
Freising; Joachim von Fiore; Bertold von Regensburg; Frater Ludovicus 64 — 66.
Die Bedrängnissfe der Kirche nach Bertold und Frater Ludovicus 67 — 69.
2. Der Antichrist und das Gericht: Mittelalterliche Eschatologie 70. Ber-
told über den Antichristen 71 — 74. Arnald von Villanova 75. Frater Ludo-
vicus über den Antichristen 75 — 80.
3. Die Häresien und die teuflische Verführung: Bertold und Ludo-
vicus über die Ketzer 80 — 82. Dämonen 82. Der Teufel als Spielmann 83 — 85,
als Schlange 86.
4. Die einzelnen Stände in der Predigt: Soldaten, Kaufleute, Bauern,
Handwerker, Arme, Ordensleute 86—90. Die Stände vor dem Gerichte 91 — 92
Ehe und Eheleute 93.
5. Die Messe 94—96.
Bertold und Ludovicus 97. Typologie 98. Nikolaus von Bibra darüber 98.
Charakteristik der Predigt über die einzelnen Stände 90 — 103.
III. Die Predigten des Greculus.
Der Handschriftenbestand 107 — 110. Name der Predigtsammlung und des Ver-
fassers 111 — 112. Abfassungszeit 113. Greculus ein deutscher Minorit 114.
Die Sonn- und Festtagspredigten 115. Predigtbeispiele 116—119. Die exempla
in der Predigt 120. Das Alphabetum narrationum 121. Die exempla in Deutsch-
land 122. Der ,Liber miraculorum' oder ,Lacteus liquor' 123. Vorschriften
über den Gebrauch der exempla 124 — 125.
Die exempla im Greculus: A. Zur heiligen Geschichte 126 — 127. B. Barm-
herzigkeit und Feindesliebe 127 — 128. C. Unbarmherzigkeit. Habsucht. Wucher
129. D. Sakramentsfrevel 130. E. Buße und Beicht 131. F. Die heilige Jung-
frau 132—133. G. Verschiedenes 134—137. H. Guter Tod 137. I. Himmels-
freuden 138. K. Der Teufel 139. L. Böser Tod 140—141. M. Die Hölle
142 — 144. Quellen der exempla 145.
Hilfsmittel des Greculus: Der Physiologus 146; Frater Konrad; Bertold von
Regensburg; Jakobus de Voragine; Peregrinus 147 — 149. Pseudo- Greculus
super epistolas 149 — 150. Kultur- und religionsgeschichtliche Stücke aus den
Predigten 151 — 156. Allgemeine Charakteristik der Predigten 157.
Register der zitierten Handschriften 158.
Personen- und Sachregister 159.
Verzeichnis der wiederholt benutzten Bücher.
Aualecta Franciscana. Tom. I IL Quaracchi 1885 ff.
Baconis Rogeri Fr. Opera hactenus inedita. Londini 1859.
Bertholds von Regensburg Deutsche Predigten, herausg. von Pfeiffer
und Strobl. 2 Bde. Wien 1862—1880.
Bibera Nicolaus de, Carmen satiricum , herausg. von Theob. Fischer in
Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 1870 I.
Bonaventurae Opera omnia. Tom. IX. Ed. Quaracchi 1901.
— Sermones. Paris 1521.
Caesari Heisterbacensis Dialogus miraculorum, ed. Strange. 2 tomi.
Coloniae 1851.
Chevalier Ul., Repertoire des sources historiques du moyen äge. Bio-Biblio-
graphie. 2 tomi. 2. ed. 1905 ff.
C 0 p i n g e r W. A. , Supplement to Hains Repertorium bibliographicum. 2 vols.
London 1895—1902.
Crane Th. F., The exempla or illustrative stories from the sermones vulgares of
Jacques de Vitry. London 1890. •
Cruel R, Geschichte der deutschen Predigt im Mittelalter. Detmold 1879.
Czerny Albin, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St Florian. Linz 1871.
Eysengrein Wilh. , Catalogus testium veritatis, Dilingae 1565.
Fabricius J. A., Bibliotheca latina mediae et infimae latinitatis. 6 tomi. FIo-
rentiae 1858.
— Codex apocryphus Novi Testament!. 2 tomi. Hamburgi 1719.
Felder, Geschichte der wissenschaftlichen Studien im Franziskanerorden bis um
die Mitte des 13. Jahrhunderts. Freiburg i. B. 1904.
Feret P., La faculte de theologie de Paris. Moyen äge. 4 vols. Paris 1894 — 1897.
Finke H., Aus den Tagen Bonifaz' VHL Münster i. W. 1902.
Fournier, Joachim de Flore, ses doctrines, son influence, in , Revue des questions
historiques' LXVII (1900).
Francisci Sancti Opera omnia. Paris 1641.
Franz Ad., Die Messe im deutschen Mittelalter. Freiburg i. B. 1902.
Gesta Romanorum, herausg. von Osterle y. Berlin 1872.
Grieshaber F. K., Deutsche Predigten des 13. Jahrhunderts. 2 Abt. Stuttgart
1844—1846.
Grimm Jak., Deutsche Rechtsaltertümer. 2 Bde. 4. Aufl. Leipzig 1899.
XIV Verzeichnis der wiederholt benutzten Bücher.
Handschriften-Verzeichnis der Cistercienserstifte der österreichisch-ungarischen Or-
densprovinz. 2 Bde. Wien 1891.
Histoire littöraire de la France. Paris 1865 ff.
Hübl A., Catalogus codicum manu scriptorum qui in bibliotheca monasterii B. M. V.
ad Scotos Vindobonae servantur. Vindobonae 1899.
Huck, Ubertin von Casale und dessen Ideenkreis. Freiburg i. B. 1903.
H u r t e r H, , Nomenciator literarius recentioris theologiae catholicae. Tom. IV.
Oeniponte 1899.
Jacob, Die lateinischen Reden des seligen Berthold von Regensburg. Regens-
burg 1880.
Jacobus de Voragine, Sermones de tempore etc. Lugduni 1499.
— Legenda aurea. Ed. Grässe. Vratislaviae 1890.
Joachimi abbatis Concordia veteris et novi testamenti. Venetiis 1519.
— Expositio in apocalypsin. Venetiis 1527.
Jöcher Ch. G. , Allgemeines Gelehrten-Lexikon. 4 Tle mit Adelungs Fort-
setzung. Leipzig 1750 ff.
Johannis Friburgensis Summa Confessoruro. S. 1. 1467.
Johannes Junior, Scala coeli. Lubec. 1476. (Hain *9405.)
Kampers Franz, Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage. München
1896.
Katalog der Handschriften der Königl. Bibliothek zu Bamberg. Bd. 1, Abt. 1, 4,
herausg. von Fischer. Bamberg 1904.
Kaufmann Alex., Cäsarius von Heisterbach. Köln 1862.
Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur , herausg. von Pfeiffer.
Stuttgart 1861.
Laudiert Fr., Geschichte des Physiologus. Straßburg 1889.
Lecoy de la Marche, Etienne de Bourbon. Anecdotes historiques, legendes et
apologues tires du recueil inedit d'Etienne de Bourbon. Paris 1877.
— La chaire fran9aise au moyen äge. Ed. 2. Paris 1886.
L e m p p E., Antonius von Padua, in der Zeitschrift für Kirchengeschichte XI — XIII
(1890—1892).
Lex er, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Leipzig 1872 — 1878.
Linsenmayer G., Geschichte der Predigt in Deutschland von Karl d. Gr. bis
zum Ausgang des 14. Jahrhunderts. München 1886.
Michael E. S. J., Geschichte des deutschen Volkes vom 13. Jahrhundert bis zum
Ausgang des Mittelalters. 4 Bde. Freiburg i. B. 1897—1906.
Meister A. , Fragmente der ,libri 8 miraculorum' des Cäsarius von Heisterbach.
Rom. 1901 (Rom. Quartalschrift, 13. Supplementheft).
Mussafia A. , Studien zu den mittelalterlichen Marienlegenden. 5 Hfte. Wien
1887—1891.
Norden E., Die antike Kunstprosa. 2 Bde. Leipzig 1898.
Peregrini, Sermones de tempore et de Sanctis. S. 1. 1493.
Peters E. , Der griechische Physiologus und seine orientalischen Übersetzungen.
Berlin 1889.
Petrus de Alva, Militia immaculatae conceptionis Virginis Mariae contra ma-
litiam originalis infectionis peccati. Lovanii 1663.
— Plinii Secundi Naturalis historia rec. Detlefsen. 2 voll. Berolini 1866.
Potthast Aug., Regesta Pontificum. 3 tomi. Berolini 1875 f.
■mr^:
Verzeichnis der wiederholt benutzten Bücher. XV
Rudolfius Petrus, Historiarum Seraphicae religionis libri 3. Venetiis 1586.
Salimbene Adam de, Fr. Parraensis Ordinis Minorum chronica, ed. Bertani
in ,Monuraenta historica ad provincias Parmensem et Placentinam'. Tom. IL
Parmae 1857.
Sbaralea, Bullarium Franciscanum. Romae 1759 ff.
— Supplementum ad scriptores trium ordinum s. Francisci a Waddingo descriptos.
2 tomi. Romae 1806.
Schade 0., Altdeutsches Wörterbuch. 2 Bde. 2. Aufl. Halle a. S. 1872 1882.
Schmeller J. A., Bayerisches Wörterbuch, bearbeitet von Karl Frommann.
2 Bde. München 1872 1877.
Schmidlin Jos., Die Eschatologie Ottos von Freising. Innsbruck 1905.
— Die geschichtsphilosophische und kirchenpolitische Weltanschauung Ottos von
Freising. Freiburg i. B. 1906.
Schönbach A. E., Altdeutsche Predigten. 3 Bde. Graz 1886—1891.
— Über eine Grazer Handschrift lateinisch-deutscher Predigten. Graz 1890.
— Die Reuner Relationen. Wien 1898.
— Miszellen aus Grazer Handschriften, zweite Reihe in den Mitteilungen des histo-
rischen Vereins für Steiermark XLVII (1899).
— Zeugnisse Bertholds von Regensburg zur Volkskunde. Wien 1900.
— Über Cäsarius von Heisterbach. I. Wien 1903.
— Das Wirken Bertholds gegen die Ketzer. Wien 1904.
— Die Überlieferung der Werke Bertholds von Regensburg. I IL Wien 1905 1906.
Schott, Die Gedanken des Abtes Joachim von Floris, in der Zeitschr. für Kirchen-
geschichte XXIII (1902),
Scriptores rerum Britanicarum. Londini 1858 ff.
Speculum exemplorum. Hagenau 1507.
— magnum exemplorum ed. Johannes Mayor. Coloniae Agrippinae 1672.
Thomae Cantimpratani Bonum universale de apibus. Duaci 1627.
Trithemius Joh. , De scriptoribus ecclesiasticis. Dilingae 1565.
Turrecremata Johannes de, Tractatus de veritate conceptionis beatissimae
Virginis pro facienda relatione coram patribus concilii Basileae a. Domini 1437
mense lulio. Oxonii et Londini 1869.
Vincentii Bellovacensis Speculum naturale, doctrinale, morale, historiale.
4 tomi. Duaci 1624.
Wadding, Annales Minorum. Romae 1733.
— Scriptores ordinis Minorum. Romae 1650.
Abkürzungen
zur Bezeichnung der benutzten Handschriften.
CBg.
CFl
CGraec.
CLb
CLinc.
Clm
CLP.
CPlg.
CPrag.
CSPH
CVP.
CVScot.
Codex Bambergensis : Königl. Bibliothek in Bamberg.
„ Florianus : Bibliothek des Chorherrenstiftes St Florian , Ober-
österreich.
„ Graecensis: Universitätsbibliothek in Graz.
„ Lambacensis : Bibliothek des Benediktinerstiftes Lambach.
„ Linciensis : Kaiserl. u. königl. Studienbibliothek in Linz a D.
„ lat. Monacensis : Königl. Staatsbibliothek in München.
„ Lipsiensis Paulinus : Universitätsbibliothek in Leipzig.
„ Plagensis: Bibliothek des Prämonstratenserstiftes Schlägl, Ober-
österreich.
„ Pragensis: Universitätsbibliothek in Prag.
„ Sancti Pauli Hospitalis : Bibliothek des Benediktinerstiftes St Paul
in Kärnten, aus Spital am Pyhrn stammend.
„ Vindobonensis Palatinus: Kaiserl. u. königl. Hofbibliothek in Wien.
„ Codex Vindobonensis Scotorum : Bibliothek des Schottenstiftes
in Wien.
Einleitung.
Der Orden der Minoriten sollte nach dem Willen seines Stifters, des
hl. Franz von Assisi, beschauliches Leben und praktisches Wirken
miteinander verbinden. Die Sicherung des eigenen Seelenheiles und
die Rettung der Seelen der Mitmenschen war seine Aufgabe. Nach
dem Beispiele des Heiligen mahnten darum seine Jünger das Volk in
Stadt und Land zur Buße und zur Nachfolge Christi. Diese Buß-
predigt war die erste Form der Predigt der Minderbrüder. Dazu
bedurften die Brüder, nachdem Papst Innozenz IIL das Werk des Hei-
ligen gebilligt und gesegnet hatte, keiner besondern Legitimation.
Die kunstlose Predigt der Minderbrüder machte den tiefsten Ein-
druck auf das Volk. Das Beispiel der Entsagung und Weltverachtung
und die aus der Tiefe religiöser Überzeugung und eigener Herzens-
erfahrung strömenden Bußreden rissen das Volk hin und sicherten der
Predigt bleibende Erfolge. Dieser Bußpredigt verdankte der junge
Orden seine überraschend schnelle Ausbreitung. Tausende von Laien
und Klerikern verließen die Welt, um sich den armen Brüdern des
hl. Franziskus anzuschließen.
Je größer die Zahl der Brüder aus allen Ständen wurde, um so
bedenklicher mußte es erscheinen, die Büß- und Wanderpredigt allen
ohne Ausnahme zu gestatten. Es stellte sich vielmehr als notwendig
heraus, die Befugnis zu predigen von der Erlaubnis der Oberen ab-
hängig zu machen. Überdies erfolgte durch die große Zahl von Geist-
lichen, die sich dem Orden anschlössen, allmählich die Umwandlung
der Bußexhorte in die eigentliche Predigt, die freilich auch noch
lange gemäß der Ordenstradition den Charakter der Bußpredigt bei-
behielt. Mit dem Jahre 1223, in welchem Papst Honorius HI. die
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. 1
2 Einleitung.
umgearbeitete Regel bestätigte, war dieser Prozeß zu Ende gelangt:
die allen gestattete Wanderpredigt war beseitigt; die Predigt ist
fortan nur auf Grund der Genehmigung der Oberen gestattete
Wenn auch die Minoritenpredigt nach dem Ausschluß der Laien-
brüder noch lange vorwiegend als Bußpredigt erscheint, so mußte sie
doch nach und nach die Form des schulgemäßen Kanzelvor-
trages annehmen. Die Ordensgeistlichen, welche das Predigtamt aus-
übten, waren entweder schon dafür vorgebildet oder fügten sich der
herrschenden Predigtmethode. Gerade damals fand aber der Übergang
der alten homiletischen Predigtweise in die scholastische
statt. Daß die letztere so rasch die alleinherrschende wurde, ist
wesentlich dem Einflüsse der beiden Orden des hl. Dominikus und des
hl. Franziskus zuzuschreiben, die in Bälde die Haupt Vertreter in die
Reihen der scholastischen Theologen der Pariser Universität stellten
und der Entwicklung der theologischen Wissenschaft für Jahrhunderte
die Bahnen wiesen.
Diese neue Predigtform setzte aber theologische Ausbildung voraus
und zwang zur Bestellung theologischer Lehrer, zur Einrichtung
des Lektorates im Orden. Dem ersten Ordenslektor, dem
hl. Antonius von Padua, der des Lektorates vom Jahre 1223
ab in Bologna waltete, folgten bald in andern Ordenshäusern — in
Deutschland zu Straßburg, Magdeburg, Hildesheim — Lektoren, deren
Aufgabe in der Einführung der jungen, befähigteren Brüder in die
Theologie und in deren Schulung für das Predigtamt bestand 2, Um
die Mitte des 13. Jahrhunderts finden wir das Ordenslektorat schon
in Blüte und die Predigtweise der Brüder schon völlig von der scho-
lastischen Methode beherrscht.
Die Predigt der Minoriten der älteren Zeit war M i s s i 0 n s-
predigt. Durch diese Missionspredigt hatte der hl. Antonius von
Padua in den Städten Frankreichs und Italiens, insbesondere in Padua,
^ Vgl. Felder 2 — 11 32 — 57; derselbe nimmt an, daß schon in den ersten
Jahren des Ordens eine doppelte Predigt bestand, die Wander predigt und die
kirchlich genehmigte eigentliche Predigt. Dagegen hält F. X. Sap-
pelt (Wissenschaft und Franziskanerorden, ihr Verhältnis im ersten Jahrzehnt des
letzteren, in Sdraleks Kirchengeschichtlichen Abhandlungen IV 149 — 179) diese
These für unbegründet und den Quellen nicht entsprechend. Wir können die
Kontroverse, in welcher wir auf Sappelts Seite stehen, hier nicht näher darlegen,
'' Vgl. Felder 135 ff 358 ff.
Die Missionspredigt. Lektorat. Antonius von Padua. 3
wunderbare Erfolge erzielt und einige Jahrzehnte später Bertold
von Regensburg das deutsche Volk zu neuem religiösen Leben
erweckt. Die Predigten, welche unter dem Namen des hl. Antonius
gedruckt vorliegen ^, lassen freilich weder seine hinreißende Bered-
samkeit noch seine widerspruchslos bezeugten Erfolge ahnen. Es sind
nur mangelhafte Nachschriften und lückenhafte Entwürfe 2; indessen
bilden sie immerhin eine beachtenswerte Quelle für die Geschichte der
Predigt im Minoritenorden.
In dem Sermo 4 de Apostolis redet der Heilige ausführlich über
den Stand der ,praedicatores'. Er findet denselben vorgebildet in den
Brüdern Josephs, die der alte Vater Jakob nach Ägypten sandte (Gn 42).
Nicht alle Brüder werden gesandt; Benjamin bleibt zurück, ,ne forte
in itinere accidat illi aliquid mali'. Benjamin versinnbildet die ,novitii
et contemplativi et qui non sunt idonei ad praedicandum*. Diese haben
die Pflicht, für die zum Predigtamt ausziehenden Brüder zu beten.
Die Brüder aber, welche nach Ägypten ziehen, sind die Prediger.
Die Brüder Josephs kommen nicht ohne Geld; für die Prediger be-
zeichnet das die fünf Talente (Mt 25, 15); diese sind: ein frommes
Leben, ausreichende Kenntnisse, Beredsamkeit, reifes Alter, körper-
liche Rüstigkeit^. Joseph läßt seinen heimziehenden Brüdern das
Geld in die Getreidesäcke zurücklegen. Das zeigt an, wie Gott die
in der Predigt verausgabten Kenntnisse vermehrt. Darum sei es
auch erlaubt , dieselbe Predigt , die bereits Früchte getragen,
anderwärts nochmals zu halten. Das sollen diejenigen bedenken,
welche immer neue Predigten halten wollen*. Der zurückbehaltene
Rüben bezeichnet die fleischlich gesinnten Prediger, die sich mit welt-
lichem Leben beflecken und- an Schmeicheleien Freude haben. Ernst-
lich tadelt er die Prediger, die sich in das Predigtamt eindrängen,
* Die Predigten des hl. Antonius stehen in Opera s. Francisci, Paris 1641,
97 — 463. Von der neuen von Locatelli besorgten Ausgabe der ,Sermones sancti
Antonii' (Pataviae 1895 ff) liegen erst zwei Faszikel vor.
2 Über die überlieferten Predigten des hl. Antonius vgl. Lempp in der Zeitschr.
f. Kirchengesch. XIII 29 ff.
3 Francisci Opera 423 424. ,Per fratres missos significantur idonei ad praedi-
candum, qui debent descendere in Aegyptum, sed non sine pecunia, quae signi-
ficatur per quinque talenta, quae servo negotiatori commisit Dominus, quae sunt:
religiosa vita, sufficiens scientia, sermonis eloquentia, aetas matura, fortitudo
corporis. . . .'
* Ebd.
1*
4 Einleitung.
die nur an Orten predigen wollen, wo man sie kennt, die nach Menschen-
lob verlangend Ein hohes Ideal hält der Heilige dem Minoriten-
prediger vor die Augen. Ausgestattet mit der notwendigen Wissen-
schaft, ausgezeichnet durch frommen Wandel, ein Vorbild i;i Wort
und Werk, soll der Prediger hingehen, wohin immer er gesandt wird 2.
Seine Predigt soll aus dem Worte Gottes kommen, nicht mit Fabeln
verunstaltet sein ^. Sie soll Demut atmen ; er soll nicht von der Er-
habenheit seines Ordens, nicht von der Menge der Brüder reden und
nicht deren Vollkommenheit, Wissenschaft und hohe Abkunft rühmen *.
Er soll sich frei halten von jeder Ruhmsucht, einzig bestrebt, das
Heil der Seelen zu fördern. Darum muß er eifrig im Beicht-
hören sein; denn wenn die Predigt Früchte bringt, so heimst
das Beichthören die Früchte ein^.
Darf man aus den gedruckten Predigten einen Schluß auf die
Predigtweise des großen Wundertäters von Padua ziehen, so läßt sich
aus denselben die Verbindung der älteren homiletischen mit
der neueren scholastischen Predigtform feststellen. Wir
finden unter den Predigten fortlaufende einfache Schrifterklärungen '^,
Homilien mit scholastischen Divisionen ^, Sermone, die ganz das Ge-
präge der scholastischen Predigt tragen^. In den Divisionen findet
sich bereits oft die Konsonanz der Glieder ^ die später als allgemeine
üegel galt, aber auch hart angefochten wurde.
^ Francisci Opera 424 ^ j^j^^j
^ Sermo 2 de Apostolis 421 : ,Item sonus campanae dum de aquis resultat
dulcior efficitur, sie cum de aquis sacrae scripturae praedicatio accipitur, non de
fabulis, dulcis est in auribus dei. . . . Quia praedicatio virtuosa est et magnifica,
quae de aquis sacrae scripturae elicitur.' Der Vergleich des Predigers mit der Glocke
wird noch vielseitig ausgeführt.
* Sermo 4 de Apostolis 424 : ,In quo superbia quorundani fratrum redarguitur,
qui coram saecularibus de ordiois dignitate, de fratrum multitudine, perfectione,
scientia et nobilitate se iactant et sie a spirituali fructu retrahuntur.'
* Ebd. : ,Fructum facit qui praedicando movet cor populi, sed fructum aifert
qui post praedicationem ad audiendas confessiones libenter sedet. . . . Praedicare
est Seminare, sed confessiones audire est fructum metere.'
« Francisci Opera 105 122. '' Ebd. 107 111 133 u. a.
8 Ebd. 157 281 u. a.
" Ebd. 137: ,Gratia divina tria habet facere in anima: culpam expiare, vitam
venovare, raentem confinnare.' 173: ,Gratia divina quemque facit hominem regnare
et vitiis dominari et [in] regnum dei vocare, quia: impenditur gratiose, ostenditur
operose, colligitur fructuose.' Vgl. noch 98 107 219 u. a.
Antonius von Padua. Scholastische Predigtform. 5
Unter dem Einflüsse der scholastischen Theologie war nämlich in
kurzer Zeit eine völlige Veränderung der Predigtweise eingetreten ^
Die einfache Homilie verschwand immer mehr; an deren Stelle trat
die scholastische Behandlung eines Predigtthemas, welches mit der
Perikope in irgend einer Verbindung stand oder in irgend eine Ver-
bindung künstlich gebracht wurde. Das Thema selbst wurde in Divi-
sionen und Subdivisionen mit vielem Aufwand von Schrift- und pro-
faner Gelehrsamkeit behandelt. Man fühlte wohl, daß diese Methode
einen Bruch mit der Vergangenheit bedeute ; indessen tröstete man
sich mit dem Gedanken, daß die neue Zeit neue Wege weise 2.
Die scholastische Methode wurde bald die herrschende ; die Oppo-
sition gegen die neue Richtung war nur vereinzelt und ohnmächtig.
Am schärfsten bekämpfte der englische Minorit Roger Bacon (f 1294)
die spitzfindigen Scholastiker auf der Kanzel. ,Der Zweck der Predigt
ist', schreibt er, ,die Bekehrung der Ungläubigen zum Glauben und
die Befestigung der Gläubigen im Glauben und in dem sittlichen Leben.'
,Sed quia utrumque modum', fährt er fort, ,vulgus (praedicatorum)
ignorat, ideo convertit se ad summam et infinitam curiositatem, scilicet
per divisiones Porphyrianas et per consonantias ineptas verborum
et clausularum et per concordantias vocales, in quibus est sola vanitas
verbosa omni carens ornatu rhetorico et virtute persuadendi.' ^ Die
Klagen des mit dem ganzen theologischen Schulwesen unzufriedenen
scharfen Kritikers sind in ihrer Allgemeinheit sicherlich übertrieben.
Es gab immer noch Prediger aus der neuen Schule, die trotz des
scholastischen Gewandes einen großen Einfluß auf das Volk ausübten.
Für Frankreich hat das Lecoy^ festgestellt, für Deutschland
bietet der große Regensburger Prediger Frater Bertold einen un-
widerleglichen Beweis gegen die pessimistischen Anschauungen des
englischen Kritikers s. Auch die nachfolgenden Blätter werden dar-
' Vgl. Cruel 279 jBf; Linsenmayer 369 ff ; Felder 353 ff.
2 Vgl. die Bemerkungen eines Traktates über die Predigt in Opera s. Bona-
venturae IX, introductio 6.
2 Opus tertium in Fr. Rogeri Bacon Opera inedita I 304 und die gleiche
Klage I 309. Siehe auch F e 1 d e r 354 ff.
* La chaire fran9aise au moyen äge 140 ff.
^ über die Predigt in Deutschland im 13. Jahrhundert vgl. Linsenmayer
317 ff, Cruel 279 ff und Michael 99 ff.
6 Einleitung.
tun, daß trotz der neuen Form der Predigt deutsche Minoriten es
verstanden, dem Volke die Heilswahrheiten wirkungsvoll nahe zu
bringen.
Die drei Prediger, welche wir vorführen werden, gehören dem
ersten Jahrhundert des Minoritenordens an; der erste der Mitte,
der zweite dem Ende des 13. und der dritte dem Beginne des 14. Jahr-
hunderts. In ihren Predigten wird sich ein lehrreiches Stück aus
der Geschichte der Predigt der Minoriten in Deutschland vor unsern
Blicken auftun. Wir werden diese Predigt in ihrem Aufsteigen und
in dem Beginne des Verfalles verfolgen können.
^
I.
Frater Konrad von Sachsen.
Zu den ältesten deutschen Minoriten, welche die Predigtliteratur be-
reichert haben, gehört der Frater Conradus de Saxonia. Seine
Predigten standen im 14. und 15. Jahrhundert in Deutschland in
großem Ansehen und wurden fleißig abgeschrieben und benutzt. Trotz-
dem schweigt der belesene Trithemius in seinem Buche ,De scriptoribus
ecclesiasticis' von dem Verfasser derselben. Das findet wohl seine
Erklärung in dem Umstände, daß dem gelehrten Sponheimer Abte
die Literatur des östlichen Deutschlands weniger bekannt war als die
des westlichen. Erst Wilhelm Eysengrein hat das Andenken an den
fleißigen Frater Conradus de Saxonia erneuert und ihm in seinem
jCatalogus testium veritatis' ^ ein literarisches Denkmal gesetzt. Etwa
20 Jahre später gedachte der italienische Minorit Petrus Rodulfius
in seiner Geschichte des seraphischen Ordens des sächsischen Minder-
bruders und seiner Schriften. Seine bibliographischen Notizen sind
genauer als die Eysengreins, wenn auch nicht fehlerfrei. Sie lauten^ :
,Fr. Conradus de Saxonia edidit super 4. sententiarum, super orationem
Dominicam librum unum, sermones de tempore librum unum, sermones
pro Quadragesima librum unum, cuius initium: „Emitte manum tuam
de alto" de Sanctis librum unum: „Extendam palmas meas"; in multos
bibliorum libros edidit commentaria.' Der Anfang des Quadragesi-
male ist unrichtig gegeben ; , Emitte' etc. ist der Beginn der Ser-
mones de tempore. Mit diesem Irrtume übernahm Wadding die Notizen
des Petrus Rodulfius und fügte nur noch die Schrift ,De salutatione
' Bl. 152: , Conradus de Saxonia ordinis Minorum, vir dissertissimus, theologus,
sacranim legum exercitatissimus, eloquentiae studiis legitime imbutus, quatuor libros
in sententias scripsit. Orationem Dominicam atque Angelicam Salutationem ex-
posuit. Biblica scripta fere omnia doctissimis commentariis illustrauit. Sermones
porro ad populum habitos plures posteritatis memoriae consecrauit.'
2 Lib. 3, p. 812.
10 I- Frater Konrad von Sachsen.
angelica' (Speculum beatae Mariae Virginis) hinzu ^ Diese bibliogra-
phischen Nachrichten benutzte Fabricius- und ergänzte unter Hinzu-
fügung einer biographischen Notiz Sbaralea^. Jöcher* kennt nur
die Angaben Waddings und Chevalier ^ — auch in der neuen Aus-
gabe — nur die Mitteilungen Sbaraleas. In neuester Zeit haben die
Herausgeber des , Speculum beatae Mariae Virginis' die für sie er-
reichbaren biographischen Notizen zusammengestellt^. Die Hand-
schriften nennen den Verfasser der bezeichneten Sermones de tem-
pore, de Sanctis, des Quadragesimale und des Speculum Conradus,
Conradinus , Chuonradinus , auch Conradlinus "^ , Frater Saxo , Chun-
radinus Saxo^, Saxo antiquus^. In einer Utrechter Handschrift wird
der Verfasser des Speculum , Conradus de Brunswick' genannt ^^.
Ein Konrad von Braunschweig, , Conradus de Brunopoli', wird in
der Chronica Fratris Nicolai Glaßberger^^ in der Zeit von 1245 bis 1279
wiederholt erwähnt. Der Minorit Glaßberger schrieb zwar seine
Chronica erst gegen das Ende des 15. Jahrhunderts, indessen ver-
dienen seine Angaben meist vollen Glauben, da er die Chroniken der
Ordensprovinzen, u. a. auch das ,Chronicon Saxoniae' benutzen konnte.
Nach jener Chronica war der Frater Conradus de Brunopoli
1247 Lektor der Theologie in Hildesheim. In dem Generalkapitel,
welches 1247 in Lyon gehalten wurde, erhielt der Minister Saxoniae,
Frater Gottfridus, die erbetene Entlassung, und der Frater Conradus
de Brunopoli wurde zum Vikar ernannt. Wenige Monate später, am
Feste Maria Geburt 1247, wurde der letztere von dem Provinzial-
^ Scriptores 93: ,. . . edidit Coramentarios in Magistrum Sententiarum lib. 4,
Super Orationem Dominicam 1. 1, De Salutatione Angelica 1. 1, Sermones de tem-
pore 1. 1, Sermones Quadragesimales 1. 1: Incipit ^Emitte manum", Sermones de
Sanctis 1. 1: Incipit „Extendam palmas". Item in multos bibliorum libros emisit
commentaria et alia ab his opera composuit.'
2 Bibliotheca latina I 387. ^ Supplementum 200.
^ Gelehrtenlexikon I 2055.
^ Repertoire des sources liistoriques I 1019. ^ Vgl. die Praefatio p. ix.
7 So Clm 7695 Bl. 172.
8 Vgl. S. Bonaventurae Opera IX xiv; ferner Clm 2709 7789 12 728 16 026
26 958, CPlg 220, CVP 1347.
^ Hs 218 von Heiligenkreuz; Hss- Verzeichnisse der Cistercienserstifte I 175.
^° Speculum b. Mariae V. p. ix.
^^ Chronica Fratris Nicolai Glaßberger ordinis Minorum Observantium, in Ana-
lecta Franciscana II.
Name und Ordensstellungen. H
kapitel zu Halle zum Minister Saxoniae erwählt und um Martini des-
selben Jahres bestätigt ^ Die Chronica rühmt von ihm : ,Hic in pace
sibi per antecessores suos acquisita provinciam in disciplina et rigore
et magna maturitate et observantia ordinis gubernavit et cum prae-
fuisset annos fere sexdecim ^ labore fatigatus et attaediatus cum mul-
torum fratrum dolore et cum maxima importuna instantia obtinuit
cessionem.' Die Abdankung Konrads erfolgte 1262 auf dem Provinzial-
kapitel in Halberstadt. Sein Nachfolger wurde der frühere Minister
Austriae, Frater Bartholomäus ^. Den Frater Konrad hatte man un-
gern aus der Stelle eines Ministers der Provinz scheiden sehen; als
daher Frater Bartholomäus 1272 abdankte, wählte das Provinzial-
kapitel von Magdeburg den wegen seiner Tugenden und seines
früheren glücklichen Regimentes hochgeschätzten Frater Conradus
de Brunopoli wieder zum Minister. Er waltete noch ungefähr sieben
Jahre dieses Amtes, dessen Pflichten er trotz der Gebrechen des
Alters und eines schweren Steinleidens treulich erfüllte. Als er
1279 zum Generalkapitel nach Assisi reiste, erlag er in Bologna
seinen Leiden^.
Der Kardinal Johannes de Turrecremata ^ gibt dem Conradus Saxo
den Beinamen ,Holzingarius', Sbaralea^ ,Holxingarius' auf Grund
des uns nicht in die Hände gelangten Quadragesimale des , Antonius
Brixiensis Inquisitor' und der Angabe des Turrecremata. In der Tat
tragen die Sermones Conradi in zwei Handschriften des 14. Jahr-
hunderts ähnliche Namen; eine Lüneburger '^ nennt ihn , Conradus
Holthniker', und eine Kopenhagener ^ hat den Vermerk: Sermones
, Conradi Holthnykheri'. In den von uns eingesehenen Handschriften
kommt dieser Name nicht vor.
^ Ebd. II 69 70. Das Generalkapitel fand nicht 1245, wie Glaßberger schreibt,
sondern erst 1247 in Lyon statt.
2 Richtig: quindecim, von 1247 bis 1262.
^ Analecta Franciscana II 76.
* Ebd. 83 93. ,. . . Bononiae infirmatns passione calculi et aliis infirmitatibus
obiit.* Vgl. auch die Series ministrorum provincialium provinciae Saxoniae in Anal.
Franc. II 584.
^ Tractatus de veritate conceptionis beatissimae Virginis c. 32, p. 346 347.
Danach auch der Minorit Petrus deAlva, Militia immaculatae conceptionis 306.
« A. a. 0. '-' Cod. 57.
^ Cod. 63 bibliothecae regiae; vgl. S. Bonaventuras Opera IX xiv und Spe-
culum p. IX.
12 I- Frater Konrad von Sachsen.
Daß dieser Frater Conradus de Brunopoli mit dem Verfasser der
unter dem Namen des Frater Conradus verbreiteten Sermones und
andern theologischen Schriften identisch ist, darf als sicher angenommen
werden. Denn der letztere war Minorit ; das bekunden die Predigten
an den Festen des hl. Franziskus, der hl. Klara, des hl. Antonius und
am Pfingstfeste ^. Von Bedeutung ist auch der Autorname ,Saxo' in
einigen Handschriften 2. Ein von den Herausgebern des ,Speculum'
benutzter Codex Fulginatensis bezeichnet den Verfasser als ,de pro-
vincia Saxoniae' stammend. Die bereits erwähnte Utrechter Hand-
schrift übersetzt ,de Brunopoli' richtig mit ,de Brunswick'.
Von den bei Wadding angeführten Schriften Konrads sind die
Kommentare zu den Sentenzen, die er vermutlich als Lektor in Hildes-
heim verfaßt hat, die Erklärung des Paternoster und die Kommen-
tare zu biblischen Büchern bislang noch nicht nachgewiesen. Daß die
umfangreichen unter dem Namen eines Conradus de Alemannia ge-
druckt ^ vorliegenden ,Concordantiae bibliorum' ein Werk unseres
Fraters Konrad seien, wie Sbaralea annimmt, ist nicht nachweisbar,
zumal demselben die Herkunftsbezeichnung ,de Alemannia' nirgends
gegeben wird *. Es verbleiben demnach dem Frater Konrad folgende
handschriftlich und im Druck bekannte Werke: Speculum beatae
Mariae Virginis, Sermones de tempore, Sermones de Sanctis und
Sermones Quadragesimales. Das , Speculum', eine Erklärung des Ave
Maria, hat in jüngster Zeit eine neue Ausgabe erlebt durch die Fran-
ziskaner von Quaracchi, auf welche schon mehrere Male verwiesen
wurde. Dort sind auch die zahlreichen Handschriften und die Drucke
des Werkchens verzeichnet. Nach den zutreffenden Ausführungen
der Herausgeber über die Anlage und den Wert des , Speculum' unter-
lassen wir es, auf das letztere näher einzugehen. Wir beschäftigen
uns nur mit den Sermones.
' Über die Pfingstpredigt siehe unten S. 37.
2 S. Bonaventurae Opera IX ix. ^ ygl Hain *5629 *ö630.
* In Clm 8953 (14. Jahrh.) steht ßl. 56-78 ein nicht vollständig erhaltener
Traktat ,De timore', welcher nach dem Bl. 78 stehenden Verzeichnis 89 Kapitel
zählte. Am Schlüsse des Verzeichnisses findet sich der Vermerk: ,Explicit Chun-
radinus'. Die Überschriften einiger Kapitel lauten : De speciebus timoris, De timore
mundi — humano — servili etc. Dem Fegfeuer und der Hölle ^Yerden 16 Kapitel
gewidmet. Aus dem Inhalt läßt sich nicht entnehmen, dafs der ,Chunradinus' unser
Frater Konrad sei.
Schriften Konrads. Die Sermones. 13
Die Sermones de tempore und de Sanctis liegen in zwei
Ausgaben vor, allerdings unter dem Namen Bonaventuras: ,B- Bona-
venture Sermones de tempore: tam Hiberno quam Aestivo cum indici-
bus. Vaenundantur lodoco Badio Ascensio (Parisiis 1521)'. Die
Ausgabe ist ein Oktavband von 336 Blättern. Daran schließen
sich mit besonderem Titel und neuer Blattzählung die Sermones
de Sanctis an: ,B- Bonaventurae Sermones de Sanctis' etc. (Bl. 1 — 126)
einschließlich derer de Communi Sanctorum (Bl. 127 — 171') und derer
ad religiöses (Bl. 172 — 184). Den Schluß der Ausgabe bildet das ,Spe"
culum beatae Mariae Virginis'. Die zweite Ausgabe, welche in Brixen
1596 erschien, ist ein bloßer Abdruck der Pariser Ausgabe von 1521 ^
Daß die in den beiden Ausgaben abgedruckten Predigten nicht
dem hl. Bonaventura angehören, sondern dem Frater Konrad von
Sachsen, ist zweifellos. Eine Fülle von Handschriften legt dafür
Zeugnis ab. Wir verweisen auf die oben bereits angeführten, deren
Zahl sich noch vermehren ließe. Neben diesen mit dem Namen des
Fraters versehenen Handschriften existiert eine erhebliche Anzahl
von anonymen. Wir nennen: Clm 2946 7695 16439 23385 (der
Verfasservermerk stammt aus späterer Zeit) ; CLb 190 (späterer Ver-
merk: jfratris Conradini ordinis predicatorum') ; CSPH Pg. 26. 1. 27
und 27. 1. 20; CLP 723; die Hss von ßeun 22, von Wilhering 1422.
Ein frühes Zeugnis für die Verfasserschaft des Fraters Konrad
bietet der CGraec 730, welchem Schönbach eine ergebnisreiche
Untersuchung gewidmet hat^. Wir werden bei der Behandlung der
Sermones des Greculus zeigen, daß der CGraec 730 etwa im zweiten
Dezennium des 14. Jahrhunderts geschrieben worden ist. In dem
Predigtwerke, welches diese Handschrift enthält, wird ,Chunradus'
dreimal zitiert. Bl. 92*^ heißt es: de omnibus predictis infirmi-
tatibus anime require in Chunrado in sermone ,Erat quidam regulus'.
Dominica XX post Pentecosten. Bl. 96^ heißt es schlechtweg:
de hac materia require in Chunrado. Bl. 150': Nota: require in
Chunrado de columba et ramo*. Schönbach vermag diese Zitate
nicht nachzuweisen 5. Dieselben beziehen sich zweifellos auf die
* Vgl. S. Bonaventurae Opera IX xiii xiv.
^ Die Hss-Verzeichnisse der Cistercienserstifte I 19; II 71.
^ Über eine Grazer Handschrift lateinisch-deutscher Predigten, Graz 1890.
* Ebd. 57 92 93 105. ^ E^a. 53 59.
14 I- Frater Konrad von Sachsen.
Sermones unseres Fraters Konrad. Das erste Zitat trifft den Sermo 1
dominica XXI post Trinitatis, in welchem die sieben Krankheiten der
Seele — die sieben Hauptsünden — behandelt werden (CLb 190 Bl. 8b^,
Druck Bl. 320). Das zweite bezieht sich auf den 3. sermo dominica III
post octavam Epiphaniae, in welchem die sieben Ursachen der Be-
drängnisse (tribulationes) der Kirche (CLb 190 Bl. 22' 23, Druck
Bl. 81) dargelegt werden. Das dritte endlich, ,de ramo et columba',
steht im 1. sermo dominica Palmarum (CLb 190 Bl. 36% Druck Bl. 130') \
Die Benutzung der Sermones Conradi in der Predigtsammlung der
Grazer Handschrift beweist das Ansehen, in welchem die Predigten
des Minoriten standen.
Dieses Ansehen blieb den Sermones Conradi im ganzen Verlaufe
des 14. Jahrhunderts erhalten, wie man aus der großen Zahl der
aus dieser Zeit stammenden Handschriften schließen darf. Der bei
weitem größere Teil der Handschriften, welche die Sermones Conradi
überliefern, gehört dem 14. Jahrhundert an; im 15. Jahrhundert
scheinen dieselben seltener abgeschrieben worden zu sein. Indessen
stand die Autorität des Minoriten auch damals noch hoch. Der Kar-
dinal Johannes von Turrecremata (Dominikaner) berief sich in seiner
dem Konzil von Basel überreichten Denkschrift gegen die Conceptio
immaculata beatae Mariae Virginis^ u. a. auch auf ,Conradus Saxo
cognomento Holzingarius'. In der Tat hat Frater Konrad, der zu
einer Zeit lebte, in welcher die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis
noch nicht einen integrierenden Bestandteil der Ordenstheologie der
Minoriten bildete, gelehrt, daß die Mutter Gottes zwar von der Erb-
sünde befleckt gewesen, aber schon im Mutterleibe geheiligt worden
sei. Turrecremata beruft sich auf einen Satz des sermo 2 de nati-
vitate b. M. V. : , Vas purissimum fuit virgo Maria , quae rubigine
peccati originalis ablata per sanctificationem in utero sancta et puris-
sima hodie egressa est de utero.' *^ Die zweite von Turrecremata
zitierte, dem Speculum entnommene Stelle ist noch deutlicher: ,Quia
vero beata virgo in peccato concepta fuit, sed sine peccato nata, in
1 Auch im sermo 1 in die s. Marci (CLb 109 Bl. 105 Druck Bl. 28' und im
Quadragesimale sermo 41 (Clm 7789 Bl. 41") handelt Konrad ,de ramo et columba'.
2 Tractatus de veritate conceptionis b. Virg. 346 347.
' Im CLb 190 Bl. 121 : ,Vas purissimum . . . per sanctificationem in utero
factam hodie purissima est egressa.*
Verbreitung der Sermones. Konrad Gegner der Immaculata Conceptio. 15
peccato orta non fuit, ideo non auroram, sed ortiim aurorae dicitur
nox (Ib 3, 3 9) ista non vidisse. Hoc est contra illos, qui ipsam
non solum sine peccato natam, sed etiam sine peccato conceptam
dicunt.' ^ Der Kardinal hätte noch eine andere Stelle des Speculum
zitieren können, in welcher es heißt: ,Rubigo ablata fuit de argento
(Prv 25, 4), quando ab originali peccato Maria sanctificata fuit in
utero et certe sie egressa est sicut vas purissimum.' ^ Diese Ansicht
Konrads war den späteren Ordensgenossen unbequem. Wenn man
dem Minoriten Petrus de Alva glauben darf, fehlten in einer Hand-
schrift des Escorials in der Stelle aus der Predigt in nativitate
b. M. V. die Worte ,originalis peccati'^; derselbe zitiert also die
Stelle wie folgt ^: ,Vas purissimum fuit beata Virgo Maria, quae
rubigine ablata per sanctificationem' etc., und meint, man dürfe des-
! halb den Frater Konrad nicht zum Gegner der conceptio Immaculata
machen. Noch stärker entstellt muß die Handschrift gewesen sein,
welche dem Pariser Herausgeber der Sermones vorgelegen hat. Darin
findet sich die charakteristische Stelle in folgender blasser Abtönung:
,Vere vas purissimum fuit Maria, quae de utero matris egressa est
tarn plena gratia dotata' etc. ^ Vielleicht hat erst der Herausgeber
die Stelle so arg verstümmelt.
Der späteren Zeit ist das Andenken an den fleißigen und eifrigen
sächsischen Minoriten fast ganz entschwunden, zumal sowohl seine
Predigten als auch sein gern gelesenes Speculum in den Druckwerken
f unter dem Namen des berühmten Doctor Seraphicus Bonaventura
gingen. Cruel erwähnt in seiner , Geschichte der deutschen Predigt
im Mittelalter' nicht einmal den Namen Konrads ; Linsenmayer ^ nennt
ihn zwar und kennzeichnet kurz seine Methode, setzt ihn aber erst
in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Letzteres hat Schönbach '^,
^ wie es scheint, veranlaßt, diesen Konrad von Sachsen bei der Er-
i mittelung der oben erwähnten Zitate im CGraec 730 ganz außer Be-
\ tracht zu fassen. Nach alledem gereicht es uns zur Freude, den
i wackern deutschen Minoriten aus der Vergessenheit zu ziehen und
[ ihm seine wohlverdiente Stellung unter den deutschen Predigern des
; Mittelalters anzuweisen.
1 Speculum lect. 11 p. 145. ^ Ebd. lect. 13 p. 280.
" Militia immaculatae conceptionis 384. " Ebd. 306. ^ Bl. 90.
^ S. 466. "^ Über eine Grazer Hs lat.-deutscher Predigten 59.
IQ I. Frater Konrad von Sachsen.
Zur Bestimmung der Abfassungszeit der Sermones liefert der
Inhalt derselben keine sichern Anhaltspunkte. Im 2. sermo in de-
collatione s. lohannis Baptistae spricht der Frater ^ : ,0 quam infirma
capita habet iam mundus et ecclesia uniuersalis. Et certe dum caput
egrotat, cetera membra dolent.' Diese Klage trifft auf die Zeit, in
welcher Deutschland unter den Wirren des Interregnums litt, also
auf die Jahre 1256 — 1273. Vielleicht hat der Frater Konrad die
ihm nach Niederlegung seines Amtes als minister Saxoniae (1262)
zuteil gewordene größere Muße zur Abfassung seiner Sermones benutzt.
Nicht alle Handschriften enthalten sämtliche Sermones. So
bieten nur die Sermones de tempore: Clm 2709 4778 7695 12728
23385 26958, CLP 723; nur die Sermones de Sanctis und de Com-
muni Sanctorum : Clm 16026 16439; die Sermones de tempore, de Sanctis,
de Communi Sanctorum und ad religiöses stehen vollständig in CLb 190,
Clm 2946 und minder vollständig in CVF 1347, CSPH 26. 1. 27.
Von diesen Handschriften sind manche — wie Clm 2709 4778 12 728
23385 — infolge Auslassung verschiedener Sermones lückenhaft. Eine
wertvolle Sammlung der Sermones bietet die Pergamenthandschrift 56
des Schottenstiftes in Wien aus dem 14. Jahrhundert. Sie enthält
die Sermones de tempore, de Sanctis, de Communi, ad religiöses,
das Speculum und überdies noch ein Register zu dem Quadragesimale^.
In der Wiedergabe der Sermones de tempore befolgen einige
Handschriften den Grundsatz der Ausschließung aller Heiligen-
feste (so CLb 190); andere, und zwar die Mehrzahl, fügen die
Predigten für die Feste der Heiligen : Stephanus, Johannes Evangelista
und Innocentes an den gehörigen Stellen im Zyklus de tempore ein
(wie Clm 2709 7695 23385 26958) und lassen, falls sie auch
die Sermones de Sanctis bieten, jene Feste im Zyklus de Sanctis aus
(wie Clm 2946). Der Pariser Druck vom Jahre 1521 hat eine
Handschrift der letzteren Art benutzt.
Auch in der Zahl der Sermones weichen die Handsc-hriften stark
voneinander ab. Wir benutzen zum Vergleiche den CLb 190^, welcher
' CLb 121 D. S. 87'. Wenn wir CLb zitieren, ist immer der CLb 190 gemeint;
D. bedeutet den Pariser Druck; die blofse Seitenzahl verweist auf den Zyklus de
tempore, D. S. auf den Zyklus de Sanctis. - Vgl. Hübl 173.
* CLb 190 gehört noch dem 14. Jahrhundert an. Kr ist eine Papierhand-
schrift. Das Papier trägt als Wasserzeichen den Ochsenkopf mit gerader, senk-
recht auf demselben stehender Linie ; das Zeichen findet sich nicht bei K a i n z , Die
Abfassungszeit. Die Sermones in den Handschriften. 17
uns die vollständigste Sammlung der Sermones Conradi zu bieten scheint.
Derselbe enthält 246 Sermones de tempore, 90 de Sanctis, 24 de
Communi Sanctorum (einschließlich der 3 Sermones de animabus) und
6 ad religiöses et praelatos, im ganzen also 366 Sermones. In dieser
Vollständigkeit wird CLb 190 unseres Wissens von keiner der an-
geführten Handschriften erreicht, auch von dem Drucke nicht. Der
letztere zählt zwar 258 Sermones de tempore, davon kommen aber
8 auf die Feste der Heiligen (Stephanus, Johannes Evangelista und
Innocentes) und 4 auf das festum Trinitatis, welches im CLb 190
unter den Sermones de Sanctis behandelt wird ; weiter bietet er nur
77 Sermones de Sanctis, 19 de Communi Sanctorum und 5 ad eccle-
siasticos et praelatos, im ganzen also 354. Der letzte Sermo de
tempore (dominica 27 — richtig 26 — post Trinitatem) über den Text
»Ascendit Simon Petrus et traxit rete' (lo 21, 11) ist ein offenbar
hierher und in die Sammlung nicht gehöriger Anhangt
Soweit sich aus Stichproben feststellen ließ, stimmt der Text
des Druckes mit dem des CLb 190 im allgemeinen überein.
Kleine, auch größere, Verschiedenheiten und Fehler sowie Kürzungen
fallen oft auf, sinnentstellende nur in einzelnen Fällen. Auf sonstige
Verschiedenheiten wird weiter unten aufmerksam gemacht werden.
Die fromme und gemeinnützige Absicht, welche den Frater Konrad
bei der Abfassung seines Predigtwerkes leitete, drückt er selbst in
den Versen aus, die den Sermones de tempore in dem CLP 723 vor-
angestellt sind 2: *
Wasserzeichen des 14. Jahrhunderts in den Hss der königl. bayr. Hof- und Staats-
bibliothek, München 1895. Der aus dem 15. Jahrhundert stammende Deckel trägt
die spätere Aufschrift : , Sermones de tempore et de sanctis fratris Conradini ordinis
predicatorum.' CLb enthält: Bl. 1—3'* Traktat über die Verklärung Christi;
3'^ Predigtfragment; b--9V Sermones Conradini de tempore mit Register; 92 — 94
leer; 95 — 147' Sermones Conradini de Sanctis, de Sanctorum Communi, ad reli-
giosos (D. S. : ,ecclesiasticos') et praelatos; 147'''— 151 3 Sermones des Jacobus de
I Voragine de expositione missae (vgl. Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter
669 — 670) und sonstige Exzerpte. ,
^ Bl. 335. Der Pariser Druck der Sermones ist nachlässig hergestellt; die
Zählung der Sonntage ist vom 5. Sonntag nach Trinitatis ab verdruckt; die Ser-
1 mones sind mehrmals mit unrichtigen Zahlen bezeichnet (vgl. Bl. 258' 274).
- Bl. 3'"': die Hs gehört dem Beginne des 14. Jahrhunderts an und stammt
aus Altenzelle.
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. 2
18 I- Frater Konrad von Sachsen.
Suscipe, summe pater, tibi que minor offero frater
ad laudem trino, lector, tibi trina propino
pocula sermonum, quibus utens hoc mihi donum
prestes, quisquis eris, quod pro me sepe preceris.
5. Sepe rei memor esto mei prece non Pharisei.
Verba dei, pietate spei, summe requiei
corde teras opereque geras, pure quoque queras,
ore seras fructumque feras, quo premia speras.
Sermonem quociens [facisj ^ ex hiis quos modo prodam,
10. orare tociens monearis pro paupere quodam.
Hac^ ope, non opibus, opus est opus hoc operanti,
ut prosis precibus operam tantam tibi danti.
Diese Verse gehören nicht dem Schreiber an, — denn dieser
war ein Altenzeller Cistercienser — , sondern dem Frater Konrad selbst,
der sich im Eingang als ,frater minor' vorstellt. Derselbe hatte sie
seinem dreiteiligen Werke — Sermones de tempore, de Sanctis, de
Communi Sanctorum — vorangestellt. In dem CLP 723 war diese
poetische Vorrede eigentlich nicht angebracht, da die Handschrift nur
die Sermones de tempore bietet.
In der Pergamenthandschrift 26, 1 27 (14. Jahrhundert) von
St Paul in Kärnten, die aus Spital am Pyhrn in Oberösterreich stammt,
stehen vor den Sermones Conradi de tempore ebenfalls einige Verse,
deren Schluß drei Verse aus den oben mitgeteilten wiederholt:
Qui bene dum poteris sermonibus hiis pocieris,
si gratus fueris, — si non, gratis mea queris —
debitor efficeris, quod pro me sepe preceris.
Huius sie operis operam precor apprecieris.
Precipue precibus precium prebeto precanti.
Hac ope, non opibus, opus est opus hoc operanti.
Sermonem quocies facis ex his quos modo prodam,
orari tocies moncas pro paupere quodam.
Wie es scheint, hat der Schreiber, der nur die Sermones de
tempore abschrieb, weil er den Eingang der Widmung des opus
trinum nicht verstand, die ersten Verse durch andere ersetzt und
nur aus dem Schlüsse die allgemeine Bitte der drei letzten Verse bei-
behalten.
In den Sermones de tempore bot Frater Konrad dem Re-
gulär- und Säkularklerus einen reichen Predigtstoff. Für jeden Sonntag
stellen sie mindestens 3, zuweilen 4, ja G, am Weihnachtsfeste 9,
, Facis' fehlt in der Hs. - Hs ,hoc'.
Widmungsverse. Sermones de tempore. Perikopenordnung. 19
am Pfingstfeste sogar 11 Predigten zur Auswahl. Der Regel nach
ist der Text den Perikopen der Sonn- und Festtagsevangelien ent-
nommen, hin und wieder aber auch den Lektionen oder beliebigen
i Büchern der Heiligen Schrift.
Die Perikopenordnung, nach welcher Konrad predigte, weicht
I von unserer heutigen an verschiedenen Stellen ab. Am 1. Advent-
sonntage wurde das Palmsonntagsevangelium verlesen, und die Evan-
gelien des 2., 3. und 4. Adventsonntages waren die heutigen Evan-
gelien vom 1., 2. und 3. Adventsonntage. Auf den 2. Sonntag in
Quadragesima fiel das Evangelium vom kananäischen Weibe (Mt 15),
j nicht das von der Verklärung Christi. Die Sonntage nach Epiphanie
; werden ,post octavam Epiphaniae' gezählt und die Sonntage nach
j Pfingsten ,post Trinitatis' benannt, wiewohl tatsächlich die Evangelien
I der Sonntage nach Pfingsten mit den Sonntagen ,post Trinitatis' zu-
I sammenfallen. Der erste Sonntag nach Pfingsten heißt daher so-
wohl in CLb als auch im Drucke ,dominica prima post Trinitatis'. Wir
werden die Sonntage als Sonntage nach Pfingsten zählen.
Für diese Sonntage stellt sich die damalige Perikopenordnung im
Vergleich zu der heutigen wie folgt:
Conradus : Heute:
1. Sonntag nach Pfingsten: Homo Estote misericordes.
quid am erat dives.
2. Sonntag n. Pf. : Homo quidam Dasselbe,
fecit coenam magnam.
3. Sonntag n. Pf. : Erant appropin- Dasselbe.
quantes ad lesum publicani.
4. Sonntag n. Pf. : Estote miseri- Cum turbae irruerent in lesum.
cordes.
!5. Sonntag n. Pf.: Cum turbae Nisi abundaverit iustitia.
irruerent in lesum.
6. Sonntag n. Pf.: Nisi abunda- Misereor super turbam.
verit iustitia.
Im weiteren Verlauf des Kirchenjahres bleibt die Perikopenordnung
Konrads immer um einen Sonntag gegenüber der heutigen zurück,
so daß der damalige 24. Sonntag das Evangelium von Jairus' Tochter
hatte, während heute das Evangelium .Cum videritis abominationem
20 I- Frater Konrad von Sachsen.
desolationis' hOjt. Das letztere Evangelium behandelt Konrad am
Schluß als Predigt für den 25. Sonntag nach Pfingsten.
Neben den Sonntagspredigten und den Predigten für die Feste
des Herrn — an Ostern und Pfingsten auch für die feria 2, 3 und 4
— finden sich 6 Predigten für den Aschermittwoch und 9 für die
Bittage — wiederum ein Beweis, wie fleißig damals gepredigt wurde.
Denn es muß angenommen werden, daß diese Predigten nicht aus
theoretischer Liebhaberei geschrieben worden seien, sondern in der
Absicht, damit den Bedürfnissen des Klerus entgegenzukommen.
Die 90 Sermones de Sanctis verteilen sich in CLb auf folgende
Feste: Andreas 2, Nikolaus 2, Thomas 2, Stephanus 3, Johannes 3,
Innocentes 3, Conversio Pauli 2, Purificatio b. M. V. 3, Cathedra
Petri 2, Matthias 2, Annuntiatio b. M. V. 2, Markus 2, Philippus und
Jakobus 3, Inventio crucis 2, Translatio s. Francisci 2, Antonius de
Padua 3, in festo Trinitatis 3, Nativitas s. lohannis Baptistae 3,
Petrus et Paulus 4, Magdalena 3, Jakobus 2, Petrus ad vincula 2,
Laurentius 3, Clara 2, Assumptio b. M. V. 2, Bartholomäus 2, De-
collatio s. lohannis Baptistae 2, Nativitas b. M. V. 3, Exaltatio crucis 2,
Matthäus 2, Michael 3, Franziskus 3, Lukas 2, Simon et luda 2,
de Omnibus Sanctis 3, Martinus 2, Katharina 2.
Außer diesen vollständig ausgeführten Predigten ist jedem Feste
an dritter bzw. vierter Stelle die Einleitung zu einer Predigt bei-
gegeben, deren Thema bereits in den Sermones de tempore oder auch
in dem Zyklus de Sanctis an anderer Stelle behandelt wird. Auf diese
Stelle wird dafür verwiesen. Im Druck ist die Zahl der Verweise
auf andere Predigten sogar noch viel größer; meist werden bei jedem
Texte neben den ausgeführten Predigten drei und mehrere Verweise
auf passende Themata, die anderswo behandelt werden, beigefügt.
In den Handschriften ist die Zahl dieser Verweise (,require'!) ver-
schieden. Es kam eben darauf an, inwieweit die Abschreiber das *
Bedürfnis dafür empfanden.
Die große Differenz in der Zahl der vollständigen Heiligen-
predigten zwischen dem Druck und CLb (77 gegen 90) erklärt sich
daraus: CLb gibt die im Druck schon im Zyklus de tempore stehenden
Predigten an Stephanus, Johannes Evangelista und Innocentes sowie an
Trinitas erst im Zyklus de Sanctis; das sind zusammen 12 Predigten;
überdies hat CLb an Maria Magdalena und Maria Geburt je 3 Pre-
Sermones de Sanctis, de Communi Sanctorum, ad religiöses. 21
digten gegen je 2 im Druck, wogegen der Druck an Johannes Bap-
tista 4 Predigten gegen 3 in CLb aufweist.
Das Commune de Sanctis enthält in CLb 3 Sermones de Apo-
stolis (D. 2), 3 de uno Martyre (D. 3), 3 de pluribus Martyribus (D. 3),
6 de Confessore (D. 3 de uno et pluribus Doctoribus), 3 de Ponti-
fice (D. 2 de Confessore), 3 de Virginibus (D. 2), 3 de dedicatione
(D. 2), 3 de animabus (D. 2), zusammen 24 (D. 19). Die Differenz in
der Bezeichnung der Predigten de Confessoribus ist nur eine äußer-
liche. Den Predigten jeder Abteilung folgen in CLb und im Druck
eine große Zahl Themata, für deren Behandlung auf Predigten de
tempore und de Sanctis verwiesen wird. So stehen nach den Ser-
mones de Apostolis 14 Themata (D. 14), de Martyribus 14 + 17
(D. 13 + 15), de Confessoribus 11-]- 17 (D. ll-|-20), de Virginibus 18
(D. 18), de dedicatione 19 (D. 15), de animabus 8 (D. 11). Auch
andere Handschriften haben diese Themata, so Clm 2946 und 16439.
In CLb schließen sich an die Sermones de Communi Sanctorum
6 Sermones an, welche an Ordensleute, Geistliche und Prälaten
gerichtet sind. Die gleiche Zahl haben Clm 2946 Bl. 212^— 219 \
Clm 16439 Bl. 147"^ und CVScot 156 Bl. 306—314. In CLb heißen
sie ,ad religiöses' ebenso in Clm 2946; wir nennen sie Sermones ad
religiöses et praelatos. Der Druck hat nur fünf Reden, es fehlt der
in den genannten Handschriften an zweiter Stelle stehende Sermo:
jCarissimi, diligamus nos inuicem' (1 lo 4, 7). Dieser und der erste
über den Text ,Omnia honeste et secundum ordinem fiant' (1 Cor 14, 40)
sind Ansprachen an Ordensleute, die übrigen vier können füglich als
^ Synodal reden bezeichnet werden. Auf den vorgeschriebenen jährlichen
Synoden wurde gewöhnlich eine die Standespflichten des Klerus behan-
i delndeRede gehalten, die meist einem in Ansehen stehenden Welt- oder
Ordensgeistlichen übertragen wurde. Clm 16 439 nennt denn auch den
: Sermo über den Text ,Merito hec patimur' (Gn 42, 21) , sermo in synodo'.
I Das Quadragesimale ist ungedruckt. Es liegt vor in
; Clm 7789 Bl. 1—48 und Clm 5187 Bl. 1—47; der erstere, eine
Pergamenthandschrift, stammt aus dem 14. Jahrhundert, der letztere
aus dem Jahre 1409 i. Daß das Quadragesimale ein Werk des Frater
' In Clm 7695 Bl. 172 173 steht eine unvollständige , tabula super Quadra-
gesimale Conradlini* ; das Quadragesimale selbst fehlt; auch in CVScot 156 Bl. 386'
steht nur die tabula für das Quadragesimale.
22 I- Frater Konrad von Sachsen.
Konrad ist, ergibt sich aus dem Clm 7789 Bl. 40'' stehenden Ver-
weise auf eine Predigt Konrads de tempore. .Attende quod de rege
isto diuino sc. lesu Christo et quando uenit ad nos et quare, multa
dicta sunt dominica prima in Aduentu, nunc autem de ipsius man-
suetudine, quam specialiter ostendit hoc tempore aliqua sunt dicenda.'
Der Sermo, auf welchen sich diese Bemerkung bezieht, ist aber der
Sermo 4 dominica I Adventus in CLb Bl. 6\
Der Zyklus beginnt mit dem Sermo in capite ieiunii (Ascher-
mittwoch) und bietet für jeden Tag bis zum Karsamstag — ein-
schließlich die Sonntage — je eine Predigt — im ganzen 46 Predigten.
So viele Tage zählt die Fastenzeit. Der Sermo in capite ieiunii be-
ginnt (Clm 7789 Bl. 1): ,Tu autem cum ieiunas unge caput tuum'
(Mt 6, 17). In hoc ieiunii capite necessarium nobis est, ut taliter
ieiunemus, quatenus deo nostro sint placita (Hs : ,placida*), nobis autem
fructuosa. Ad hoc autem inter alia quatuor sunt necessaria sc. ut
ieiunemus cum humilitate, cum elemosinarum largicione, cum carnis
maceracione et cum rectitudine intencionis bone.'
Die Sermones des Frater Konrad sind durchweg thematische
Spruchpredigten. An der Spitze der Predigt steht ein Text aus
der Perikope oder aus einem andern Teile der Heiligen Schrift; aus
diesem Teile wird in dem Eingang das Thema abgeleitet, welches
nun in seinen einzelnen Punkten behandelt wird. Wir lassen zwei
Eingänge folgen:
1. Sermo 1 dominica I Adventus (CLb b"" D. 1): ,Emitte manum
tuam de alto.' Ps 143, 7: Ecce carissimi, sicut nauigantes in medio
fluctuum periculosissimorum et sicut captiui in medio hostium seuissi-
morum desiderant liberatorem, sie patres antiqui desiderauerunt salua-
torem, quorum unus exclamans ad Dominum dixit: .Emitte manum
tuam de alto.' Manum dei dicit filium dei: lo 1, 3: ,Omnia per ipsum
facta sunt.' , Emitte', ait, ,manum tuam', id est filium tuum . . . Con-
siderare autem possumus quatuor causas emissionis filii dei: , Emitte',
inquit, ,ut diuinam offensam placet, ut humanam naturam liberet, ut
ruinam angelicam restauret, ut dyabolicam uiolenciam superet.'
2. Sermo 1 in feste s. Marci Evangelistae (CLb 104' "^ D. S. 28):
,Ecce examen apium in ore leonis erat et fauus mellis (lud 14, 8).
In figura quatuor evangelistarum uidit lohannes in Apocalypsi (4, 6)
quatuor animalia, que eciam uiderat Ezechiel (1,6 ff). Ex quibus homo
Das Quadragesimale. Der Sermo 1 dominica I Adventus. 23
Matheum, leo Marcum, uitulus Lucam, aquila lohannem significat, uel
secundum quosdam leo Matheum, sed secundum plures doctores Mar-
cum significare dicitur, quia resurreccionem Domini diligencius de-
scribit, per quam sicut leo mortem uicit. Iste leo apes aculeatas et
mel in ore habuit, quia b. Marcus aculeos passionis Christi et dulce-
dinem resurreccionis Christi deuote docuit. Inuenimus autem quatuor
notabilia in ore habita sc. : ramum in ore columbe, mel in ore leonis,
staterem in ore piscis, gladium in ore filii hominis. Bonus autem
evangelista siue doctor habet bonam vitam et bonam doctrinam. Bonus
evangelista secundum quatuor virtutes cardinales est columba per
iusticiam, leo per fortitudinem, piscis per temperanciam, filius hominis
per prudenciam. Bonus evangelista siue doctor habet in ore doctrinam
bone operacionis, eterne retribucionis, humane redempcionis, extreme
ulcionis. Primum in ramo, secundum in melle, tercium in statere,
quartum in gladio.
Verfolgen wir, wie der Prediger seine Dispositionen durchführt.
In der ersten Predigt am ersten Adventsonntage will er vier Punkte
behandeln, die vier Zwecke der Menschwerdung Christi : ,ut diuinam
offensam placet, ut humanam naturam liberet, ut ruinam^ angelicam
restauret, ut dyabolicam uiolenciam superet'.
a) Bei Is 16, 1 heißt es: ,Emitte agnum. Domine, dominatorem
terrae.' Das ist das Lamm, dessen Blut die Sünden abwäscht; sein
Vorbild ist das Paschalamm des A. T. Am Kreuze hat dieses Lamm
Gott versöhnt und die Seelen erlöst. 0 Seele, erwäge, wieviel du
wert bist, und was für dich hingegeben wurde.
b) Wenn ein Schiffbrüchiger durch eine barmherzige Hand ge-
rettet würde, wie dankbar würde er sein! Aber die undankbare Welt
erkennt die Gnade, die durch Christi Hand ihr geworden ist, nicht
an, vielleicht weil diese Hand mit der ,chirotheca carnis' bedeckt
war, vorgebildet durch die Hand Jakobs, die Isaak nicht erkannte
(Gn 27). Aber trotz der menschlichen Hülle ist diese Hand mächtig;
mit einem Ruck hat sie so viele tausend Seelen mit sich gezogen.
^ Der Druck hat: ,ut natura angelica restauretur*. Das ist unrichtig. ,Ruinam
angelicam restaurare' drückt einen in der mittelalterlichen Theologie oft wiederholten
Gedanken aus : Ursprünglich seien zehn Ordines angelorum gewesen ; der zehnte
Ordo sei unter Luzifers Führung abgefallen ; diese Lücke in dem himmlischen Reiche
zu ersetzen, sei die erlöste Menschheit berufen.
24 I- Frater Konrad von Sachsen.
c) Der Psalmist betet: ,Emitte lucem tuam et veritatem tuam,
ipsa me decluxerunt et adduxerunt in montem sanctum tuum et in
tabernacula tua' (Ps 42, 3). Die ,tabernacula' sind die ordines ange-
lorum, neun an der Zahl. ,0 quam beatus est qui in primo seu in-
fimo tabernaculo habitabit ! sed certe beatior qui in secundo. Sic die
usque ad nouum. Discunbent enim in bis tabernaculis anime iustorum
secundum excellentias meritorum. Fiant enim equales angelis et socii
angelorum.'
d) Ps 109, 2 : ,Virgam virtutis tuae emittet Dominus ex Sion,
dominare in meuio inimicorum tuorum.' Diese Rute züchtigt den
Teufel und überwindet ihn.
Der Sermo am Markusfeste, dessen Disposition oben unter Nr 2
mitgeteilt ist, gehört zu den emblematischen Spruchpredigten,
in welchen die religiöse Wahrheit an sinnlichen Bildern dargelegt
wird. Hier sind es: ramus, mel, stater, gladius.
a) Der Zweig im Munde der Taube (Gn 8, 11) bedeutet die guten
Werke. ,Quicunque ergo bonum opus docet, quasi uirentem ramum
in ore habet. Ramum ergo boni operis cum beato Marco non solum
in ore sed eciam in manu debet habere, quicunque in morte uel in
iudicio Domino uoluerit obuiare et celestem Jerusalem cum ipso in-
trare . . . . Sed eheu sicut columba ramum sie ciconia dyaboli
ranam in ore habet. Triplex autem est garrula rana dyaboli: rana
dyaboli est lingua peruersi aduocati, rana dyaboli est lingua heretica,
rana dyaboli est lingua cuiuslibet temptatoris siue scandalisatoris.' ^
b) Honig bedeutet die Süßigkeit des unsterblichen Lebens.
,Haereditas mea super mel et favum' (Eccli 24, 27). Im Lande der
Verheißung fließen Milch und Honig; die Süßigkeit der Menschheit
Christi wird in der Milch versinnbildet, die Süßigkeit seiner Gottheit
in dem Honig. Die Evangelisten tragen Honig im Munde; denn sie
^ Die Parallele liegt nahe: die Taube mit dem Ölzweig, der Storch mit dem
Frosche. Der Frosch galt als Symbol des Dämonischen, des Teufels (Apc 16, 13),
daher hier , dyaboli rana' ; als Symbol der Ketzer. Vgl. Eucherii Lugd. Liber
formularum spiritalis intelligentiae c. 5 (Migne, P. L. L 753): ,Ranae daemones
(Apc 16, 13) item ranae haeretici, qui in coeno vilissimorum sensuum commo-
rantes, vana garrulitate oblatare non desinunt.* Die drei Klassen entsprechen den
drei Arten der Frösche, wie sie nach Plinius und andern die Glossa ordinaria in
Exod. c. 8 (Migne, P. L. CXIII 205) anführt. Dafs die Advokaten dabei erwähnt
werden, ist ein Beleg für den schlimmen Ruf, in welchem dieselben damals standen.
Der Sermo 1 in die s. Marci. Die Predigtweise. 25
verkünden die Süßigkeit des himmlischen Lebens. Aber sie haben
auch stechende Bienen darin; denn sie lehren, daß man zu jenem
Leben nur durch Leiden kommen kann (Erzählung aus dem Martyrium
des hl. Markus). Leider gibt es viele, welche meinen ohne Leiden in
den Himmel kommen zu können. ,Mel utique appetunt, sed quia assari
passionibus nolunt, fugiunt: simul mundi et celi dulcedinem querunt.'
c) Christus befahl dem hl. Petrus, aus dem Fische den Stater
zu nehmen und damit für beide den Tribut an den Kaiser zu zahlen
(Mt 17, 26). Wie damals die Welt dem römischen Cäsar tributpflichtig
war, so war sie es in geistiger Weise dem Teufel. Der Zinsdenar
war die Seele, die dem Teufel verfallen war. Von dieser Zinspflicht
hat Christus uns befreit. Christus ist der Stater. Der Stater hat
zwei Drachmen, welche die göttliche und menschliche Natur bedeuten.
Der hl. Markus hat den Stater im Munde ; denn er verkündete Christum,
den Befreier. ,0 wie kostbar ist der Stater, der ausreichte, um den
Tribut der ganzen Welt zu zahlen ! 0 wie kostbar ist der Leib, aus
welchem der so wertvolle Stater genommen ist'.'
d) Ein Schwert hat der hl. Markus im Munde; denn er schreckt
die Menschen durch seine Worte vor dem Gerichte und vor der
ewigen Strafe.
Während die Adventspredigt in der Disposition und in der Aus-
führung die einfache thematische Predigt darstellt, zeigt die
Predigt auf das Fest des hl. Markus die verwickelte Methode der
emblematischen Predigt, bei welcher schon die Findung des
Themas und noch mehr dessen Behandlung zu erkünstelten Deutungen
und Anwendungen der Heiligen Schrift verführen mußte. In beiden
Methoden repräsentiert der Frater den theologisch gebildeten Pre-
diger seiner Zeit, welcher, ausgerüstet mit der von der theologischen
Schule geforderten Schriftkenntnis und bev/andert in den Sentenzen
des Lombarden, die Heilswahrheiten in einer den Grundsätzen der
1 Schuleloquenz entsprechenden Form darzustellen weiß, überraschend
schnell hatte sich die neue Predigtweise von Frankreich aus überallhin
' und auch nach Deutschland verbreitet, wo sie zunächst bei den Mino-
riten und Predigerbrüdern eifrige Pflege fand, bald aber Gemeingut
^ aller Prediger wurde.
' In der äußeren Form der Division oder Partition ahmt Frater
'Konrad die Sitte der damaligen literarisch gebildeten Prediger nach:
^^ÄWPTy^^
26 I. Frater Konrad von Sachsen.
er gibt den Gliedern gleichlautende Endsilben; die Glieder
bilden Reime. Wir bemerkten bereits oben, daß in den Predigten
des hl. Antonius von Padua solche Konsonanzen in der Division des
Themas vorkommen. Das wurde immer mehr allgemeine Gewohnheit,
die freilich auch Widerspruch hervorrieft. Diese Konsonanzen wird
man in den Predigten Konrads fast immer finden. Man vergleiche
die oben mitgeteilten Eingänge. Wir lassen noch einige Beispiele
folgen: ,Pax commendabilis ^ propter principis auctoritatem, propter
iudicii seueritatem, propter pacis utilitatem.' ,Tnducere (lesum) debemus
in templum cordis, in ulnas operis, in laudem oris.' ^ .Cum * eiecta esset
turba intrauit lesus et tenuit manum eius et dicit: Puella surge!
(Mt 9, 25; Mk 5, 41). In his quatuor consideranda occurrunt : Turba
eicitur, Christus ingreditur, manus tenetur, surgere iubetur. Signi-
ficantur enim in his quatuor necessaria ad salutem scilicet: ut im-
pedimentum salutis euitetur, ut efficaciter de salute cogitetur, ut vo-
luntas per graciam ad salutem adiuuetur, ut a peccato anima in
salutem iustificetur.'
Diese Form war indessen nichts weniger als eine Erfindung der
scholastischen Theologie. Sie stammte vielmehr aus der antiken Kunst-
prosa ^ und fand bei den lateinischen kirchlichen Schriftstellern, ins-
besondere bei den afrikanischen, liebevolle Pflege. Auch der hl. Augu-
stinus ^^ und seine Nachahmer gebrauchten sie mit Vorliebe'^. Sie
besteht in dem , antithetischen Satzparallelismus mit Homoioteleuton'.
Unter den mittelalterlichen Theologen gebrauchte sie der stilgewandte
hl. Bernhard mit Vorliebe in seinen homiletischen Schriften. Noch
mehr als die letzteren haben die dem hl. Bernhard zugeschriebenen,
vielbenutzten ,Sententiae', in welchen inhaltsreiche Gedanken in kurzen
und kernigen Sätzen vorgetragen werden, die Konsonanzenform in
den Dispositionen empfohlen und beliebt gemacht. Darin heißt es —
' Vgl. die oben angeführten Angriffe des Frater Roger Bacon S. 5.
^ Sermo 1 dominica I post Pascha.
^ Sermo 3 in Piirificatione b. M. V.
^ Sermo 3 dominica XXIV post Pentecosten ; im D. Sermo 2.
•' Vgl. E. Norden, Die antike Kunstprosa II 615 ff.
^ Lietzmann (Fünf Festpredigten Augustins in gereimter Prosa, Bonn 1905)
weist den Reim und die rhythmische Kadenz in Augustinischen Predigten nach.
' So Fulgentius von Ruspe; vgl. u. a. dessen Sermones in Nativitate
Christi und de s. Stephane, bei Migne, P. L. LXV 726—732.
Die Konsonanzen. Vorbilder bei Augustin und Bernhard. Typologie. 27
um nur einige Beispiele anzuführen — , der Friede, welchen Christus
gebracht hat, sei ,non promissa, sed missa ; non dilata, sed data ; non
prophetata, sed praesentata' ^. ,Duo sunt ubera charitatis' — wird
in einer wahrscheinlich echten Sentenzenreihe ausgeführt — , com-
passio et congratulatio : ex compassione lac sugitur consolationis, ex
congratulatione lac sugitur exhortationis.' 2 Der jedenfalls unechte
,Liber sententiarum' ^ enthält eine Fülle solcher nach dem hl. Bernhard
gebildeter Kernsprüche, die vortreffliche Dispositionen zu Predigten
abgeben und auch den Predigern unserer Zeit zur Beachtung empfohlen
werden können. Daß sie dazu oft benutzt wurden, ist bei dem An-
sehen, dessen sich der Heilige erfreute, begreiflich.
Der Frater Konrad teilt mit den Theologen seiner Zeit die reiche
Kenntnis der Heiligen Schrift. Freilich ist die Anwendung
derselben vom exegetischen Gesichtspunkte aus nicht immer einwand-
frei; er hält sich eben an die damals herrschende allegorische Methode
der Schrifterklärung. Damit konnte der Prediger schon aus den bibli-
schen Erzählungen einen kaum zu bewältigenden Stoff für seine mora-
lischen Belehrungen gewinnen. Er lehnte seine Belehrungen an alt- und
neutestamentliche Personen und Erzählungen an, indem er die letzteren
als Typen für einzelne christliche Stände oder für moralische Zu-
stände hinstellte. Daß diese Typologie nicht ohne gewaltsame
und sonderbare Deutungen der Heiligen Schrift gehandhabt wurde,
braucht kaum bemerkt zu werden. Wir stoßen auf zahlreiche Bei-
spiele wunderlicher Schriftanwendung.
In der Predigt* von den sieben Ursachen der Bedrängnisse des
Schiffes der Kirche knüpft Frater Konrad an alttestamentliche Vor-
gänge an: an die Sendung von Schiffen nach dem Goldlande Ophir
unter König Josaphat (3 Rg 22, 49), welche die avaritia temporalium
sinnbildet; an den Untergang der Juden in den Schiffen der Joppiten
(2 Mach 12, 3 ff), welcher die Gefahren der adhaerentia malae socie-
tatis zeigt; an die Geschichte des Propheten Jonas als Beweis der
schlimmen Folgen des Ungehorsams. Die weiteren Ursachen der
Bedrängnisse der Kirche — negligentia praelatorum, absentia Christi
spiritualis, curae pastoralis excrescentia (übergroße Zahl der Gemeinde-
' In Epiphania Sermo 1: Migne, P. L. CLXXXIII 142.
2 Sententiae 31: Migne, P. L. CLXXXIV 754. ^ g^d. 1135 ff.
■* Sermo 2 u. 3 dominica III post octavam Epiplianiae.
28 !• Frater Konrad von Sachsen.
glieder), oppressio innocentium — werden durch neutestamentliche
Stellen belegt. Das Gesicht Daniels von dem hircus mit den vier
Hörnern (Dn 8, 8 ff) versinnbildet die Bedrängnisse der Kirche von
außen und von innen i. Den Verrat Tryphons an Jonathas (1 Mach 12)
nutzt der Prediger aus zur Schilderung der Gefahren, welche der
gläubigen Seele durch den Teufel drohen 2. Die drei Jahre bei Is
20, 3 wendet er an zur Erläuterung der drei Grade der Armut 3.
Diese typologische und allegorische Anwendung der Heiligen Schrift
findet sich in geringerer oder größerer Ausführlichkeit fast in jeder
Predigt.
Frater Konrad benutzt die besprochene Methode meist nur zur
Beleuchtung einzelner Punkte seiner Predigt. Viel weiter gehen Ber-
told von Regensburg und sein Nachahmer, der Frater Ludovicus.
Bei diesen beherrscht der biblische Typus oft die ganze Disposition
der Predigt. Wir werden im zweiten Abschnitte diese Predigtweise
einer Würdigung unterziehen.
Zur Erklärung der Heiligen Schrift bedient sich Frater Konrad
der Glossa ordinaria, die fast auf jedem Blatte als ,Glosa' herangezogen
wird. Walafried Strabo (f 849) hatte mit derselben der jungen
Kirche in Deutschland ein wertvolles Geschenk gemacht*. Daneben
wird auch hie und da die , Glossa interlinearis' zitiert^, jene Glosse,
in welcher der Scholasticus Anselm von Laon (f 1117) einzelne dunkle
Worte durch kurze über dieselben geschriebene Erläuterungen erklärte.
Beide Glossen finden sich oft in Bibelhandschriften vereint, jene am
Rande, diese über den Zeilen. Außer diesen Glossen benutzt Frater
Konrad auch die Historia scholastica des Pariser Theologen Petrus
Comestor. Von den griechischen Vätern wird Chrysostomus, von den
lateinischen werden Hieronymus, Augustinus, Gregorius und Isidor
von Sevilla am meisten zitiert. Unter den späteren kirchlichen Schrift-
stellern bevorzugt er den hl. Bernhard, dessen kernige Worte sich
fast in jeder Predigt finden. Die Väterstellen sind der Glossa ordinaria
entnommen, welche deren für den Predigtgebrauch in ausreichender
^ Sermo 1 in festo Omnium Sanctorum.
- Sermo 1 die s. Andreae. ^ Sermo 2 in Pentecoste.
* Migne, P. L. CXIII u. CXIV.
"' So Sermo 1 dorn. X post. Pentec. CLb 73' D. 278; Sermo 1 de Trinitate
CLb 109' D. 236.
Typologie. Hilfsmittel : die ,Glossa ordinaria*, Kirchenväter. Denkverse. 29
Fülle bot. Im Vergleich zu seinem Ordensgenossen Bertold ^ ist die
Belesenheit des Frater Konrad oder vielmehr dessen Vorliebe für
Zitate aus Vätern gering.
Nur einmal finden wir die Dekretalen zitiert, und zwar c. 12
de poenit. et rem. (V 38), in welchen die jährliche Beichtpflicht ein-
geschärft wird 2. Ob Frater Konrad die Summula Raymundi metrica
gekannt hat, ist zweifelhaft.
Frater Konrad liebt es, Verse zur Bekräftigung und Verdeut-
lichung seiner Ausführungen zu zitieren. Zur Kennzeichnung der
Häßlichkeit der Übeln Nachrede erinnert er an die Verse, welche
der hl. Augustinus über seinem Tische angebracht hat^:
Quisquis amat dictis absentum rodere uitam,
Hanc mensam vetitam nouerit esse sibi.
Die Mahnung zur raschen Anwendung der Medizin der Buße nach
dem Falle bekräftigt er durch die bekannten Verse ^:
Principiis obsta, sero medicina paratur.
Cum mala per longas inualuere moras.
In dem 2. Sermo in feste s. Petri ad Vincula^ spricht er von
Christus, als dem ,lapis angularis' : ,Notandum quod iste lapis in caput
anguli factus capiti tuo est timendus. Caueas ergo tibi quasi lutee
olle de isto lapide, quia
011a luit si petra ruit iiel si ruit olla.'
Woher dieser Vers stammt, können wir nicht ermitteln. Er gehört
jedenfalls jener großen Anzahl von Schul versen an, die im mittel-
alterlichen Unterricht beliebt und geeignet waren, das Gedächtnis zu
unterstützen. Wenn Konrad sie verwandte, so geschah das offenbar,
um den Predigern eine Krücke für das Gedächtnis zu bieten. So
^ Vgl. das Verzeichnis der von Bertold zitierten Autoren bei Schönbach,
Die Überlieferung Bertolds II 9 22 60 73.
2 Sermo 7 in Rogationibus CLb 54' D. 198.
^ Sermo 4 dominica II in Quadrag. CLb 32 D. 116'.
' Sermo 1 die s. Lucae CLb 127 D. S. 108.
^ So D. S. 70; in CLb 160* ist die Sentenz nicht versifiziert, vielmehr
steht hier sowohl wie in Clm 2946 Bl 166* nur: ,Si olla super lapidem uel lapis
super ollam (cadit), ue olle!', wohl aber findet sich dieser Vers im Sermo 3 domi-
I nica IV post Pentecosten CLb 67"^, während er an dieser Stelle im Druck
nicht steht.
30 I- Frater Konrad von Sachsen,
faßt er auch die sechs geistlichen und sieben leiblichen Werke der
Barmherzigkeit in folgende Verse zusammen^:
jConsule, castiga, solare, remitte, fer, ora,
Colligo, poto, cibo, redimo, tego, uisito, condo.
Bei der moralischen Deutung der Heilung des Blindgebornen
bedient er sich des Verses 2;
Est caro nostra lutum, patris sapientia Sputum.
Als Denkverse für den Dekalog werden folgende vorgetragen ^ :
Est Deus, est nomen, sunt sabbata suntque parentes,
Mors, moeclius, furtum, testis falsus, domus [et] uxor*.
Aus demselben Schulschatze stammen die im Sermo 7 in Roga-
tionibus stehenden Verse über die Beicht. Die circumstantiae aggra-
vantes peccatum werden in folgenden Versen vorgeführt^:
Aggrauat ordo, locus peccata, scientia, tempus,
Etas, condicio, numerus, mora, copia, causa.
Et modus in culpa, Status altus, lucta pusilla.
Die Beicht selbst muß folgende Eigenschaften haben ^i
Sit Simplex, bumilis confessio, pura, fidelis,
Vera, frequens, nuda, discreta, libens, uerecunda,
Integra, secreta, lacrimabilis, accelerata,
Fortis et accusans et sit parere parata.
Im Pariser Druck sind nur zwei Verse enthalten":
Sit Simplex, humilis confessio, pura, fidelis,
Vera sit, accusans, fortis, parere parata.
In der Summula Raymundi metrica kommen ähnliche Verse
vor. Der dem 14. Jahrhundert angehörige Clm 2699, welcher die
' Sermo 1 dom. IV post Pentec. CLb 67 D. 254.
^ Sermo 3 in Quinquagesima CLb 27' D. 99.
^ Sermo 3 de Confessoribus (doctoribus) CLb 137' D. S. 148'. Der Druck
hat statt ,nomen' das sinnlose ,unum'.
* In Clm 2946 Bl. 200^ und Clm 16439 werden an der gleichen Stelle fol-
gende Verse zitiert :
Idola sperne, dei non sit tibi nomen inane,
Sabbato santifices, liabeas in honore parentes,
-. Non occisor eris, mechus, für, testis iniquus,
Non alii nuptam, non rem cupias alienam.
In dieser erweiterten Form kommen sie in den Hss des 14. und 15. Jahrhunderts
häufig vor. Sie gehörten zu den Lernmitteln der Schulen.
^ CLb 54 D. 198'. « Ebd. ' Bl. 198.
Denkverse. Benutzung der Summula Raymundi metrica. 31
Summula enthält, weist Bl. 183 folgende beiden Verse über die
Eigenschaften der Beicht auf:
Accusans, nuda, directa sit ac manifesta,
Et sit discreta, discernens. pura, modesta.
Der Text der Summula, deren früheste Form noch der Feststellung
harrt, zeigt die größten Verschiedenheiten. Die Drucke weichen daher
auch an der hier behandelten Stelle erheblich voneinander ab. In der
Basier Ausgabe des Johannes Knoblouch vom Jahre 1504 Bl. 128'
lautet die Stelle so:
Accusans, nuda, directa sit et manifesta.
Et sit discreta, discernens, pura, morosa,
Sit simplex, liumilis confessio, plena, fidelis.
In der Kölner Quentelschen Ausgabe 1 vom Jahre 1495 steht im ersten
Verse ,munda' statt ,nuda'. In dem um 1330 verfaßten Manipulus
Curatorum des Guido von Mont-Rocher^ lauten die Verse über die
j Beicht wie in den oben angeführten Münchener Handschriften der
Sermones Conradi, nur steht statt ,Vera, frequens' ,Atque frequens'.
Da uns weder Handschriften dieser Sermones noch der Summula
Raymundi aus dem 13. Jahrhundert vorliegen, läßt sich nicht mit
Sicherheit feststellen, ob Frater Konrad die letztere gekannt hat.
Denn es ist auch möglich, daß die Abschreiber des 14. Jahrhun-
derts die in dem Sermo stehenden Verse nach dem ihnen bekannten
Texte der Summula umgebildet haben. Als ganz ausgeschlossen darf
man jedoch die Benutzung der Summula nicht betrachten. Dieselbe
ist nach der zwischen 1233 — 1244 verfaßten großen Summa Rai-
munds von Pennaforte wohl schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts
verfaßt worden. Nehmen wir an, daß die Predigten Konrads vor
1273 — wie oben gezeigt — geschrieben seien, so liegt ein Be-
denken gegen die Annahme einer Benutzung der Summula seitens des
Minoriten nicht vor. Auch Bertold von Regensburg scheint sie ge-
kannt und benutzt zu haben ^.
Endlich führe ich noch die Verse an, welche die fünf Arten der
Gula beschreiben^:
' Hain n8707. ^ Hain *8158.
^ Vgl. Schönbach, Über eine Grazer Handschrift 62 88, und Franz, Die
Messe 483.
' Sermo 1 dominica I post Pentec. CLb 63' D. 24r.
32 T- Frater Konrad von Sachsen.
Prepropere, laute, nimis, ardenter, studiose ;
Mel lonathe, carnes heremi, panes Sodomite,
Lens Esau, Pineas comprobat ^ olla gulam.
Auch diese Verse stammen aus einem Lehrbuche. Wir finden sie
in einem dem 14. Jahrhundert angehörigen Traktate über- die ,Inter-
rogationes' in der Beicht (Clm 2699 Bl. 9) in etwas anderer Form:
Prepropere, laute, nimis, ardenter, studiose.
Est certum quinque modis gula dampnat [edacem],
Dum nimium comedit vel edendi preuenerit horam,
Querit delicias, parat escas deliciose,
Vel sumit cupide, quod non est deliciosum.
Die letztere Fassung geht im wesentlichen bis in das 12. Jahrhundert
zurück. Sie begegnet uns schon unter den sog. ,Carmina miscellanea*
Hildeberts von Le Mans^. Darin werden zugleich die biblischen
Beispiele erläutert.
Man darf den Frater Konrad zu den ersten Predigern rechnen,
welche einen ausgiebigen Gebrauch von der Liturgie und von den
kirchlichen Zeremonien machen ^. Er erklärt die Bedeutung
der Prozession an Maria Lichtmeß und der an diesem Tage geweihten 1
Kerzen* und führt in das Verständnis der ,incineratio', der Ein-
äscherung, ein^. Er deutet die Symbolik der drei Teile der heiligen
Hostie in der Messe; wenn er auch dabei auf die Sentenzen des
Lombarden verweist^, so gibt er doch eine andere, zu seiner Zeit
allgemein übliche Erklärung, nach welcher die drei Teile die Heiligen
im Himmel, die Gläubigen auf Erden und die Seelen im Fegfeuer
versinnbilden^. An einer andern Stelle wird das Gebet des Kanons:
,Iube hec perferri* etc. als Beweis dafür zitiert, daß die Engel den
Verstorbenen die Früchte der heiligen Messe überbringen^. Am
Trinitatisfeste erläutert er die Segensformel: ,Benedicat vos deus,
^ Hs irrig: , perprobat'; D. und andere Hss: , comprobat'. D. hat statt , heremi'
,deserti'. Die biblischen Beispiele stehen: 1 Rg 14, 27 43; Nm 11, 32—34; Ez ,
16, 49; Gn 25, 29 ; 1 Rg 2, 13 14.
2 Migne, P. L. CLXXI 1411.
•^ Vgl. über die Liturgie in der Predigt Franz, Die Messe 642 ff.
* CLb 101 D. S. 14. ^ CLb 28 D. lOr.
"^ Sententiarum lib. IV dist. 12. Venetiis 1589, 328.
'' Sermo 1 doniinica IV Qiiadragesiniae CLb 33'' D. 122'; vgl. auch Franz
a. a. 0. 357 437 466.
« Sermo 6 in Coena Domini CLb 39 D. 141'. j
I,
i!
Die Liturgie in der Predigt. Beispiele. 33
deus noster, benedicat vos deus' (Ps 66, 7 8) und führt u. a. aus,
daß die kirchliche bencdictio bei verschiedenen Anlässen gegeben
werde: den Büßern bei der Absolution, den Opfernden bei der Dar-
])ringung der Gaben, den Brautleuten und den Kreuzzugssoldaten ^.
Auch an andern Stellen finden sich Hinweise auf die Liturgie, da-
runter wiederholt Zitationen von kirchlichen Hymnen. Frater Konrad
berücksichtigt sonach die Liturgie viel stärker als die Homileten vor
ihm und teilt diese Vorliebe mit seinem großen Ordens- und Zeit-
genossen Bertold von Regensburg.
So reich die Predigten des Frater Konrad an Hinw^eisen auf
biblische Tatsachen sind, so arm erscheinen sie an Beispielen aus der
Profangeschichte und aus den Heiligenlegenden. Nur in
i dem Zyklus de Sanctis kommt die Legende naturgemäß zur Geltung,
1 aber in keineswegs vordringlicher Weise; dagegen fehlen im Zyklus
■ de tempore die ,exempla' aus der Profangeschichte und aus der Legende
{ vollständig, wiewohl sie sich zur Zeit Konrads bereits das Heimats-
recht in den Predigten erworben hatten -. Dagegen kommen wieder-
j holt Gleichnisse aus der Natur vor. Der Adler erneuert seine Kraft
durch den Flug gegen die Sonne hin ; so soll der Christ sich innerlich
erneuern durch das geistige Hinaufsteigen zu Christus ^. Die Haltung
der Schlange bei der incantatio — sie steckt das eine Ohr in die
Erde und verdeckt das andere mit dem Schwänze — belehrt den
Menschen, wie er sich gegenüber den Einflüsterungen des Teufels zu
verhalten hat'^.
Wie die Disposition eine schulgemäße Klarheit verrät, so geht
auch die Ausführung in regelrechtem Gange vor sich. Zunächst wird
der einzelne Punkt des Themas mit Schriftstellen und mit Aussprüchen
der Väter belegt. Daran schließen sich kurze Erläuterungen und
moralische Anwendungen. Den Schluß der einzelnen Teile bilden
gewöhnlich Ermahnungen oder auch Klagen über das den vorgetragenen
Grundsätzen widersprechende Tun und Lassen der Christen. Selten
. nur kommen Subpartitionen in größerem Umfange vor. Die Aus-
' Sermo 3 de Trinitate D. 289'; der Sermo fehlt in CLb.
^ S. unten Abschnitt III.
^ In Ascensione Domini Sermo 1 D. 201. Vgl. Laudiert 9.
^ Dom. I Adventus Sermo 4 ßl. b\ Dom. de Passione Sermo 1 Bl. 126'' er-
i wähnt er die Fabel vom Pelikan ; vgl. L a u c h e r t 8.
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. 3
34 !• Frater Konrad von Sachsen.
führiing ist prägnant, kurz, oft aphoristisch. Der Frater will nur
klar disponierten und reichlichen Predigtstoff geben und
überläßt die homiletische Ausführung dem Benutzer. Oft weist er den
Prediger an, diesen oder jenen Gedanken weiter auszuführen ^. Wir
haben also mehr oder minder ausführliche Predigtskizzen vor uns,
die, inhaltlich vollständig, dem Prediger die homiletische Ausgestaltung,
die rednerische Darstellung überlassen. Das trifft bei vielen mittel-
alterlichen Predigtwerken zu, selbst — freilich in geringerem Maße —
in dem Rusticanus de Dominicis Bertolds^.
Daher vermißt man meist eine individuelle Färbung der Predigten
und bedauert die große Zurückhaltung des Predigers gegenüber den
Zeitverhältnissen. Die oft vorkommenden Klagen desselben über die
schlimmen Zustände in Kirche und Gesellschaft ermangeln gewöhnlich
der weiteren Begründung und Ausführung. Das ist so auffallend,
daß man fast eine absichtliche Zurückhaltung annehmen möchte, die
sich der Frater — im Gegensatz zu seinen jüngeren Ordensgenossen
— auferlegt hat. Er bricht oft ab oder wendet die Gedanken anders-
wohin, wenn man gespannt der weiteren Ausführung über die an-
gedeuteten Mißstände entgegensieht. Im übrigen fehlt es dem Frater
Konrad nicht an Freimut in der Bekämpfung der Gebrechen seiner
Zeit. Seine Sprache ist aber auch in diesen Partien gemessen und
erhebt sich nur selten zu ernster Strafrede.
Wenn auch der bei weitem größte Teil der Sermones für den
allgemeinen Gebrauch bestimmt ist, so sind doch eine Anzahl
so gehalten, daß sie nur für Ordensgemeinden gebraucht werden
konnten. Dahin sind zu rechnen die ersten drei Sermones am Sonn-
tag in der Oktave von Epiphanie^, in welchen er unter dem Vor-
spruch ,Post triduum invenerunt eum in templo' (Lc 2, 46) von dem
Triduum incipientium, proficientium und perfectorum handelt. Ebenso
sind die ersten beiden Predigten am Pfingstfeste in diese Klasse zu
rechnen*. Sie handeln von den signa spiritus sancti. Der Frater
Konrad gibt selbst die Anweisung, die ersten drei Predigten am Kar-
' Wendungen wie : .ostende hoc ; hie die quomodo. hie die de . . ., die totum*
kommen oft vor.
- Vgl. Schönbach, Die Überlieferung Bertolds II. 15.
3 CLb 18'— 19' D. 65—69.
* CLb 57' 58 D. 211-213. >
Charakter der Predigten. Die Sermones ad religiöses et praelatos. 35
freitag vor Klosterleuten zu halten ^ Es bedarf endlich kaum der
Bemerkung, daß die Sermones ad religiöses et praelatos nur für Geist-
liche und Ordensleute bestimmt waren. Diese Predigten verdienen
eine besondere Erörterung.
In CLb 190 sind deren 6, ebensoviele in Clm 2946 und 16439;
der Pariser Druck hat nur 5 ; es fehlt der Sermo ,Carissimi diligamus
nos inuicem'. Diese Reden haben nach Inhalt und Form den Charakter
von Synodalreden, in werchen der Klerus — Prälaten und ein-
fache Priester — in ernsten Worten an ihre Pflichten erinnert werden.
Ein Sermo — der erste in CLb 190 Bl. 143', im Druck der vierte
— mit dem Texte ,Omnia honeste et secundum ordinem fiant' (1 Cor
14, 40) behandelt hauptsächlich das klösterliche Leben.
Im Gegensatz zu andern zeitgenössischen Synodalreden — ins-
besondere zu französischen — bewegen sich die Ausführungen des
Frater Konrad ohne individuelle Färbung in allgemeinen pastoralen
und moralischen Belehrungen. Gregors des Großen liber pastoralis
und des hl. Bernhards Reden werden reichlich ausgebeutet, um den
Prälaten und Seelsorgern die Erhabenheit ihres Amtes darzulegen.
Hie und da kommt er flüchtig auf die Gebrechen des Klerus seiner
Zeit zu reden. Er beklagt die Bereicherung der Verwandten
aus den kirchlichen Einkünften ^i ,Non dico quod rectores consan-
guineos suos diligere non debeant, §ed dico, eos non contra deum
fouere, non contra deum ad beneficia promouere debent.'
Das Streben, auf der Stufenleiter der kirchlichen Würden,
die er mit der Jakobsleiter vergleicht, emporzukommen, tadelt er
herb: ,In hac scala multi libenter ascendunt, sed pauci pacienter de-
seendunt et multi quanto alcius in ea ascendunt, tanto periculosius
cadunt.' Noch schärfer geißelt er die Pluralität der Seelsorgs-
benefizien: ,Naute et gubernatores presbyteri sunt et prelati. Sed
ex quo nauta uix unam nauem gubernare sufficit, quomodo simul
plures gubernabit? Plures autem naues plures ecclesie sunt. Item
quomodo alios gubernare possunt, qui se ipsos submergunt. Merguntur
enim homines sceleribus suis in perditione sicut specialiter de auaritia
dicitur 1 Tim 6, 9.'3
^ Iste sermo ,Cum uideris nudum' et duo sequentes ,Yere languores' pos-
i sunt predicari claustralibus et eis qui spiritualiter non carnaliter sapere nouerint.
CLb 39 D. 142. 2 cLb 146 D. S. 172'. ^ CLb 147' D. S. 176'— 179.
3*
36 L Frater Konrad von Sachsen.
Der Sermo über den Text ,Merito hec patimur. quia peccauimus
in fratrem nostrum' (Gn 42, 21) beginnt^: ,Quanta mala clerum nunc
inuadunt, quanta aduersa ecclesiam istam premant, iam manifestum
est. Sed exigentibus peccatis nostris sie affligitur. Ideo gementes
dicere possumus: „Merito hec patimur" etc. Considerandum autem est,
quis sit frater, in quem peccauimus, que sint peccata, que in ipsum
committimus, que sint passiones quas pro peccatis sustinemus.' Nach
dieser Disposition glaubt man Sittenschilderungen aus dem Leben und
den Leiden des Klerus erwarten zu dürfen. Aber man wird ent-
täuscht. Die Ausführung bewegt sich lediglich auf dem Gebiete des
Dogmas und der Moral. Der Bruder, gegen welchen gesündigt wird,
ist Christus. Er wird entblößt von jenen, die seine göttliche Natur
leugnen, die seine Gläubigen von ihm trennen, ,qui Christum tem-
porali possessione denudant, bona ecclesie dissipando iniuste'. In die
Zisterne wird Christus geworfen von jenen, die seinen Leib unwürdig
genießen: ,Sed heu quam dissipata est hodie cisterna multorum sacer-
dotum, qui utique tam dissoluti et insolentes sunt, quod non ualeant
continere aquas graciarum . . . Cisterna aperitur et non operitur, quando
uita prelati uel sacerdotis mali est ita publica, quod nulla tergiuer-
sacione tegitur. Ecce in qualem cisternam sacerdotes nostri fratrem
nostrum mittunt, dum in uita sua male dissoluta, male inueterata,
male manifesta cottidie Christi 'sacramentum recipiunt.' Endlich wird
Christus verkauft durch Simonie. Die Leiden, welche der Klerus
deshalb zu erdulden hat, sind zeitliche, die aber nicht näher be-
zeichnet werden, geistige durch Versuchungen und Gewissensqualen
und endlich ewige ^.
Auch in den Sermones de Sanctis kommt er w^iederholt auf die
Würdesucht und die Benefizienjagd des Klerus zu sprechen.
Aaron wurde von Gott erwählt, weil sein Stab blühte (Dt 16):
.Virga est auctoritas pastoralis, que flores doctrine et fructus bone
uite producere debet. Sed heu ! quorundam uirge non prelatorum sed
maleficiorum [sunt] , non flores sed dracones producunt. Dominus
autem per flores, per fructum, per sortes, per columbam, per in-
spirationem quandoque ostendit suum rectorem; diabolus autem per
simoniam, per conspirationem, per ambicionem et per alia uicia ostendit
1 CLb 145 D. S. 182. 2 cLb 145'^— 146 D. S. 182'— 184'
Kirchliche Gebrechen. Das Mönchtum. 37
suum rectorem.'^ ,Sed heu! multi multum ambiunt cathedram et
prioratus (Mt 23, 6). Prohibetur in verbis predictis uiolenta intrusio.
Sed heul ambitiosi non solum per regem terrestrem, sed etiam per
regem diabolum ad honores perueniunt. Nam ad cathedram uidemus
currentes curam cathedre non curantes.'^
Wo immer er auf das Mönchtum zu reden kommt, betont
er die Notwendigkeit wahrer Frömmigkeit und echter Askese. So
in den Predigten an den Festen des hl. Franziskus, Antonius von
Padua und bei andern Gelegenheiten. ,Nihil enim proficeret solitudo,
si abstinencia non adesset, quia illa sine hac libertas est ad peccatum.
In quo religiosi illi arguuntur, qui in solitudine claustri mundi deli-
cias querunt . . . Reprehenduntur eciam illi qui in diebus ieiuniorum
deliciis et commessationibus uacant uolentes diurnam [abstinenciam]
superflua refeccione recompensare.' ^
Eine ausführliche Belehrung über die klösterliche Armut —
ein zu seiner Zeit schon unter den Minoriten viel behandeltes Thema —
gibt der Frater Konrad in dem ersten und zweiten Sermo am Pfingst-
feste*. Beide haben den Vorspruch ,Nolite contristari spiritum sanctum,
in quo signati estis' (Eph 4, 30). Glossa: ,Signat Spiritus sanctus
electos signo ueritatis credendorum, signo honestatis morum, signo
paupertatis terrenorum, signo charitatis dei et proximorum.' Die ersten
beiden Punkte behandelt der Prediger im ersten, die letzten beiden
im zweiten Sermo; der letztere ist offenbar für Ordensmitglieder be-
stimmt. Den dritten Punkt leitet er ein mit Is 20, 3: ,Sicut ambu-
lauit seruus mens Isaias nudus et discalceatus, trium annorum signum
et portentum erit' und behandelt nun die drei Grade der Armut:
jNudus quidem est qui caret rerum possessione. Discalceatus autem
qui caret cupidinis affectione .... Nudi et discalceati sunt, qui et
rebus et cupiditatibus exuti sunt, qui nee proprietatem in aliqua re
nee cupiditatem in corde habent. Ecce signum trium annorum. Prima
perfeccio renunciacionis temporalium est relinquere superflua, sed non
necessaria . . . qui ad hanc perfeccionem ueniunt , quasi unius anni
* Sermo 1 die s. Matthiae CLb 103. D. S. 24 stimmt damit nicht ganz
überein.
2 Sermo 1 in Cathedra Petri CLb 102 D. S. 19'.
3 Sermo 4 in die s. lohannis Baptistae D. S. 52 53 ; dieser Sermo fehlt in CLb.
* CLb 57 58 D. 211 212.
38 I- Frater Konrad von Sachsen.
Signum liabent. Secunda uero perfeccio paupertatis est relinquere non
solum superflua, sed eciam necessaria; relinquere inquam in speciali,
sed non in communi, sicut multi religiosi, qui licet mansos et predia
et multa bona habeant communiter, proprietatem tarnen non habent
singulariter ; et isti signum duorum annorum habent. Tercia perfeccio
uel consummacio paupertatis est relinquere omnia, et superflua et
necessaria, relinquere inquam in communi et in speciali. Ista perfeccio,
fratres carissimi, ad nos pertinet secundum regulam. Unde nobis datum
est Signum trium annorum. Et certe usque ad tempora beati Fran-
cisci omnes fere in tercio signo defecerunt. Sed iste servus Domini
Franciscus ambulavit nudus et discealceatus. ut nobis trium annorum
id est extreme perfeccionis paupertatis signum esset.' ^
Das sicherlich unbestreitbare Verdienst des hl. Franziskus, die
klösterliche Armut in ihrer idealen Reinheit und Vollkommenheit
wiederhergestellt zu haben, findet in den letzten Sätzen seinen vollen
Ausdruck. Es wurde aber von andern klösterlichen Genossenschaften
mit oft schlecht verhehltem Übelwollen angesehen. Eine seltsame
Äußerung dieser Mißgunst findet sich in dem wahrscheinlich in einem
Chorherrenstifte geschriebenen, früher den Nonnen von Altomünster
gehörigen Clm 2946 Bl. 85 '^ Darin werden die Schlußworte der
oben mitgeteilten Stelle folgendermaßen wiedergegeben: ,. . . et certe
usque ad tempora beati Augustini omnes fere in secundo signo
defecerunt. Sed ecce sanctus Augustinus ambulauit' etc. Da-
mit glaubte der skrupellose Abschreiber die Ehre der alten Orden
gegenüber den Minoriten gerettet zu haben 2.
Vom Ablaß spricht Frater Konrad nur selten. Anknüpfend an
Is 61, ,praedicare captiuis indulgentiam' bemerkt er^: ,Solet maxime
indulgencia in dedicacione templi uel altaris uel accipientibus crucem
predicari. Sic certe si templum anime tue et altare cordis deo dedi-
catur et sie crucem penitencie acceperis, indulgenciam magnam habebis.'
Daraus darf man indessen nicht schließen, daß er den Ablaß gering-
schätzte, wohl aber, daß er als erste Voraussetzung der Ablaß-
gewinnung die innere Umwandlung durch Reue und Bußgesinnung
' Der Druck weicht mehrfach von CLb ab,
2 In den Clm 7695 u. 26 958 ist der richtige Text wiedergegeben, den auch
der Druck hat.
3 Scrmo 9 in Rogationibus CLb 55 D. 200'.
Die Armut. Der Ablaß. 39
betrachtete. Streng verurteilte er daher jene gewissenlosen Prediger,
welche die Leute durch erdichtete und falsche Ablässe betrogen:
.. . . quamdiu in terra id est in mundo sumus penitere debemus ; nam
in terra dimittuntur peccata mortalia, non alias. Unde questuarii
decipiunt homines simplices, quod peccata hominum in inferno se relaxare
promittunt, quia neque sacerdos neque episcopus neque papa unum pec-
catum mortale in inferno soluere possunt. Unde dePetro dicitur Mt 15:
„Quodcunque ligaueris super terram." In inferno enim non est bap-
tismus neque penitencia, sine quibus non dimittuntur peccata mortalia' i.
Wie den geistlichen Betrug, so verurteilte er die Unredlichkeiten
im Handel und Wandel^: ,Nolite facere iniquum aliquid in iudicio,
in regula, in pondere, in mensura. Hie die de multis fraudibus, que
j sunt in mensuris et ponderibus. Has fraudes licet nunc non uideat,
qui decipitur, uidet tamen deus, qui decipi non potest. Et quia heu
per iniustas mensuras et dolos alios sepe domus impiorum replentur
iniustis bonis, ideo per iustum ignem flagellantur in inferno eternaliter . . .'
In den 366 Sermones, welche das ganze Predigtwerk enthält,
wird die gesamte Glaubens- und Sittenlehre behandelt. Daß dabei
Wiederholungen vorkommen, liegt in der Gleichartigkeit vieler Themata.
Der Frater Konrad sucht den Forderungen, welche das Predigtamt
an den Seelsorger stellt, in allem entgegenzukommen. Mit derselben
Liebe, mit welcher er die für die Religiösen und Kleriker bestimmten
Themata behandelt, sucht er durch Einfachheit der Darstellung den
Bedürfnissen der Gläubigen nachzukommen. Was er selbst den Pre-
digern als Regel hinstellt, erfüllt er durch sein Beispiel. , Spiritus
sanctus' — führt er in dem Sermo 5 am Pfingstfeste aus^ — .est
linguosus in predicacione. Unde sequitur: ^^Apparuerunt illis disper-
tite lingue!" 1 Cor 13: „Si linguis hominum loquar et angelorum" etc.
Ibi ostenditur, quod nee predicacio nee aliquod bonum opus sine chari-
tate sufficit. Bene autem dicitur: „dispertite lingue", quia non uno
modo ad omnes habendus est sermo. Nunc enim de pena, nunc de
gloria, nunc de uiciis et de uirtutibus, aliter obstinatis, aliter infirmis,
aliter perfectis loquendum est.' Kann sich Frater Konrad auch nicht
mit seinem großen Ordensgenossen Bertold von Regensburg an Tiefe
' Sermo 2 dominica XXI post Pentec. CLb 83 D. 313'.
^ Sermo 2 dominica IV post Pentec. CLb 67'' D. 255.
3 CLb 59 D. 216.
40 I- Frater Konrad von Sachsen.
der Auffassung und an rednerischer Begabung messen, so nimmt sein
Predigtwerk doch eine ehrenvolle Stelle in der mittelalterlichen Predigt-
literatur ein.
Wir haben bereits oben festgestellt, daß die Predigten des Frater
Konrad in zahlreichen Handschriften verbreitet waren. Daraus darf
man schließen, daß der Klerus sein Predigtwerk gern benutzte. In
der späteren lateinischen Predigtliteratur finden sich auch vielfach An-
klänge an die Predigten des Fraters sowohl in der Disposition als
auch in einzelnen Teilen der Durchführung. So in den Predigten des
Peregrinus ^ und Chlaubanus ^. Öfters zeigen sich weiter gehende Über-
einstimmungen zwischen des Fraters Predigten und den Sermones de
tempore des Greculus ^. Indessen kann dabei von einer systematischen
Benutzung Konrads keine Rede sein. Um so mehr überraschte uns
die Entdeckung, daß der Schwarzwälder Prediger seinem
Zyklus deutscher Predigten die Sermones de tempore
Konrads zu Grunde gelegt hat.
Der Schwarzwälder Prediger* hat seine Predigten gegen Ende
des 13. Jahrhunderts abgefaßt. In der Handschrift, aus welcher sie
Grieshaber publizierte, beginnt der Zyklus mit der Oktave von Ostern
und schließt mit dem Osterfeste. Die Predigten für den 2. Advent-
sonntag, für den 9. (Evangelium von dem ungerechten Verwalter) und
für den 24. (Erweckung der Tochter des Jairus) Sonntag nach Pfingsten
fehlen vollständig, für den 3. Adventsonntag, für den 6. Sonntag nach
Ostern 5, sowie für den 10. und 23. Sonntag nach Pfingsten sind nur
Fragmente vorhanden^.
^ Vgl. z. B. Konrads Predigt ,Dom. infra octav. Epiph.* Bl. 65 mit Peregrinus'
I , Predigt ,Dom. infra octav. Nativitatis' über die ,incipientes, proficientes und perfecti'.
2 Predigtwerk in CFl XI 365. ^ g „„ten Abschn. IIT.
^ So wird der Verfasser der von Grieshaber publizierten Deutschen Pre-
digten aus dem 13. Jahrhundert gewöhnlich genannt. Vgl. die Einleitungen Gries-
habers zu den beiden Abteilungen seiner Ausgabe sowie Cruel 354 ff und Linsen-
mayer 354 ff. Der Prediger wird mit Recht für einen Ordensmann gehalten; die
Benutzung Konrads bestärkt die Vermutung, dafs er Minorit war. Dom. II post
Pentecost. (Grieshaber I 46) bezeichnet er als das rettende ,ainlant* die Orden
des hl. Augustinus und des hl. Franziskus. Cruel (323) will daraus schliefBen, daß
er Augustiner war. Wir glauben, daß er aus Bescheidenheit den Stifter seines
Ordens an zweiter Stelle genannt hat. Für uns ist entscheidend die Bearbeitung
des Minoriten Konrad von Sachsen. ^ Vgl. Konrads Sermo 3 D. 209'.
^ Das Fragment zum 10. Sonntage (Grieshaber I 82) gehört nicht, wie
Grieshaber bemerkt, zum 9. Sonntage nach Pfingsten, sondern zum 10. Das er-
Benutzung der Predigten. Der Schwarzwälder Prediger. 41
Von der ganzen Sammlung stehen nur zwei Predigten in keiner
Beziehung zu den Sermones Konrads : die Predigt am Pfingstfeste und
am 17. Sonntage nach Pfingsten. Die erstere ist inhaltlich identisch
mit dem in der Legenda aurea stehenden sermo für das Pfingstfest^,
die letztere erzählt im Anschlüsse an die Heilung des Wassersüchtigen
die sieben Krankenheilungen Christi und knüpft daran Hinweise auf die
Heilungen der menschlichen Seele durch Christus. Frater Konrad hat
in den drei Sermones zu diesem Sonntage andere Themata erörtert^.
Der Schwarzwälder Prediger hält sich in seinen Predigten an
die Dispositionen des Frater Konrad. Er stellt dieselben sogar
in lateinischer Sprache an die Spitze jeder Predigt und gibt sie
im Texte selbst in deutscher Sprache wieder. Auch in der Aus-
; führung folgt er dem Gedankengange seiner Vorlage. Er zitiert und
; behandelt die von Konrad beigebrachten Schriftstellen, wiederholt
j meist die Väteraussprüche und wendet sie in dem von Konrad an-
gegebenen Sinne an. Aber der Schwarzwälder Prediger verwertet
den Predigtstoff, den er bei Konrad fand, in eigenartiger selbständiger
Weise und versteht es, die trockene, schulgemäße Ausführung seiner
Vorlage in eine leichtverständliche, herzliche und eindringliche Sprache
zu verwandeln. Zu diesem Zwecke erzählt er den Inhalt der Evangelien-
I perikope, erläutert die beigebrachten Schrifttexte, fügt wohl auch
andere biblische Erzählungen, ja selbst einige exempla ein und führt
■ die Ermahnungen seiner Vorlage volkstümlicher aus. Zur Erklärung
! der Heiligen Schrift zieht er sehr oft Verse aus der Aurora des
Petrus von Riga heran.
Zur Beleuchtung der Methode, welche der Prediger bei der Be-
nutzung Konrads befolgte, stelle ich einige Passus aus der Predigt
(am 2. Sonntage nach Ostern gegenüber.
jgibt sich aus dem Vergleich mit Konrads Sermo 1 zum 10. Sonntage D. 277^ In-
folge dieses Fehlers ist die Zählung der Sonntage nach Pfingsten bei Grieshaber
von da ab um einen Sonntag voraus. Das Fragment zum 23. Sonntage (I 148)
bildet den Anfang der Predigt, das zum 3. Adventsonntage die letzten beiden Teile
des Sermo 8 Konrads (D. 15) zu demselben Sonntage.
' Grieshaber I 30. Legenda aurea c. 73, p. 327.
'•^ Der Druck hat zum 21. Sonntage nach Pfingsten nur zwei Sermones; es
fehlt darin der von dem Schwarzwälder Prediger für diesen Sonntag zu Grunde
gelegte Sermo , Domine descende' etc. Derselbe findet sich aber sowohl in CLb 190
als auch in Clm 2946 Bl. 126 und 7695 Bl. 117'.
42
I. Frater Konrad von Sachsen.
K 0 n r a d.
,Ego sum pastor bonus' loannisX.
Bonitas pastoris nostri lesu Christi
in hoc euangelio quadrupliciter
commendatur. Yidelicet in pa-
scendo, in defendendo, in
cognoscendo, in uniendo^
Der Prediger.
Ego sum — uniendo 2, wie
Konrad.
Folgt die Paraphrase des Evan-
geliums: Nu son wir merchen.
de diu frümechait uii diu güti
unsers herren. der ain guter hirte
haizet. wirt gelobet an vier dingen.
Ze dem ersten an dem fürende ^.
ze dem andern an dem schier-
mende. ze dem dritten an dem
erchennende. ze dem vierden
an dem s amen ende un an dem
f er einher ende.
Primo commendatur bonitas in
pascendo. Unde ait: Ego sum
pastor bonus. Pastores enim a
pascendo dicuntur. Pascit autem
oves suas Christus per doctrinam,
per gratiam, per eucharistiam.
Pascit utique suos per doctrinam.
Ezech. 34: ,In pascuis uberrimis
pascam eas in montibus excelsis.'
Scripturarum altitudines quasi
montes pascuae sunt. Pascit autem
Christus suos non solum per se,
sed etiam per alios docendo.
liiere. 3: ,Dabo pastores vobis
secundum cor meum et pascent
vos in scientia et doctrina.' Item
per gratiam, quod significatum
est Exodi 3, ubi dicitur, quod
Moyses pascebat oves et minavit
» D. 173'. 2 Grieshaber I
^ Fuoron alid. unterhalten, speisen ;
■* de = das und dasz.
Nu wirt ze dem ersten diu güti
dez hirten gelobet an dem f ü r e n d e.
ufi da uon spricheter. ich bin ain
guter hirte. wan ich füron miniu
schäf. Nu f ürot got siniu schäf mit
der heiligen scrift alder mit der
guter lere, un da uon spricheter
durch dez wissagen munt Eze-
chiels: ,In pascuis' etc. (folgt die
Verdeutschung), sich weles ist diu
vaizte waide. dc^ ist anders niht
wan diu heilige scrift. mit der
fürot uns got an der sele. er fürot
uns och niht allaine selbe, er fürot
uns och mit sinen lerern. uii da
spricheter durch dez wissagen munt
Jeremias. ,Dabo' etc. (wird ver-
deutscht) un de die lerer unsers
herren Jesu (Ausgabe : ieriu) schäf
6—10.
s. Schade I 232.
Koiirad und der Schwarzwälder Prediger.
43
Ko nr ad.
ad interiora deserti, ubi Dominus
in rubo appai uit. Moyses est Chris-
tus vel prelatus, per quos oves
ad interiora deserti in pastum
veniunt, quando exteriorem con-
solationem relinquunt, interiorem
vero quaerunt, ubi Dominus in
rubo ardenti sc. in corde ferventi
est. Luce 24 : , Nonne cor nostrum
ardens' etc.
Item per eucharistiam. Hoc
significatum est in ovicula pauperis
sc. Christi, de qua dicitur 2 Reg. 12,
quod erat de pane illius comedens
et de calice bibens: Bernardus:
Bonus pastor, quia dat carnem
in cibum, sanguinem in potum,
animam in precium.
Der Prediger,
fiiregen. dez vinden wir ain Ur-
kunde in der alten e. an dem
anderen buche, de ist in Exodo.
da lesen wir de herre Moyses.
(Ex. 3, 1 2 wird verdeutscht).
Wer ist herre Moyses der siniu
schäf hat getriben in die inwen-
dechait der wusti. de ist anders
niht wan der lerer, swenne der
sine undertan leret. de si allen
üzwendingen tröst läzen. uil de si
sich ferzihen aller ierschen dinge,
un de si suchen die inwendigen
waide. de ist den inren tröst un
suzekait diu an got liget. sich
swenne er si also leret. so er-
schinet im. un sinen schäf en och
unser herre in ainem brinenden
böme. de ist. de er in denne wil
erschinen in ieren brinnenden her-
zen, de von dem fiure dez hailigen
gaistes enzündet ist. sich un ge-
licher wise als got erschain dem
herren Moyse do er in der ainöde
waz un in der wüste, also wil
er dir och erschinen. swenne du
üz der weit gast, in die ainnde.
de ist de du dich mit im ferainest
mit ainem guten lebende. Du seit
och wizzen. als er dich füret mit
siner guter lere, also wil er dich
och spisen mit sinem hailigen
lichnamen. uil dez vinden wir
ain Urkunde in der alten, e. an
dem andern biiche der künege.
(Die Geschichte von David, Beth-
44
I. Frater Kourad von Sachsen.
Konrad.
Secundo commendatur bonitas
pastoris nostri lesu Christi in d e-
fendendo, cum dicitur: Bonus
pastor animam suam dat pro ovi-
bus suis defendendis sc. contra
lupum, sicut hie dicitur, et contra
leonem et ursum. Unde David,
qui Christum significat, ait 1 Reg. 1 7 :
, Leonem et ursum interfeci ego';
invaserant enim oves eins. In
leone significatur diabolus. 1 Petr. 5 :
,Tamquam leo rugiens' etc. In
Der Prediger.
sabee und Urias, die Straf rede
Nathans und die Parabel von dem
Schäflein des Armen 2 Rg 11 12
wird vollständig erzählt.) Wer
ist nu herr^ Urias der sinem
schäfe sines brötes hat gegeben
ze ezzende. uii üz sinem kophe^
hat gegeben ze trinchende ? de ist
anders niht wan der zarte got der
sinen hailigen lichnamen. un sin
hailiges blüt hat sinem schäfe. de
ist ainem ieglichen cristanen men-
schen gegeben ze ezzende un ze
trinchende. sich mit dem brote
son wir gespiset werden an libe
un an sele. wan dez son wir im
iemmer genade un danch sagen,
de wir im so liep un so zart sigen.
de er uns spiset mit sinem hai-
ligen lichnamen. uii da von sprichet
S. Bernardus: Bonus etc. (wird
verdeutscht).
Zem andern mal. so wirt diu
guti dez hirten gelobet an dem
schirmende, unda von sprichet
unser herre hiut an dem hailigen
ewangelio. der gute hirte. der gibet
sine sele für siniu schäf. uil dez
vinden wir ain Urkunde in der
alten, e. an dem herren David,
do der sinem vater siniu schäf
hielt, swenne der leo. alder der
ber. alder der wolf kam. uii im
ain schäf wolte zuchen^. sich do
' Koph = Becher ; s. Schade I 526. ^ Zuchen = rauben, s. Schade II 1299.
Konrad und der Schwarzwälder Prediger.
45
Der Prediger.
wageter sinen lip. ufi vaht mit in.
un sclüch si ze tode. ufi erratte
also siniu schäf. sich also (sol)
der lerer siniu schäf och retten
vor dem lewen de ist vor dem
tiefel. un von da sprichet S. Peter:
,Adversarius vester diabolus' etc.
(wird verdeutscht). Der lerer der
sol siniu schäf och retten vor dem
beren. de ist vor dem libe. wan als
der ber dem honege nach gat.
un als er ez gerne izzet. als gat
der lip der weite suzechait. un der
weite gelüste och nach. Er sol
siniu schäf och retten, vor dem
wolfe. de ist vor der weite, wan
als der wolf ist ain giteges tier
Uli allewart der schäfe väret.
wie er diu zuchen muge. also
väret diu weite och allewege wie
si diu schäf unsers herren zuchen
muge. un diu werfen muge in den
ewigen tot. Sich von den driu
vigenden sol der lerer siner schäfe
wol hüten tach un naht, de si im
kaines zuchen.
Diese Proben mögen genügen, um die Art der Benutzung und
der Bearbeitung der lateinischen Vorlage durch den Prediger zu kenn-
zeichnen. Wie in der Predigt am 2. Sonntage noch Ostern verfährt
der Prediger im allgemeinen in den meisten Predigten. Hie und da
K 0 n r a d.
urso autem caro significatur. Se-
quitur enim mel sicut caro volup-
tatem. Debilis etiam est in capite
fortis in brachiis ^ : sie et carnis
impetus debilis est sc. cogitatione.
Ünde ibi est resistendum. Fortis
autem in brachiis: delectationis
consensus. Dan. 7: Bestia alia si-
milis urso, tres ordines in ore eins
sc. cogitatio, delectatio, consensus.
In lupo autem mundus significatur
propter avaritiam et credulitatem,
immo tot sunt lupi quot homines
peruersi. Matth. 10: Mitto vos sicut
oves inter lupos. Gregorius: , Sicut
agni inter lupos mittimur , ut
scutum servantes innocentiae mor-
sum malitiae non habeamus*. Talis
agnus fuit apostolus, qui ait 1 Co-
rinth. 4 : ,Maledicimur et benedici-
mus, persecutionem patimur et
sustinemus.'
^ Plinius, Historia naturalis VIIl 126: ,Invalidissimum urso caput.* Isi-
dori Hisp. Etymologiarum 1. 12, c. 2, n. 22 (Migne, P. L. LXXXII 437): ,Ursorum
Caput invalidum ; vis maxima in brachiis et in lumbis.' Diese Sentenz ist in die
Glosse zu Thren. 3, 10 übergegangen, aus welcher sie die Prediger geschöpft haben.
^ Vgl. Vincentii BeUov. Speculum naturale 1. 19, c. 117 t. I 1446.
•
46 I- Frater Konrad von Sachsen. i
gestattet er sich kleinere oder größere Abweichungen, immer aber
kann man seine Absicht, sich an die Disposition und den Gedanken-
gang des Frater Konrad zu halten, erkennen. Ein genauer Vergleich
der deutschen Predigten mit der Vorlage würde nicht bloß für die
Homiletik, sondern auch für die Sprachw^issenschaft ergebnisreich sein.
Das ist jedoch hier nicht unsere Aufgabe ; wir müssen dieselbe andern
überlassen. Uns genügt es, hier hervorzuheben, welch großes Gewicht
der Prediger auf den Unterricht des Volkes in der Heiligen Schrift
legt. Darum leitet er jede Predigt mit einer ausführlichen Paraphrase
des Sonntagsevangelium ein, darum erklärt er die von Frater Konrad
kurz zitierten Stellen aus der Heiligen Schrift genauer, darum holt
er bei Erwähnung alt- und neutestamentlicher Ereignisse weit aus,
um dem Volk die Heilige Geschichte zur Kenntnis zu bringen und
seine moralischen Erwägungen eindringlicher zu machen. Während
er ausscheidet, was über die Fassungskraft des Volkes hinausging,
weiß er durch Zusätze und weitere Ausführungen den trocken ge-
lieferten Stoff der Vorlage fesselnd zu gestalten und dem religiösen
Empfinden des Volkes nahe zu bringen.
Die deutsche Bearbeitung der Sonntagspredigten des Frater Konrad
ist ein Beweis für die Hochschätzung, deren sich seine homiletischen
Arbeiten erfreuten. Es liegt ein reicher wohlgeordneter Predigtstoff
in denselben vor. Cruel und Linsenmayer rühmen den Schwarzwälder
Prediger wegen des tiefreligiösen und reichen Inhalts und der vor-
trefflichen Disposition seiner Predigten. Dieses berechtigte Lob müssen
wir für Konrad von Sachsen in Anspruch nehmen, ohne den
Schwarzwälder Prediger zu verkürzen. Denn diesem bleibt der un-
geschmälerte Ruhm, den lehrreichen Inhalt in die neue Form der
wahrhaft volkstümlichen deutschen Predigten umgegossen zu haben,
die eine Perle in der altdeutschen homiletischen Literatur bilden.
Jl.
Die Predigten des Frater Ludovicus.
Ml
3
e
:t
2
In der aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammenden
Pergamenthandschrift 719 der Universitätsbibliothek zu Leipzig
stehen Bl. 1' — 81' 56 lateinische Sonntagspredigten und Bl. 82 — 144
38 Sermones de Communi Sanctorum, welche von demselben Ver-
fasser stammen. Auf Bl. 81' findet sich der Vermerk: ,Expliciunt
sermones de dominicis. Incipit commune sanctorum et primum de apo-
stolis.' Die Handschrift^ enthält weiter in bunter Reihe Predigten für
Sonn- und Festtage, asketische Traktate und am Schlüsse Urkunden
von fast gleichzeitiger Hand.
Diese Einträge bieten drei den Minoritenorden betreffende De-
krete, zwei päpstliche und ein bischöfliches. Zuerst steht die Bulle
des Papstes Martin IV. vom 13. Dezember 1281 ,Ad fructus uberes'^,
welche den Minoriten Predigt und Beichthören gestattet. Daran schließt
sich ein undatiertes Dekret eines nicht genannten Erzbischofs von
Mainz, welcher den Minoriten die Fakultät zu predigen und Beicht zu
' Da CLP 719 noch nicht beschrieben ist, führen wir auch den weiteren Inhalt
im einzelnen an. BL 145 — 306: 123 Sonntags-, Festtags- und Heiligenpredigten und
5 Sermones ad religiosos. Bl. 306^ — 314: Asketischer Traktat ,Decem gradus
amoris'. BL 314'— 327: 15 Sermones verschiedenen Inhalts. Bl. 327: 7 Themata
zu Sermones mit Verweisen auf die Sermones de Communi Sanctorum; verwiesen
wird auf die Sermones de Apostolis Bl. 90^ de Martyribus BL 98, de Confessore
Bl. 117, de Virginibus BL 121' 123 126' 127'. BL 327'— 338: Traktat ,De Septem
uiciis' ; er beginnt : , Vidi mulierem sedentem super bestiam coccineam habentem
capita Septem (Apc 17, 4); besonders berücksichtigt er das Ordensleben, handelt
aber auch ,de peccatis alienis, de clamantibus ad coelum, de maledictis' (Dt 27.
15 — 26) und de venialibus. BL 338' — 339 : Kleinere Exzerpte asketischen Inhalts,
Bl. 340 — 344: Alphabetisches Sachregister über den ganzen Band. BL 344' — 347':
: Register über die in dem Bande vorkommenden biblischen Erzählungen. Bis hler-
' her ist die Hs von derselben Hand geschrieben; von späterer Hand stammen die
' Predigtfragmente auf Bl. 1 und 147 147', und von einer andern fast gleichzeitigen
i die kanonistischen Einträge auf BL 148—148'. Die Hs ist 15 X H cm groß und
i auf dünnem Pergament geschrieben.
2 Vgl. Potthast, Regesta pontificum II, 1764, Nr 21821.
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. > 4
50 II- Die Predigten des Frater Ludovicus.
hören und den Provinzialen, Kustoden und Guardianen überdies noch
die Vollmacht erteilt, von gewissen bischöflichen Reservaten zu ab-
solvieren i. Endlich folgt eine Bulle des Papstes Alexander IV. (1254
bis 1261), in welcher den Minoriten das Recht bestätigt wird, mit
Genehmigung der Diözesan-Ordinarien zu predigen und Beicht zu hören.
Die Bulle ist hier falsch datiert: , Datum Viterbii IV Nonas Augusti
pontificatus a. I'. Tatsächlich hat Papst Alexander IV. die mit den
Worten ,Cum olim quidam temere sentientes' beginnende Bulle am
13, Mai 1259 in Anagni erlassen'^. Im ersten Jahre seines Ponti-
fikates hat Papst Alexander IV. überhaupt nicht in Viterbo residiert.
Der Schreiber der Handschrift wollte eine Sammlung von Pre-
digten veranstalten, zu deren praktischem Gebrauche er die beiden
Register zusammenstellte. Die Handschrift ist ohne Zweifel in einem
Minoriten kloster entstanden. Das verrät sowohl der Inhalt der
Sammlung selbst, in welcher sich ein von einem Minoriten verfaßter
Predigtzyklus und auch sonstige von Minoriten abgefafäte Stücke be-
finden, als auch die Aufnahme der bezeichneten Minoritenprivilegien.
Wahrscheinlich ist die Handschrift in einem Minoritenkloster der Erz-
diözese Mainz entstanden, vielleicht in einem Kloster des sächsischen
Anteils der Erzdiözese , aus welchem sie nach den Stürmen des
16. Jahrhunderts nach Leipzig gekommen ist. In der Handschrift
selbst findet sich über die Provenienz und die Schicksale des Buches
keine Notiz.
Von dem reichen Inhalt der Handschrift interessiert uns nur der
erste Teil, welcher einen vollständigen Zyklus von Sermones de tem-
pore und de Communi Sanctorum enthält. Über den Verfasser dieser
Predigten unterrichtet uns der Schreiber nicht, wohl aber ein Vermerk
von viel späterer Hand: ,Sermones fratris Ludovici de tempore manu-
scripti'. Das würde allerdings nicht genügen, um die Verfasserschaft
des Frater Ludovicus sicher zu stellen. Glücklicherweise liegt ein
viel früheres Zeuftnis dafür in CLP 639 vor^. In dieser Persrament-
' Vielleicht ist das Dekret von dem Erzbischof Henricus Knoderer (1286 — 1288),
welcher Minorit war, erlassen worden. Das Dekret scheint noch nicht gedruckt
zu sein.
2 Vgl. W a d d i n g , Annales IV 488, Nr lxii ; S b a r a 1 e a , Bullarium Francis-
canum II 347, Nr 488; Potthast, Reg. Pontific. II 1481, Nr 17569.
^ CLP 639 ist 32 X 25 cm groß. Er besteht aus zwei Teilen, von welchen jeder
eine besondere alte Foliierung trägt; der ganze Band ist in neuerer Zeit fortlaufend
I
Die Handschriften CLP 719 und 639. 51
handschrift der Leipziger Universitätsbibliothek aus der Mitte des
14. Jahrhunderts stehen von Bl. 20 bis 63 ,Sermones Ludovici de
foliieit worden; danach soll er 320 Blätter zählen, tatsächlich hat er nur 319; der
Zähler hat die Ziffer 211 ausgelassen. Der erste Teil (Bl. 1 — 18) enthält eine
moraltheologisclie Abhandlung des Minoriten Rudolfus, welche den Titel ,De officio
Cherubyn' trägt. Sie ist aus einem andern Bande mit der alten Foliierung LXXX
bis XCVII der Hs vorgebunden worden. Über den interessanten Traktat vgl. meine
Abhandlung in der ,Tübinger Theol. Quartalschrift' LXXXYIII (1906) 411—436.
Bl. 19 stehen spätere homiletische Einträge. Mit Bl. 20 beginnt der zweite Teil
des Bandes, welcher die Blätter 20 — 320' umfafst und mit Ausnahme des Registers
über den zweiten Teil und der zahlreichen Randeinträge von einer Hand stammt.
Bl. 20 — 63: Sermones Ludovici de tempore. 63' — 67: Traktat Heinrichs von
Saltrey über das ,Purgatorium sancti Patricii' (bei Migne, P. L. CLXXX 375 ff).
67 — 76': Verschiedene Sermones de ieiunio, de Quadragesima. 77 — 90': Ein Zyklus
Epistelpredigten für das ganze Kirchenjahr, die zum groisen Teile identisch mit der
Sammlung ,Greculus super epistolas' in Clm 5852 sind (s. unten Abschn. III).
91 — 93 : Sermo de Domina nostra und spätere homiletische und asketische Einträge.
94 — 311': Reichhaltige Sammlung von Heiligen- und sonstigen Festtagspredigten
mit dem Eingangsvermerke : ,Incipit opus de sanctis' und einer langen Vorrede ;
die Sammlung wird zutreffend als ,congregacio aquarum multarum' bezeichnet; denn
sie enthält Predigten von den verschiedensten Verfassern ; ein Register (Bl. 312
bis 316') erleichtert die Orientierung in dieser Fülle von Sermones. Auf Bl. 316'
bis 320', dem Schlufsblatte, finden sich asketische Notizen, Predigtfragmente u. a.
Neben den , Sermones fratris Ludovici' und vielen andern Predigten stehen Marginal-
noten von einer späteren Hand, auch deutsche Glossen (Bl. 94 — 96 99 100) und
Einträge, u. a. Bl. 90' das apostolische Symbolum von einer Hand des 14. Jahr-
hunderts. Die Sammlung wurde nach dem Schlulsvermerk von dem ,Frater Con-
radus predicator de Nyzza' gemacht, und zwar gemäß einem längeren Eintrage auf
dem inneren Vorderdeckel in Wien innerhalb eines Zeitraumes von 21 Jahren.
Das Buch gehörte im späten 15. Jahrhundert einem Paulus Hasen de Windsheim,
von welchem auch der Eintrag auf dem Vorderdeckel stammt. Der Schlußvermerk
Bl. 311 lautet: ,Explicit congregacio aquarum multarum; iste sit, tytulus sermonum,
quos frater Conradus predicator congregauit. Quicunque post mortem ipsius istius
libri usum habuerit, rogo, ut in suis oracionibus memoriam habeat mei scilicet
fratris memorati dicti Conradi de Nyzza, quia cum maximis laboribus istos ser-
mones scripsi et deo coadiuuante, sicut rei exitus ostendit, consummaui.' Der Ver-
merk Paul Hasens auf dem Vorderdeckel stammt aus dem 15. Jahrhundert: , Ser-
mones congregacio aquarum multarum. Item sermones epistole et euangelia (!)
per totum annum et de sanctis collecte Wyene annorum XXI et ista quae conti-
nent in marginibus non sunt de ipsos (!) sermonibus, sicut in forma stant, sed sunt
^ collecta a diuersis doctoribus. Et registrum in fine libri, quid in quolibet euan-
gelia (!) seu epistola et eciam de sanctis continetur. Quicunque post mortem istius
libri usum habuerit in suis oracionibus memoriam habeat mei propter deum scilicet
Pauli Hasen de Windsheim, quia cum maximis expensis libros meos collegi et deo
f adiuuante, sicut rei exitus ostendit, consummaui. Istum librum appreciaui Erffordie
decem sexagenis antiquis.' In der Matrikel von Erfurt ist der Schreiber dieses
4*
52 n. Die Predigten des Frater Ludovicus.
tempore', welche identisch mit den in CLP 719 enthaltenen 56 Sonntags-
predigten sind. Es sind, wie in CLP 719, 56 Sonntagspredigten; auf
Bl. 63' aber wird noch eine ,dominica ultima' mit dem Evangelium
vom Gerichte verzeichnet und bemerkt: ,De isto iudicio require in
sermone: Et dixit qui sedebat in throne'; dieser Sermo ist der Sermo 34
de Communi Sanctorum des Frater Ludovicus, und zwar de consecratione
in CLP 719 Bl. 133'. In CLP 639 stehen die Sermones Ludovici de
Communi Sanctorum nicht.
Ein noch früheres Zeugnis für die Verfasserschaft des Frater
Ludovicus liegt in der Pergamenthandschrift 730 der Grazer Universi-
tätsbibliothek vor, die, wie bereits früher bemerkt wurde, etwa aus
dem zweiten Dezennium des 14. Jahrhunderts stammt. Der Redaktor
dieses Predigtwerkes verv/eist an vier Stellen auf die Sermones Ludo-
vici Bl. 24^: , Require in Ludovico Sermo V. Das ist Sermo dominica
infra nativitatem in CLP 719 Bl. 6. In diesem Sermo werden die
mirabilia und miranda der Menschwerdung Christi behandelt, von
welchen auch der Sammler im CGraec. 730 spricht. Unmittelbar darauf
steht wieder eine Verweisung ^ : , Require ibidem in sermone : Erant
pater et mater' : damit ist derselbe Sermo gemeint. Ein weiterer
Verweis findet sich im CGraec. 730 BL 35^ 2. , Require in Communi
Ludovici XXir, welcher Sermo dem siebten Sermo de Confessore in
CLP 719 Bl. 115' entspricht. Auf dem nächsten Blatte der Grazer
Hs (36''') wird auf das , Commune Ludovici de confessoribus primum'
verwiesen 3; in CLP 719 Bl. 106 Sermo 16 de Communi Sanctorum.
Endlich verweist der CGraec. 730 Bl. 133^^ auf einen Sermo* ,in Com-
muni Ludovici' ,Vidi civitatem'; das ist Sermo 5 de dedicatione
Bl. 136' des CLP 719. Nach diesen Zeugnissen muß als festgestellt
gelten, daß dem Sammler des Grazer Predigtwerkes die in CLP 719
enthaltenen Sermones Ludovici de tempore und de Communi Sanctorum
vorgelegen habe.
Eintrags nicht zu finden. Der Eintrag ist dem Sclihiß vermerk nachgebildet. Paul
Hasen verstand sich auf das Büchersammelu besser wie auf das Latein. — Der
Vorderdeckel zeigt auf der Außenseite von einer Hand des 17. Jahrhunderts den
Vermerk : ,Fr. Rudolfi liber de officio Cherubyn. Fratris Ludovici sermones de
tempore. Fr. Conradi ab Nyzza Congregatio aquarum multarum siue ss. de sanctis.*
Eine Untersuchung über die Herkunft der einzelnen Stücke ist hier nicht am Platze.
1 Schönbach, Eine Grazer Handschrift 81. - Ebd. ^ gjj^
* Ebd. S. 102.
CGraec. 730 und die Predigten des Fraters. Abfassungszeit. 53
Somit ist nachgewiesen, daß die in CLP 719 von Bl. 11 bis 44 ent-
haltenen Predigten von dem Frater Ludovicus verfaßt sind. Der übrige
Teil der in CLP 719 vorliegenden Sam.mlung von Predigten (Bl. 144
bis 3060 l^ßt sich in seinem Ursprünge nicht ermitteln. Viele der-
selben verraten allerdings die Methode des Frater Ludovicus und die
Nachahmung Bertolds von Regensburg, welch letzterer auch darin zitiert
wird (Bl. 164). Die alttestamentliche Typologie und die Berücksichti-
gung des praktischen Lebens in vielen Predigten und einzelne auf-
fallende Übereinstimmungen in den Gedanken könnten zu der Annahme
führen, daß auch in diesem Teile Predigten des Fraters enthalten seien ;
indessen lassen sich diese Ähnlichkeiten in den Gedanken und in der
Ausführung auch ohne jene Annahme aus der Benutzung des Fraters
erklären. Eine beträchtliche Anzahl von Predigten dieses Teiles ähneln
den Sermones des Fraters sicherlich nicht. Der Eedaktor der Hand-
schrift hat außer dem abgeschlossenen Zyklus der Predigten des
Frater Ludovicus noch eine Sammlung Sermones de tempore und de
Sanctis zusammengestellt, die er den Predigten der den Frater Ber-
told und den Frater Ludovicus nachahmenden Prediger aus dem
Minoritenorden entnahm. Es finden sich nämlich auch mehrere Pre-
digten für die Feste der Minoritenheiligen Franziskus, Antonius, Klara,
sowie Sermones ad religiöses darunter. Im weiteren Verlaufe unserer
Abhandlung werden wir einige Stellen aus diesen Predigten mitteilen i.
Am Beginne des 14. Jahrhunderts müssen diese Predigten in
Ansehen gestanden haben. Das bekundet der CGraec. 730, in welchem
neben Konrad von Sachsen, Bertold von Regensburg und Greculus
auch die Sermones Fratris Ludovici zu Ehren kommen. Und das
verdienten sie auch.
Da das erwähnte Grazer Predigtwerk wahrscheinlich aus dem
zweiten Dezennium des 14. Jahrhunderts stammt, so wird man bei
der verhältnismäßigen Langsamkeit der Verbreitung der Bücher in
jener Zeit annehmen dürfen, daß der Frater Ludovicus in dem letzten
Dezennium des 13. Jahrhunderts seine Predigten verfaßt habe. Auf
dieselbe Zeit führt auch eine Bemerkung des Predigers über ein
* Unter den zahlreichen handschriftlichen Predigten der Münchener königlichen
Staatsbibliothek, die durch meine Hände gegangen sind, bin ich auf die Predigten
des Frater Ludovicus nicht gestoßen : damit soll nicht gesagt sein, daß sie sich in
den Hss der Staatsbibliothek nicht befinden.
54 n. Die Predigten des Frater Ludovicus.
Schisma in einem Orden — ohne Zweifel dem der Minoriten. Der
Status religiosorum liege darnieder — klagt er in dem Sermo 4 de
Communi Martyrum (Bl. 99) — ,foras (iacent) per concupiscenciam,
in terra per auariciam, gladio iam cadunt uel cadent propter scisma,
quod iam est in parte, breviter erit in toto et hereses que occulte
subintrabunt'. Wir vermuten, daß damit auf die Spaltung im Mino-
ritenorden angespielt wird, die unter Papst Bonifaz VIII. gefahr-
voller wurde, da derselbe die Begünstigungen, welche die strengere
Richtung im Orden unter Papst Cölestin IL erfahren hatte, zurücknahm.
In Italien war der Kampf zwischen der strengeren und der milderen
Partei unter den Minoriten fast zu einem Schisma ausgeartet. Der
Prediger fürchtet die weitere Ausbreitung der Spaltung, von welcher
die deutschen Minoriten bis dahin verschont geblieben waren. Wenn
der Frater weiter erklärt, die ,discessio a spirituali obediencia' sei
,iam in pocioribus', ,in cardinalibus, in archiepiscopis et multis pre-
latis' eingetreten 1, so trifft das für den Pontifikat Bonifaz' VIII. zu,
gegen welchen die Kardinäle Jakob und Petrus Colonna sich offen
empörten. Auch der Ausdruck , forte dico in cardinalibus' und die
Bemerkung, daß er von dem Eintreten dieser Vorzeichen der An-
kunft des Antichristen nur ,im geheimen' zu reden wage, verweisen
auf jene Zeit, in welcher es angesichts der Verfolgung der strengeren
Richtung unter den Minoriten gefährlich war, von diesen Dingen
offen zu reden.
Auf die letzten Jahre des 13. Jahrhunderts führt auch eine andere
Bemerkung des Predigers. Er findet die Vorzeichen der Ankunft
des Antichristen und des Eintrittes des letzten Gerichtes schon erfüllt;
denn der Abfall vom Imperium Romanum vollziehe sich, besonders
der Abfall von den ,electores', d. h. von den Kurfürsten. Diese Be-
merkung bezieht sich offenbar auf die Absetzung des Königs Adolf
von Nassau auf der Kurfürstenversammlung zu Mainz am 23. Juni 1298
und auf die Wahl Albrechts von Österreich, die nur von einem Teile
der Kurfürsten vollzogen ward. Trotzdem König Adolf am 2. Juli 1298
in der Schlacht bei Gölheim fiel, wurde Albrecht weder von den
gegnerischen Kurfürsten noch vom Papste anerkannt. Das nennt der
Prediger eine ,discessio a Romano imperio ab electoribus ipsius*
* S. unten S. 77.
Abfassungszeit. Ludovicus ein deutscher Minorit. 55
(Bl. 800- Demnach wird man das Ende des 13. Jahrhunderts als
Abfassungszeit der Predigten annehmen dürfen.
Der Frater Ludovicus war selbst Minorit, und die Spaltungen
im Orden gingen ihm darum nahe. Daß er dem Orden des hl. Fran-
ziskus angehörte, darf man aus der Erwähnung des Bertold von
Regensburg als ,eximii predicatoris fratris de Reynsborc' (Bl. 121),
aus dessen fleißiger Benutzung und aus der hohen Bewertung derer
schließen, ,qui sub uoto solempni sunt in castitate et obediencia et
sine proprio, non tantum speciali sed in communi et in paupertate
uiuunt et secundum euangelium Domini nostri lesu Christi' (Bl. 36).
Der Frater Ludovicus war ein Deutscher. Das beweisen die
Übersetzung des Ausdrucks ,cantus galli' mit ,bekre' (Bl. 102') und
die aus Bertolds Predigten übernommene Bemerkung ,Hereticus in
lingua nostra Kezzer appellatur' (daselbst), sov/ie überhaupt die starke
Benutzung des Regensburger Franziskaners. Von gewissen Sündern
sagt er (Bl. 61): , quasi per nasum, ut vulgariter dici solet, ducuntur
a dyabolo' ; das ist die Übersetzung des deutschen Ausdrucks ,an der
Nase führen'.
Wo der Frater gelebt hat, läßt sich mit Sicherheit nicht er-
mitteln. Wadding ^ erwähnt einen , Ludovicus Theutonicus', der wegen
seiner Heiligkeit berühmt war und in Perugia starb. Von einer
Predigttätigkeit desselben ist aber nicht die Rede. Dagegen führt Petrus
Rodulfius in seiner Geschichte des seraphischen Ordens'^ einen weder nach
der Zeit noch nach der Herkunft näher bezeichneten Frater Ludo-
vicus an, welcher ,Sermones feriales per totum annum, commune
Sanctorum et multa alia' geschrieben habe. Ob das unser deutscher
Minorit gewesen sei, muß um so stärker bezweifelt werden, als der-
selbe wohl Sermones dominicales, aber, soviel wir wissen, keine
Sermones feriales hinterlassen hat. Darf man aus der auffallenden
Erwähnung des Kaisers Otto I. und dessen Grabstätte einen Schluß
ziehen 3, so könnte man den Frater als einen sächsischen Mino-
riten bezeichnen.
Die Predigten sind thematische Spruchpredigten. Die
Ausführung derselben verläuft bei dem Frater Ludovicus aber nicht
so schematisch und schulgerecht wie bei dem Frater Konrad, viel-
' Annales V 278. ^ g_ 328. 3 ^i ^^
56 II. Die Predigten des Frater Ludovicus. '
mehr kommen oft Subpartitionen und auch Abschweifungen von dem
behandelten Gegenstande vor. Der Prediger bewegt sich ungleich
freier als der Frater Konrad. Er hält sich nicht bloß an die theo-
logische, schulgemäße Darlegung, sondern nimmt auch Rücksicht auf
das praktische Leben, auf die tägliche Erfahrung und die Zustände
seiner Zeit. Das kennzeichnet ihn als gelehrigen Schüler seines
Ordensgenossen, des Frater Bertold von Regensburg. In der
Tat klingen uns aus den Predigten des Frater Ludovicus überall
Gedanken Bertolds wieder. Wie Bertold liebt er die Verwendung
alttestamentlicher Typen zu moralischen Erörterungen, und von ihm
hat er die lebendigen Apostrophen an die Zuhörer gelernt; nach
seinem Beispiele beschäftigt er sich mit den Gebrechen der einzelnen
Stände und mit den Übeln, an welchen seine Zeit krankte. Wie der
Frater Ludovicus seinen Lehrmeister benutzte und zugleich seine
Selbständigkeit wahrte, werden wir unten sehen. Zunächst mögen
einige Predigtdispositionen folgen.
Am ersten Adventsonntage predigt Frater Ludovicus über den
Text ,Erunt signa in sole et luna et stellis et in terris pressura
gentium' (Lc 21, 25) in folgender Weise (Bl. 1'):
,Duplicem Domini aduentum in mundum testante sacra scriptura
cognoscimus: unum in carnis assumpcione, alium in extrema ulcione;
primus amoris et misericordie, secundus rigoris et iusticie. Quia uero
in euangelio de secundo scribitur, qui est in extreme examine, ideo
notandum, quod in hoc euangelio duo de ipso aduentu ad iudicium
describuntur : scilicet aduentum precedencia, ut sunt signa, in
quibus cognoscitur, quod ipse sit dies iudicii. Unde dicit: Erunt signa
in sole etc. Glossa : „ Propinquante die iudicii sonitus maris et fluctuum
confunditur, quia orbis terrarum prementibus se inuicem colonis in-
ficitur; maxima celi luminaria percussis nouo horrore radiis turba-
tam faciem uelant" ^ etc. Lege omeliam Gregorii, qui hec ad literam
uere dicit-. Secundo describuntur aduentum istum concomitancia,
ut est iudicium strictissimum. Unde sequitur: „Tunc uidebunt filium
hominis" etc.'
,Nota autem, quod est triplex signum sc. signum amoris, tri-
bulacionis, condempnacionis.' Das erste erschien in der Mensch-
' Walafridi Glossa ordinaria (Migne, P. L. CXIV 335).
2 Vgl. Hom. 1 in Evangelia (Migne, P. L. LXXVI 1077).
Die Methode. Predigtproben. 57
werdung Christi und in Maria; das zweite liegt ,in persecucione*, das
dritte wird ,in extremo examine' erscheinen. In der Ausführung über
das zweite signum behandelt er die Zustände seiner Zeit als Vorzeichen
des nahen Endes der Dinge. Wir teilen unten die Stelle wörtlich mit.
Reichhaltiger ist die Disposition zum 7. Sermo de Virginibus
(Bl. 128) über Est 5, 1: ,Die autem tertio induta est Esther
regalibus vestimentis.' Unter den drei Tagen versteht er die ,tem-
poralis vita, spiritualis gratia et aeternalis gloria'. Der erste Tag
bildet das Thema der Predigt. , Prima dies figuratur per quinque
quibus in hac usuali die se homines solent mutuo salutare': 1. Bonum
mane (Guten Morgen) id est bene incipias; 2. bonum diem (Guten
Tag) id est bene proficias; 3. bonum vespere (Guten Abend) id est
bene finias; 4. bonam noctam (Gute Nacht) — in iudicio finali;
5. Dens te benedicat remuneracione finali. Die dies gratiae et gloriae
behandelt er in dem Sermo 8 de Virginibus.
In dem 1. Sermo de Apostolis (Bl. 82) nimmt er als Text
Lc 10, 20: ,Gaudete quoniam nomina vestra scripta sunt in coelis'
und als Thema die vier Bücher: über humanae redemptionis, prae-
sentis conversationis, extremae ultionis, aeternae remunerationis.
, Primus liber humane redempcionis. Hie est liber passionis Christi,
quod nobis omnibus propono, ut legatis, quid miserie et quid pene
sustinuerit. Legant clerici et religiosi et confundantur, si huic scrip-
ture non compaciantur. Planum habes de hoc textum euangelicum,
planum propheticum oraculum. Et ueniant layci contra nos in testi-
monium et suum eis de passione aperiam librum, qui parietibus de-
pingitur cum passione Christi cum extensis brachiis, inclinato capite,
uulnerato corde expansi.' Bei der Passion des Herrn sollen wir be-
trachten den Grund, die Marter und den Nutzen derselben.
Das zweite Buch soll dir zeigen, wer du bist. Es hat
sieben Siegel; w^er diese nicht löst, wird nicht selig; bei der Lösung
erwäge: 1. peccata quae commisisti, 2. tempus quod amisisti,
3. pulchritudinem quam maculasti, 4. gratiam quam neglexisti, 5. iram
quam prouocasti , 6. poenam quam meruisti, 7. gloriam quam
demeruisti.
Das dritte Buch wird bei dem Gerichte geöffnet; es hat eine
dreifache Schrift: Mene, Tekel, Phares (Dn 5, 25 — 28). Das vierte
Buch ist das Buch des ewigen Lohnes (Mt 5, 3 — 12).
58 I^- Die Predigten des Frater Ludovicus.
Noch umfangreicher ist die Disposition in dem Sermo 1 de dedi-
catione (Bl. 129' — 132), in welchen er von den sieben Straßen
der Welt, der Hölle und des Himmels predigt. Die ,Vn plateae
mundi', die der Teufel gebaut hat, sind: 1. platea praesentis vitae
prosperitatis, 2. platea vitae adversitatis, 3. platea fraudis, in qua
mercatores, caupones, mechanici ambulant (,distingue quomodo mer-
catores uendunt pannum, quomodo in uino, quomodo in frumento,
qualiter mechanici, fabri, calcifices unusquisque in sua arte fraudem
facit') ; 4. platea luxuriae et foeditatis, , platea communissima et multi
saluarentur, si hec non esset et dyabolus'; 5, platea simulatae sancti-
tatis, die auch von vielen Religiösen betreten wird; 6. platea haere-
seos. ,Hee sunt sex platee ciuitatis mundi, quas circumeunt peccatores
prospere sibi succedere sperantes, ut uix est heu aliquis angulus
istarum platearum, quas non uisitent et tandem ueniant ad 7. plateam,
que ad infernum ducit: est mortis securitas'. Die civitas infernalis
hat folgende sieben Straßen: 1. tenebrarum, 2. sulphuris et foetoris,
3. ignis et ardoris, 4. nivis et frigoris, 5. demonis et vermis, 6. esuriei
et sitis, 7. miseriae sine spe. Gegen diesen Jammer ohne Ende
strahlen die sieben Straßen des Himmels in ewigen Freuden und un-
aussprechlicher Herrlichkeit.
Ahnliche umfangreiche Dispositionen finden sich besonders in den
Sermones de Communi Sanctorum, in welchen sich überhaupt die
Prediger des 13. und 14. Jahrhunderts sowohl im Inhalt wie auch
in der Form größere Freiheit gestatteten.
Unter den Hilfsmitteln, deren sich der Frater Ludovicus bei
der Ausarbeitung seiner Predigten bediente, ist in erster Reihe die
Heilige Schrift und deren Glosse zu nennen. In dem reichen und
mannigfaltigen Gebrauch derselben folgte er der Ordenstradition, die
durch Konrad von Sachsen und durch Bertold auch in Deutschland
üblich geworden war. Aus der Glosse entnahmen die Prediger auch die
Interpretationen der hl. Väter, die sie überdies in großer Fülle auch
in Gratians Dekrete fanden. Unter den älteren Autoritäten finden wir
neben Augustinus Isidor von Sevilla, von den jüngeren Rupert von Deutz,
die Minoritentheologen Rupellus (Johannes de Rupella, de la Rochelle,
t 1245) und Bonaventura und endlich besonders Hugo von St Yictor^
^ Bl. 129 wird irrig ,Richardus de arclia' zitiert; die zitierte Stelle steht aber bei
Hugo von St Victor, De arca Noe II 2— 4 (Migne, P L. CLXXVI 655— 658).
i
Dispositionen. Hilfsmittel. Denkverse. 59
zitiert, dessen Schriften für homiletische Zwecke in Deutschland viel
gebraucht wurden ^
Die wichtigste Unterlage für seine Arbeit Avaren die Predigten
seines Ordensgenossen Berfcold von Regensburg. Wie er dieselben
benutzte, werden die weiteren Mitteilungen zeigen.
Wie bei Konrad von Sachsen finden sich auch bei Frater Ludovicus
Denk verse. So bei einer Belehrung über die Beichte, die für Geistliche
bestimmt war'-. Diese Verse stehen in der vorliegenden Form nicht
in der Summula Raymundi, gehören also zu den Denkversen, die in den
Schulen zur Unterstützung des Gedächtnisses in Übung waren. Die cir-
cumstantiae, nach welchen der Confessarius zu fragen hat, lauten hier ^ :
Quis, quid, ubi, cum quo, quociens, cur, quomodo, quando,
quilibet obseruet anime medicamina dando.
Die Reservatfälle werden in folgende Verse zusammengefaßt*:
Qui facit incestum, deflorans aut homicida,
sacrilegus, patrum percussor uel sodomita
et uoti fractor, periurus sortilegusque
pontificem [querat] nee non qui miserit ignem ;
per papam clericum feriens, falsarius, urens
soluitur, quisquis audet celebrare ligatus.
Die Verweigerung der Absolution wird in folgenden Fällen als
notwendig hingestellt ^ :
Non absoluetur sua qui peccata fatetur
non bene contritus uel cui non principamus,
enormis factus, non subditus aut alienus.
Im Zusammenhang mit dem Bußsakramente erklärt er die
Krankheit des Hydropicus moralisch und zitiert den Vers:
Ydropicum uites quia nomen finit in ites,
und fügt hinzu: .scilicet timpanites, ascites' 6.
In der Predigt über die Eucharistie ^ zitiert er den Vers : ,Sumitur
occulte Christus, non sit tibi stulte' ; die Fortsetzung lautet bei Ber-
told: ,horror uel risus sitque lucrosa fides'^.
^ Vgl. auch das Autorenverzeichnis aus den Bertoldschen Predigten bei
Schönbach, Die Überlieferung Bertolds II 73 ff.
2 Dominica V in Quadragesima Bl. 24—25. ^ ßi 24'.
* Bl. 24; vgl. Summula Raymundi Bl. 127'. ^ Bl. 25.
'^ Bl. 24. Timpanites, Windsucht; ascites (dcrxog), auch asclites, Bauchwasser-
sucht; siehe Diefenbach 584, 53.
■^ Bl. 107. ^ Schön bach, Bertold gegen die Ketzer 71.
60 IL Die Predigten des Frater Ludovicus.
Die nachfolgenden Mitteilungen werden die Predigtweise des
Frater Ludovicus noch heller beleuchten. Bei der Auswahl derselben
haben uns vor allem religions- und kulturgeschichtliche Rücksichten
geleitet.
1. Welt und Kirche.
In den Predigten des Frater Ludovicus finden die Freuden und
Leiden seiner Zeit ihren Widerklang. Tiefernst, fast pessimistisch ist
die Weltanschauung des deutschen Minoriten, den die nach der kurzen
Zeit des Friedens von neuem entstandenen Wirrsale im Reiche und
die trübe Lage der Kirche ängstigten. Rückschauend in die Ver-
gangenheit beklagt er den Abfall von den erhabenen Idealen christ-
licher Vollkommenheit und erblickt in der Gegenwart überall Habsucht
und Trug, Sinnlichkeit und Gewalttat.
Der Sermo 6 de Confessore ^ behandelt im Anschlüsse an den Text
, Super pauca fuisti fidelis' etc. (Mt 25, 21) die fidelitas 1. amici ad
amicum, 2. servi ad dominum, 3. prelati ad subditum. Bei der Aus-
führung zum zweiten Punkte geht er von Dn 8, 3 ff aus (,ecce
aries unus stabat ante paludem habens cornua . . . vidi arietem cornibus
ventilantem ...'): , Aries significat bonam et mundam uitam ecclesie, quam
primo habuit, cornua significant duplicem dileccionem ipsius (ecclesie) . . .
Notandum est quod hie aries id est bona uita uentilabat cornibus id
est extendit caritatem; primo contra orientem id est primum statum ec-
clesie, in qua fuit tanta Caritas in apostolis et aliis sanctis, quod erant
eis omnia communia et cor unum. Et hoc durauit annis CCC et plus
usque ad beatum Siluestrum papam et usque ad Constantium impera-
torem, qui pacem dedit ecclesie. Et tunc aries id est bona uita uentilabat
cornibus contra meridiem, quia publice seruierunt Domino sancti et in
tanto [feruore] fuerunt, ut se ipsos cruciarent ieiunando, affligendo,
uigilando, leprosis seruiendo. Et hoc durauit annis CCC, parum minus,
usque ad beatum Gregorium papam. Tunc incepit regnare Leo papa
et Karolus rex et paulatim tepuit Caritas. A quibus fluxerunt CXL
anni usque ad Ottonem Magnum, qui sepultus est in Megdeburch. Et
heu ! ab occidente iam temporibus nostris uenit hircus caprarum' (Dn 8, 5)
quod est animal olidum et fetidum id est inmunda uita et fetida, et
totum mundum sibi subiugauit. Et , uenit ad arietem' id est bonam
' 131. 114 115.
Geschiclitsperiodea. Verfall des religiösen Lebens. 61
uitam ecclesie, ,comminuit duo cornua eius' id est duplicem dileccionem
et conculcauit et miiltos iam in ecclesia uiros et miüieres, religiosos et
seciilares sibi subdens. ,Et nemo quibat eum liberare de manibus eius.'
Temptant eum liberare fratres Minores et Predicatores , sed omni
predicacione non possunt ecclesiam ad bonum statum reducere nee
grisei nee nigri monacbi. Heu! inclinata est domus ecclesie iam ad
ruinam, ut uix ab aliquo possit restaurari, facta est quasi uestimentum
uetus, quod cum in uno loco consuitur in alio loco fit scissura.' ^
,Primus pes hirci, qui multos conculcat in ecclesia est tepiditas,
Ita enim iam tepidi sunt bomines in dileccione dei, quod puto iam
inminere id tempus, quod predixit deus in euangelio: ,Quoniam super
habundauit iniquitas, refrigescet Caritas multorum' (Mt 24, 12), illa
scilicet, que in primitiua ecclesia in tantum bomines inflammauerat,
ut se ipsos cruciarent. Hec ita refrigerauit ut iam pauci uelint ser-
mones audire, ad missam ire, elemosinam dare. Hoc pede concul-
cantur miles et rusticus, mercator et clericus, et quod lamentabile
est, conculcantur religiosi, qui deteriores omnibus fiunt, cum tepescunt.'
Der zweite Fuß des hircus ist die fraus, die nun an den Gewohn-
heiten der Handwerker getadelt wird ; der dritte die carnalitas, der
vierte die incredulitas; bezüglich der letzteren erhält der Prediger die
Anweisung: ,dic qualiter per incantaciones cum baptismo et crisma'^.
In andern Predigten teilt er die ganze Geschichte der Kirche in
zwei Perioden ein: in die Zeit der Märtyrer, in welcher die christliche
Liebe herrschte, und in die Zeit der Versuchungen und Trübsale. Das
führt er ^ im Anschlüsse an Apc 6, 3 : ,Cum aperuisset sigillum se-
cundum, ecce equus rufus' etc., aus. Das rote Roß bedeutet die Ver-
folgung der Kirche zur Zeit der Märtyrer. Die Reiter dieses Rosses
^ In einem Sermo de s. Francisco in CLP 719 Bl. 237 wird dieselbe Vision
zur Schilderung des Elendes in Kirche und Welt gebraucht. Die beiden Hörner
des ,aries', d. i. der Kirche, ,fides* und , Caritas', sind von dem .hircus' gebrochen ;
die Töchter der , Caritas', Keuschheit, Demut und Wahrheit zertreten, niemand ver-
mag die Kirche, welcher der Untergang droht, zu retten. ,Opponitur princeps
principi, miles militi, filius patri, uir uxori, religiosus religioso.' Vgl. zum Ganzen
unten S. 67 die Stelle aus Bertold.
^ In Sermo dominica LX BL 17 — 18 wird ,aries' als die menschliche Seele ge-
deutet, welche die Sünde (hircus) zertritt. Vergeblich bemühen sich , predicatores
et confessores', sie zu befreien; sie liegt danieder, zertreten von den vier Füßen
des ,liircus' ; diese sind: ,obliuio beneficiorum, desidia bonorum, ignorancia suppli-
ciorum, delectacio peccatorum'. ^ Sermo 4 de Martyribus Bl. 99 100.
4
i
62 II- Die Predigten des Frater Ludovicus. t
waren Nero, Diokletian, Maxentius u. a., denen das große Schwert
(Apc 6, 4) in die Hände gegeben ward. Dieses Schwert herrschte
von dem Tode des Erzmärtyrers Stephanus bis zu den Tagen des
Papstes Silvester. Nun aber kam ein anderes, gefährlicheres Schwert,
welches bis zur Zeit des Antichristen herrscht. Dieses geistige Schwert
ist die Versuchung, die wie ein Schwert die Seelen verwundet:
, Est ista gladius duplex, scilicet euaginatus et occultus. Primus
est euaginatus id est manifesta seductio, qua diabolus multos inter-
ficit. Nulli enim parcit iste gladius ; aliter enim uulnerat milites
exactionibus . . . aliter senes per auariciam, qui maxime hoc vicio sedu-
cuntur . . . aliter iuuenes per luxuriam, aliter mulieres per superbiam,
quarum superbia uesice pleno uento comparatur cum VII pisis, que
plus tonant quam saccus et hee in nihilum rediguntur, cum infirmi-
tate uel mortis aculeo punguntur quemadmodum si acute acu uesica
plena uento perforatur . . . aliter mechanicos per fraudulenciam . . .
,Secundus est gladius occultus, qui iam incipit percutere id est
occulta temptacio, qua homines seducuntur. Iam enim incipit impe-
diri Salus animarum , cum inhibetur confessio et alia bona opera.
Quidam uolunt dampnari pocius quam alii confiteri et saluari. Heu
quam multos iste gladius interfecit^ Iam enim minoratur ecclesia
^ Eine Parallele zu dieser Stelle bieten die beiden Sermones de s. loanne Bap-
tista in derselben Hs Bl. 199' — 201 über den Text: ,Posuit os meum quasi gla-
dium acutum' (Is 49, 2). In der ersten Predigt wird als erstes Schwert genannt:
, gladius predicacionis. Hoc gladio docentur pugnare iuuenes, ut si necesse
fuerit sciant pugnare. Vulgariter iste gladius appellatur sclii rmscli w erth.' Das
zweite heißt , gladius dimicacionis vulgariter campswert'; das dritte , gla-
dius ulcionis'. Die zweite Predigt bietet eine andere Reihe von Schwertern : , Gla-
dius euaginatus = manifesta tentacio*, die offene Verfolgung und Verführung.
Dann fährt er fort (Bl. 201): ,Secundus gladius est occultatus qui uoeatur
sicha, qui portatur occulte in baculo, qui uoeatur vulgariter stabswert. Per
istum figuratur occulta temptacio. Et hoc gladio multi et religiosi corruunt quasi
ignoranter, sed ignorancia crassa est et supina et non excusat, ut dicit Augustinus.
Hoc gladio percutitur miles, cum dicit : Domine, exactiones in meos facio, sed bene
deseruio cum pro ipsis laboro equitando, platitando ; caue miles, ne istud sit s i c a
id est occultus gladius, . . . quia frequenter ipsos rodis, sed non eis, ut asseris, seruis.
Hoc gladio percutitur usurarius uel malus mercator, cum dicit: timeo aliquas in-
iustas res habere, sed satisfaciam deo, quia cum XX marcis filiam meam in claustro
locabo. Tu stulte, tu teneris lilie tue subuenire et reddis in uicesimo, cum reddere
debes in centesimo ; insuper non reddis, cui deberes reddere. Hoc gladio percutitur
religiosus cum tepide seruit domino in ieiuniis, in uigiliis; dicit enim: timeo quod
corpus destruam per nimiam abstinenciam et post aliquos annos seruire non potero
Geschichtsperioden. Die Schwerter Verfolgung und Versuchung. 63
maxime in sacerdotibus et religiosis propter scisma, quod iamdiu in-
cepit. Parum perficimus quod predicamus. Si in una parte ecclesia
dei edificatur, in altera destruitur. Occultus est hie gladius; iam
hereses pullulant ; sed maxime hoc erit temporibus antichristi, cum
dicatur: ,Ecce hie est Christus aut illic (Mt 24, 23). Immo et iam
hie dicitur, quando prelati et religiosi dissenciunt in consiliis: aliter
dicit magister Ar., aliter magister H. et sie de singulis^. ,Sacerdotes
eoruni in gladio ceciderunt' (Ps 77, 64). Heu ad quem statum per-
uenit ecclesia! Hec conqueritur lamentabiliter (Thr 2, 21): ,Iacuerunt
in terra foris puer et senex, uirgines mee et iuuenes mei ceciderunt
gladio.' Glossa: Gladio spirituali. Per senes status prelatorum [intel-
ligitur], qui per maturitatem et scienciam senes appellantur. Per pueros
Status coniugatorum, qui heu iam pueri sensibus. Glossa : Puer C an-
norum uel X annorum. Per iuuenes et uirgines status religiosorum acci-
pitur in duplicem sexum. Plurimi isti foris iacent in terra et gladio
occulto cadunt. Non de omnibus dico propter sanctos et bonos, sed
foras [iacent] per concupiscenciam, in terra per auariciam, gladio iam
cadunt uel cadent propter scisma quod iam est in parte, breuiter erit
in toto et hereses, que occulte subintrabunt.'
Die Schilderungen der Geschicke und Leiden der Kirche und des
sittlichen Niederganges der Christenheit klingen meist in die Erwar-
tungen der letzten Zeiten der Menschheit aus. Ehe wir die An-
schauungen unseres Predigers darüber hören, ist es notwendig, seiner
Geschichtsbetrachtung unsere Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Geschichte der Offenbarung Gottes an die Menschheit wurde
von alters her in die Zeit ante legem, sub lege und sub gratia ein-
geteilt. Seit den Tagen des hl. Augustinus waren die Theologen ge-
wohnt, die Geschichte der Menschheit in sechs Perioden zu teilen : von
Adam bis Noe, von Noe bis Abraham, von Abraham bis David,
von David bis zum Exil, vom Exil bis zur Predigt Johannes des
Täufers und von Christus bis zum Ende der Tage. Die siebte Periode
et cro onus aliis. 0 quam discretus es ; caue ne sit sica, gladius occultatus. . . .
Tercius gladius est inflammatus uel exacerbatus qui uulgariter mordeswert
uocatur. Hoc gladio reprobi eternaliter punientur ! Über die einzelnen deutschen
Bezeichnungen der Schwerter vgl. Lex er II 758; I 1508; II 1141 2208.
^ Vielleicht meint der Frater mit Ar, den Magister Hugo de Argentina, Domi-
nikaner (t 1280) und unter H. den gelehrten Franziskaner Alexander von Haies
(t 1245).
54 II. Die Predigten des Frater Ludovicus.
beginnt mit der Wiederkunft des Herrn und dauert ewiglich; sie ist
der ewige Sabbat. Als Typen dieser Entwicklung galten die sechs
Schöpfungstage und der Schöpfungssabbat, oder auch die sechs Lebens-
alter— infantia, pueritia, adolescentia, iuventus, virilis aetas, senectus^.
Die mittelalterliche Geschichtsphilosophie nahm diese Einteilung auf,
bildete sie aber weiter aus und zog die Entwicklung der Kirche von
ihrer Gründung an bis zu dem Ende der Dinge in ihren Betrachtungs-
kreis. Für die letzten Schicksale der Kirche und der Menschheit boten
die prophetischen Visionen bei Daniel und in der Apokalypse die Unter-
lage. Otto von Freising geht bei seiner Einteilung der Geschichte
der Kirche von dem Gesichtspunkte der Verfolgungen der Kirche aus:
zuerst die gewaltsame Verfolgung durch die heidnischen römischen
Kaiser, dann die betrügerische der Ketzer, drittens die geheime der
Heuchler und viertens endlich die schlimmste durch den Antichristen 2.
Unter mannigfacher Umgestaltung der bisherigen Auffassungen ver-
kündete gegen Ende des 12. Jahrhunderts der Abt Joachim von
Fiore in Kalabrien (f 1202) eine neue Lehre von der Einteilung der
Zeiten und von der Konkordanz zwischen dem Alten Testamente und
der Geschichte der Kirche. In drei Zeitaltern vollzieht sich nach
seiner Anschauung die geschichtliche Entwicklung. Das erste ist der
Status coniugatorum in der Unvollkommenheit der alttestament-
lichen Ordnungen, welche Typen des Zukünftigen sind; es ist der
Status dei patris. Das zweite Zeitalter ist der status cleri-
corum; es beginnt mit Christus und begreift die Entwicklung der
Kirche bis zum Jahre 1260 in sich; es ist der status dei filii.
Das dritte Zeitalter ist der status monachorum; es wird schon
von Joachims Zeit (1195) an vorbereitet durch die Sendung eines
machtvoll wirkenden ,praedicator veritatis', welcher die Reinigung und
Erneuerung der Kirche im Heiligen Geiste herbeiführt; vom Jahre
* Vgl. Augustinus, De Genesi contra Manichaeos I 22 und Tractatus in
lohannem IX 6; XV 9 (Migne, P. L. XXXIV 190-193; XXXV 1461 1513 u. a. St.
Vinzenz von Beauvais, Speculum naturale XXXII 22 26 (I 2415 2419).
' Otto Frisingensis, Chronicon VIII 1 (M. G. SS. XX 278): ,Sicut ex
scriptura sacra docemur, civitas Christi primo violentam a civitate mundi sub
tyrannis infidelibusque regibus, secundo fraudulentam liaereticorum, tertio fictam
pyochritarum tempore persecutionem passa, ultimam tarn violentam quam fraudu-
lentam fictamque ac omnium gravissimam sub Antichristo passura erit.' Vgl.
S c li m i d I i n , Otto von Freising 27 ff.
Otto von Freising. Joachim von Fiore. Die Minoriten. 65
1260 an beginnt dann der statu s sancti Spiritus, der letzte
Kampf gegen das Böse und den Antichristen^.
In dem zweiten status unterscheidet er sechs tempora: 1. die
I Zeiten der Apostel, 2. der Märtyrer, 3. der Freiheit der Kirche von
I Konstantin an und der alten Häresien, 4. der Eremiten und Mönche
I bis zu Karl dem Großen, 5. der Häretiker seit Karl dem Großen,
6. der beginnenden Erneuerung von 1195 bis 1260 2.
Diese Geschichtseinteilung begründet der schriftkundige Abt in
seiner Erklärung der Apokalypse und seiner ,Concordia', in welcher
er die Analogien in der Geschichte des Alten Testaments und der des
Neuen und der Kirche nachzuweisen sucht. Wunderlich und oft wider-
sprechend sind die Deutungen von alttestamentlichen Personen, Er-
eignissen und Visionen ; schwer zu verfolgen sind die Gedankengänge,
welche der phantasievolle Abt von Fiore in der Erklärung der apo-
kalyptischen Visionen einschlägt; unklar in Zeichnung und Farbe ist
i das Bild, welches der einsame Asket in seiner stillen Zelle von den
I Geschicken der Welt und der Kirche entwirft. Aber das Geheimnis-
volle und Dunkle übte einen mächtigen Reiz aus und verschaffte
j dem Propheten von Fiore in all den Kreisen Anhänger, welchen die
I Besserung der Zustände in Welt und Kirche eine ernste Herzenssache
' war^. So gewannen die Gedanken Joachims denn auch Eingang bei
den Bettelorden, welche die Prophetie von dem ,praedicator veritatis'
in ihren Orden erfüllt sahen, und vor allem bei der strengeren Rich-
tung unter den Minoriten. Und wenn auch manche mit dem Frater
Sajimbene nach dem Jahre 1260, welches ohne die vorhergesagte
Katastrophe vorübergegangen war, an dem Propheten irre wurden,
so lebten doch dessen Ideen und apokalyptische Erwartungen unter
den Minderbrüdern fort und beeinflußten deren Anschauungen. W^o wir
also in der Minoritenpredigt des 13. Jahrhunderts auf pessimistische
' loachimi abbatis Concordia veteris et novi testamenti IV 33, 56. Vgl.
• Schott 157 ff, besonders 167 ff und Fournier 457 505; Huck 70 ff.
- loachimi Expositio in apocalypsin III 128 137 253; IV 160; Concordia
V 12 — 18, 66 ff. Die gleiche Einteilung findet sich bei Ubertin von Casale; vgl.
1 Huck 55 ff. Weder Fournier noch Schott erörtern die Joachimitische Geschichts-
I': auffassung.
^ Vgl. Kamp er s, Die deutsche Kaiseridee 71; Fournier 493 ff. Der
, als Prediger berühmte Minorit Lukas zitiert Joachimsche Schriften als Autorität.
1* Vgl. Schönbach, Die Überlieferung Bertolds II 103.
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. 5
QQ IL Die Predigten des Frater Ludovicus.
Auffassungen stoßen, wo wir in den Bildern von Zeit und Kirche
die dunkelsten Farben sehen, wo an die Klage über den sittlichen
Verfall sich die zuversichtliche Erw^artung des nahen Endes aller
Dinge schließt, dürfen wir den Einfluß der Gedanken des Abtes von
Fiore vermuten.
Auch Bertold von Regensburg läßt solche Gedanken merken,
die nun einmal zur Tradition der ernst gerichteten Geister des Ordens
gehörten i. Allerdings finden wir bei Bertold keine Spur von der Drei-
teilung der geschichtlichen Entwicklung in die Reiche des Vaters, des
Sohnes und des Heiligen Geistes ; aber Bertolds Perioden der Geschichte
der Kirche erinnern doch vielfach an Joachimitische Gedanken. Wie
bei letzterem bilden die Zeit der Apostel (bis Nero) und die Zeit der
Märtyrer (bis Konstantin) die Heldenzeiten der Kirche. Dann folgen
bei beiden die Zeiten der Asketen und Eremiten sowie der ersten
großen Häresien. Die fünfte Periode, die bei Bertold bis zur Ankunft
des Antichristen währt, ist gekennzeichnet durch den Verfall der
Sitten. Das trifft auch für die früheste Periode Joachims zu, der ins-
besondere die Ausbreitung der Ketzereien als hervorstechendes Merkmal
derselben angibt. Bei letzterem endet diese Periode aber in seiner Zeit,
während Bertold sie bis zur Zeit des Antichristen ausdehnt.
Der Frater Ludovicus hat diese Einteilung wesentlich verändert.
Die erste Periode umfaßt die Zeit der Apostel und Märtyrer bis Kaiser
Konstantin. Die zweite geht bis Papst Gregor den Großen und bringt
das Asketen- und Eremitentum zur Blüte. Die dritte erstreckt sich
von da an bis zur Zeit Karls des Großen ; sie ist gekennzeichnet durch
die allmähliche Erkaltung der Liebe. Dieses Schwinden des Eifers und
der Liebe setzt sich in der vierten Periode fort, die bis Otto den
Großen dauert. Von da ab — in der fünften Periode — schreitet
der Verfall in der Kirche immer weiter vor, so daß an einer Gesundung
gezweifelt werden muß. Die Abweichung des Frater Ludovicus von
Bertold ist um so auffallender, als er in der Kennzeichnung einzelner
Perioden dem Gedankengange des letzteren inhaltlich und zuweilen
sogar wörtlich folgt.
Bertold behandelt die , Septem tempora ecclesiae' im Anschlüsse
an das Evangelium des 20. Sonntags nach Pfingsten (,Hora septima
' Vgl. Scliönbach, Die Überlieferung Bertolds I 5.
Bertold und Ludovicus über die Geschichtsperioden. 67
reliquit eum febris'. lo 4, 52) i. Die sieben Zeiten werden durch
die siebte Stunde bei lo 4, 52 und durch die Öffnung der sieben
Siegel Apc 6, 1 ff vorgebildet. Das weil3e Roß des ersten Siegels
bedeutet die erste Zeit der Kirche, in welcher die Heiligen voll
Glaubensfreude und Liebe lebten. Diese Zeit dauert bis zu Kaiser
Nero. Mit der Öffnung des zweiten Siegels beginnt das rote Roß
seinen Lauf; das ist die zweite Periode der Kirche, die Zeit der Mär-
tyrer, von Nero bis Konstantin und Papst Silvester. Bei der Öffnung
des dritten Siegels erscheint das schwarze Roß; es beginnt die Zeit
der Büßer und demütigen Heiligen. Während das vierte Siegel ge-
öffnet wird, erscheint ein fahles Roß, welches die Heuchler und
Ketzer bezeichnet. Bei der Öffnung des fünften Siegels schaut Johannes
die Seelen der Gemordeten unter dem Altare. Das bedeutet die Zeit
der Versuchungen und Prüfungen. ,In hoc uero tempore sumus nos',
fährt Bertold fort, ,et qui ante nos aliquanto tempore fuerunt.
Hoc tempus est tempus corporis ^ et muliebre.' Denn die Menschen
sind fleischlich gesinnt, üppig, schwach in geistlichen Dingen, im Äußern
verweiblicht, ungerecht, unfriedlich, habsüchtig usf. Diese Zeit dauert
bis zur Ankunft des Antichristen.
Die Vision Daniels (Dn 8, 3 ff) von dem aries benutzt Bertold
an anderer Stelle zur Schilderung der ,bona uita' in der ältesten
' Kirche und des Niedergangs des sittlichen Lebens in der späteren
Zeit^. Aus Bertold nahm Frater Ludovicus dieses Bild und mit
demselben manche Ausführungen sogar wörtlich*. Der aries bedeutet
I das gute christliche Leben; es herrschte durch viele Jahrhunderte;
da kam der unreine, stinkende hircus, d. h. das sündhafte Leben,
bewältigte den aries, zerbrach dessen Hörner, d. i. die Gfottes- und
Menschenliebe, und unterwarf sich viele Seelen, Männer und Frauen,
Regularen und VVeltpriester, so daß sie niemand von seiner Gewalt
erretten konnte. Das versuchten zwar die , Minores et Predicatores';
aber deren Predigt war ebenso vergeblich wie das Gebet der ,grisei'
und anderer. ,Das Haus der Kirche neigt zum Einsturz und kann
kaum noch gestützt werden. Die Kirche gleicht einem Kleide, das.
^ Rusticanus de Dominicis, Sermo 55 CLinc. 4 Bl. 149 — 150.
- Hs : jtempus temporis'. das ist sinnlos; Schönbach schlägt vor: ,temporalis' ;
mir scheint , corporis' zutreffend zu sein; das entspricht auch der weiteren Ausführung.
3 Rusticanus de Dominicis, Sermo 26 CLinc. 4 Bl. 86^ * S. oben S. 60 61.
o
^g II. Die Predigten des Frater Ludovicus.
wenn es an einem Teile geflickt wird, an einem andern größere Risse
zeigt.' Als die vier Hörner, mit welchen der hircus die Kirche miß-
handelt, bezeichnet Bertold superbia, luxuria, invidia und avaritia.
Ludovicus führt das Bild, wie wir gesehen haben, anders aus^.
Auffallend erscheint, daß Frater Ludovicus die Regierungszeit
Karls des Großen und Papst Leos IIL als einen Wendepunkt in der
Geschichte der Kirche betrachtet. Er stimmt darin mit Joachim
überein, der den Verfall der Kirche und das Aufkommen der Patarener
von demselben Zeitpunkt an datiert 2. Wenn er dann diesen Verfall
mit dem Tode Ottos L sich verschlimmern läßt, so mag er damit einer
Auffassung Ausdruck gegeben haben, die in den sächsischen Landen
geherrscht hat. Dort war das Andenken an den großen Kaiser
lebendiger als in den andern Teilen Deutschlands erhalten ; mit seinem
Tode ging in den Augen seiner Verehrer die Herrlichkeit des Reiches,
das Glück des Volkes und der Friede der Kirche abwärts.
Die Kirche Christi — klagt Frater Ludovicus — ist von
Feinden umgeben, die sie mißbrauchen. Sie gleicht der
Levitenfrau, welche die Gabaaniten schändeten (Idc 19)^: ,Sponsa
Christi est ecclesia quam deducit Christus per hunc mundum ad patriam.
Cum ueniret iuxta Gabaa, quod interpretatur uallis et signat miseriam
mundi, sol occubuit id est Caritas dei, et heu, uiri ciuitatis ipsam
arripiunt. Nunc trahitur ad plateam nobilium, nunc per plateam
dominarum, nunc clericorum et mercatorum, rusticorum et unusquisque
pro suo uelle ea* abutitur. Istud nunc sustinet Dominus in sua sponsa.
Audi, tu miser, quicumque es, qui sie tua abuteretur, tu exponeres
res et corpus pro ea. Et quid faciet Dominus pro sua carissima?
Audi quod sequitur: ,Mane facto' (Idc 19, 27). Hoc erit in nouissimo:
clamabit ad omnes filios Israel id est electos, qui omnes descendent
ad iudicium contra Gabaanitas et pugnabit per eo orbis terrarum
contra insensatos. Cum ad iudicium uenerint quasi iurati dicunt non
se reuersuros in celum nisi ulcione expleta contra Gabaanitas. Se-
quitur quod Omnibus aliis occisis sexcenti confugerunt in petram
Remon, quod interpretatur sublimis, id est Christum. Ad quem
sexcenti confugiunt id est sex genera hominum: 1. apostoli, 2. mar-
' S. oben S. 61. 2 Concordia V 17, 69.
3 Sermo feria II post Pascha Bl. 31'— 33. * Hs: ,ei*
i
Die Bedrängnisse der Kirche nach Ludovicus und Bertold. Der Kirche Schmuck. 69
tires, 3. innocentes, 4. qui in uoluntaria paupertate fuerunt et res
habuisse potuissent, sed pro amore clei dimiserunt, 5. eremite ut
Paulus eremita, 6. uere penitentes.
Das gleiche Thema behandelt Bertold im Sermo 32 de Com-
muni Sanctorum ^ Der ,adolescens Leuita' ist Christus, sein Weib ist die
Kirche; sie wird geehrt von den Aposteln, Heiligen und allen Guten,
aber von den Gabaaniten geschändet ,per omnes plateas id est per
diuersos status officiorum exceptis paucis'. ,Heu iam', fährt er fort 2,
,nimis male tractatur in platea militum et si non ab omnibus illis
tarnen fere ab omnibus. Similiter in platea ciuium, rusticorum, cleri-
corum, religiosorum, seruorum, feminarum, quia iam eorum pauci sunt
qui non confundant ecclesiam per rapinam uel aduocacias iniustas uel
incendia, per superbias et huiusmodi; et licet aliqui boni inter illos
inueniantur, qui non faciant, pauci tamen eorum sunt. Similiter eines
per uicia eis magis familiaria et alii diuersi status per uitia alia,
communiter autem maxime per auariciam et luxuriam nimiam, que
est in mundo.'
Bertold schildert nun das Zeitlaster, die avaritia, an allen
Ständen. Nachdem er die Strafe der Gabaaniten erzählt, fordert er
die Prälaten und Richter auf, die Sünder zu strafen, und die Sünder:
jfugite ad petram sc. Remo [quod] interpretatur ecclesia uel congre-
gacio iustorum'. Frater Ludovicus hat wohl das biblische Beispiel
entlehnt, erschöpft aber die moralische Deutung vollständiger und be-
friedigender als Bertold. Auch dabei zeigt er eine schulgemäßere
Behandlung der Themata.
Wie trüb sich aber auch in den Augen des Predigers das Bild
der Kirche darstellt, so bleibt sie doch die geliebte und mit reichem
Schmuck gezierte Braut Christi. Christus hat sie ge-
schmückt^ durch L seine incarnatio, 2. seine passio, 3. die communio
panis, 4. die dignitas praelationis, durch welche ihr ein ,magnum
adiutorium a summo pontifice ad infimum archidiaconum' gewährt ist.
,Hos omnes irreprehensibiles esse, non uinolentos nee cupidos, ipsis
ait apostolus ad Timoth. (1 Tim 3, 2 3). Si rebus raritas precium
facit, nil in ecclesia preciosius, nil optabilius est bono uidelicet pastore,
' Jakob 79 Chn 7961 Bl. 51 u. 52. 2 gi 52^.
^ Sermo 6 de Virginibus Bl. 125'.
70 11- Die Predigten des Frater Ludovicus.
quia per eos ecclesia sustentatur', 5. das Wort des Predigers
— .si recte sencias, si digne proloquaris, si uiuendo confirmes — ,
6. den clavis absolutionis, 7. den status religionis, 8. das Schwert
der correctio, 9. die custodia angelorum, 10. die suffragia sanctorum,
11. die intercessio b. Mariae, 12. die ,appellatio Christi ad patrem'.
2. Der Antichrist und das Gericht.
I
Die Schilderungen der Zustände in Welt und Kirche läßt der
Frater Ludovicus wiederholt in die Erwartungen des nahen Welt-
endes ausklingen. Die Eschatologie, die Lehre von den letzten Ge-
schicken der Menschheit und der Welt, bildeten einen beliebten Lehr-
gegenstand der mittelalterlichen Theologie und Predigt. Augustinus
schließt damit sein großes Werk ,über den Gottesstaat', Otto von
Freising (f 1158) fügt den sieben Büchern seiner Chronik ein achtes
hinzu, welches systematisch die Lehre von dem Antichristen, dem Ge-
richte und dem Weltende behandelt^. Die mittelalterliche Glossen-
literatur beschäftigt sich eingehend mit diesem Thema. Aus der Glosse
und aus den Revelationen des Pseudo-Methodius trug dann Petrus
Comestor (f 1198) in der Historia scholastica alles zusammen, was
zur Beleuchtung dieser ebenso dunkeln wie reizvollen Yorstellungen
über die letzte Epoche des Menschengeschlechtes beitragen konnte.
Zeit und Stunde des Eintritts der großen Katastrophe hat Gott
in seiner gütigen Weisheit den Menschen verhüllt. Denn was der
Heiland in den Evangelien verkündet und was die Apostel andeuten,
gibt keinen sichern Anhalt zur Bestimmung eines Zeitpunktes für
das Weltenende. Um so freier und willkürlicher konnten sich die
Wißbegierde und die Phantasie der Theologen und Asketen auf dem
Gebiete der Eschatologie bewegen. Nur allzuoft waren die Zeitläufe
so traurig, die Leiden und Bedrängnisse der Völker so groß, daß man
die Anzeichen erfüllt sah, an welche die Schrift den Anbruch der
letzten Tage knüpft. In solchen Zeiten, in welchen die Menschen
unter den Geißeln von Krieg, Pest und Hunger rat- und hoffnungslos
seufzten, fanden die Erwartungen des nahen Weltendes überall Wider-
klang und die Prophezeiungen von der baldigen Ankunft des Anti-
Vgl. S c li m i d 1 i n , Die Eschatologie Ottos von Freising 4 ff.
Der Antichrist nach Bertold. 71
Christen und von dem Nahen des Weltgerichts willigen Glauben.
Grepflegt und gefördert wurde diese Neigung durch eine pessimistische
Lebens- und Weltanschauung, die sich in einflußreichen Ordens-
genossenschaften geltend machte und auch weitere Volkskreise nicht
unberührt ließ. Darum nahmen die eschatologischen Erwartungen
selbst die Gemüter solcher gefangen, die frei von phantastischen Nei-
gungen zu sein schienen.
Dazu rechnen wir den Frater Bertold von Regensburg.
Sein Interesse für eschatologische Lehren bekundet er durch einen
bislang noch nicht aufgefundenen Kommentar zur Apokalypse ^ Er
hielt es auch für angezeigt, in drei Predigten die Lehren von dem
Antichristen und von den letzten Dingen vorzutragen 2, Nach Bertolds
Anschauung lebten seine Zeitgenossen und deren nächste vorderen
Generationen im vierten Zeitalter der Kirche, das versinnbildet wird
durch das fahle Roß der Apokalypse (6, 9). Das ist die Zeit der
Ketzer und Heuchler, die Zeit der Erkaltung der Liebe, die Zeit der
Habsucht, der Sinnenlust, des Luges und Truges 3. Daß seine Zeit
die unmittelbare Vorgängerin des Antichristen sei, glaubt er aus der
Heiligen Schrift nachweisen zu können, und zwar aus den Stellen
Mt 20, 26; 24, 14; Lc 14, 16 17; 1 Cor 10, 11; 2 Tim 3, 1;
Hebr 10, 37; 1 lo 2, 18; lac 5, 9; Apc 22, 1 ^, Das sind nach
Bertolds Überzeugung^ die wichtigsten biblischen Zeugnisse für die
nahe Ankunft des Antichristen. Er hält sich bei der Deutung der an-
gezogenen Schriftstellen meist an die Glossa ordinaria^. Auch die
Erklärung von Lc 14, 16 17 stammt daher ^. Joachim von Fiore
erwartet vor dem Weltende den ,praedicator ueritatis'; im Grunde
genommen ist das der Gedanke, den die Glosse ausspricht. In den
' Vgl. Schönbach, Die Überlieferung Bertolds I 5.
2 Rusticanus de Dominicis, Sermo 8 (in der Hs 6) 12 55 CLinc. 4 Bl. 22'' 39
144'; vgl. Jakob 47 55. Sermo 8 u. 12 sind aus der Linzer Hs von Schönbach
» a. a. 0. I 5—31 als Sermo 6 u. 11 publiziert; es sind die beiden von Salimbene
( (s. unten S. 75) abgeschriebenen Predigten.
3 CLinc. 4 Bl. 149^ '^ Ebd. Bl. 23'.
^ Vgl. die beiden Sermones bei Schönbach a. a. 0., wo auch die biblischen
Stellen nachgewiesen sind,
« Walafridi Glossa ordin. aric. (Migne, P. L. LXIV 308 535 697).
' Lc 14, 16 17. Glossa: ,Hora cene finis est mundi, in hoc fine mittitur seruus
i id est ordo praedicatorum ad inuitatos per legem et prophetas, ut repulso fastidio
\ ad gustandam cenam se preparent. Christo enim immolato introitus regni patet.*
72 II. Die Predigten des Frater Ludovicus. ^
Kreisen der Anhänger Joachims glaubte man, dais dieser praedicator
in den jungen Orden der hll. Franziskus und Dominikus erstanden sei ^
Bereits seien, meint Bertold, der Vorhersagung des Herrn gemäß
viele falsche Christi und falsche Propheten — die schlechten Christen
und die Ketzer — gekommen. Zuletzt aber erscheint der Anti-
christ, dessen Ursprung, Wirken und Ende Bertold in den be-
zeichneten Predigten eingehend schildert 2. Aus dem Stamme Dan
(Gn 49, 17) in Babylon ,ex fornicatione' geboren, wird der Anti-/
Christ sein von Gott zugelassenes teuflisches Werk in Jerusalem be-
ginnen. Denn nach seiner Empfängnis verband sich ihm der Teufel
schon im Mutterleibe. In Jerusalem vv^ird er sich beschneiden lassen
und sich als den verheißenen Messias ausgeben. Und die Juden,
welche den wirklichen Messias töteten, werden an ihn glauben. Er
wird mit seinem großen Anhange die Völker unterjochen, die Könige
von Ägypten, Babylon und Äthiopien sich unterwerfen, die wilden
Völker Gog und Magog aus ihren Bergen herausführen zum Angriff
gegen die Guten ^ und endlich seine Wohnung in Jerusalem auf-
schlagen (Dn 11, 41—45; Ez 38 39; Apc 20, 7). Dort wird er
herrschen und die Völker verführen ; er wird sich in den wieder auf-
gebauten Tempel setzen und als Gott anbeten lassen (2 Thess 2, 3 — 11;
Dn 8, 11). Sein teuflisches Werk wird er ausführen durch List,
durch Wunder, mittels reicher Geschenke und durch Gewalttaten.
Er wird sich keusch und demütig stellen, während er voll Lüstern-
heit und Hochmut ist. Durch seine Wunder, die der Teufel in ihm
wirken wird, wird er viele verführen (Apc 13, 13); er wird sich tot
stellen und am dritten Tage wieder aus dem scheinbaren Tode auf-
erstehen und wie Simon Magus von Dämonen getragen in die Lüfte
fahren. In dieser Zeit werden die Gerechten Verfolgungen erleiden,
die alle früheren übertreffen werden (Mt 24, 21 22). Während der
Antichrist Wunder wirkt, schwinden die Wunder in der Kirche; der
Glaube der Gerechten soll geprüft und die Leichtgläubigkeit der Ver-
führten offenbar werden^.
' Vgl. Schott 171 ff und Fournier 496 ff.
^ Bertold gibt (Bl. 45) die Glosse aus Rabanus Maurus (Conimentarius
in Ezechielem 1. 13, c. 38; Migne, F. L. CX 867) wieder.
^ Sielie Sermo 12 Bl. 40 nach Gregor, Moralium 1. 32, c. 15 (Migne,
F. L. LXXVI 650).
Der Antichrist nach Bertold. 73
In seiner Erbarmung wird Gott diese Zeit der Trübsal abkürzen
(Mt 24, 22). Sie wird nur drei und ein halbes Jahr oder 1270 Tage
lauern. Zum Tröste der Gerechten wird Gott Henoch und Elias
mden, deren Predigt die Juden bekehren und die Frommen stärken
nrd. Aber der Antichrist wird sie töten, und ihre Leichen werden
im Schrecken aller auf der Straße liegen (Mal 4, 5 6; Mt 17, 10—12;
[c 9, 11; Apc 11, 3—8).
Wenn die Drangsal der Gerechten ihren Höhepunkt erreicht hat,
rird endlich Christus zu Hilfe kommen. ,Mit dem Hauche seines
[undes' wird er den Antichristen töten (2 Thess 2, 8), und der Anti-
terist wird auf dem Ölberge gegenüber dem Orte der Himmelfahrt
Ühristi zusammensinken und mit ihm das Reich der Bosheit und
fewalttat.
Noch kommt aber das Ende nicht. Denn Gott schenkt er-
krmungsvoll den Auserwählten noch 45 Tage zurBufse; das ist das
^roße , Silentium', welches der Ankunft des göttlichen Richters voran-
geht. Nach Ablauf dieser Tage treten die letzten Vorzeichen ein an
Sonne, Mond und Sternen, und das Gericht beginnt.
Bertold stützt sich bei diesen Ausführungen im allgemeinen
auf die Glossa ordinaria^ und auf die Glossa interlinearis, welch
letztere in dem Abschnitt über die letzten Dinge aus der im 12. Jahr-
hundert angefertigten lateinischen Übersetzung der Schrift des Johannes
Damascenus Mtjyj yvü)ozco<^^ geschöpft hat 2. Die Ausführungen Haymos
und Rabanus' zu den einschläglichen Schriftstellungen waren ebenfalls
Gemeingut der Theologen und Prediger 3. Neben Gregors Moralien
wird Isidor von Sevilla von Bertold benutzt* und einmal auch Hugo
zitiert 5, womit wohl — wenn auch irrig — Hugo von St Victor
1 Siehe Walafridi Glossa ordinaria (Migne, P. L. CXIV 161 308 622 729
733 734).
2 Vgl. Schönbach, Die Überlieferung Bertolds I 28.
^ Haymonis Expositio in epistolam II ad Thessalonicenses (Migne, P. L. CXVIt
779—781); in Apocalypsin (ebd. 1044 1094—1102). Über die Glosse Rabanus' zu
Ezechiel s. oben S. 72.
* Vgl. Schönbach a. a. 0. I 30.
^ Sermo 12 Bl. 40^; vgl. Schönbach a. a. 0. 23. Schönbach glaubt, daß das
Zitat sich auf Hugos Schrift .Quaestiones in epistolam II ad Thessal.' (Migne,
P. L. CLXXV 589 ff) beziehe, und meint, daß Bertold in den Sermones 8 und 12
< diese Schrift benutzt hat. Letzteres wird kaum nachzuweisen sein, da Hugo auch
nur auf der Glosse fußt. Ich glaube eher, daß Bertold die Schrift Richards von
74 II. Die Predigten des Frater Ludovicus.
gemeint ist. Auf Grund der Glossen zu den oben zitierten Stellen
hatte sich eine feste Tradition über den Antichristen gebildet, welche
Honorius von Autun^, Otto von Freising 2, Petrus Comestor^, die
hl. Hildegard* und Vinzenz von Beauvais^ wiedergeben.
Zu dem Glauben an das nahe Auftreten des Antichristen be-
stimmten den beredten Missionsprediger der ihm täglich entgegen-
tretende Verfall von Zucht und Sitte, der Egoismus, die Habsucht
und die Unsittlichkeit, gegen welche er mit dem ganzen Feuer seiner
Beredsamkeit eiferte. ,Wir sind', ruft er, ,am Ende der Welt.'^
.Jetzt ist zwar etwas Ruhe; aber wir fürchten, daß binnen kurzem
jene gefahrvollen Fluten über die Kirche hereinbrechen werden, die
für die Zeiten des Antichristen vorhergesagt sind.' Damit nun die
Gläubigen sich vor den kommenden Gefahren schützen können, will
er sie über den Antichristen belehren'^, und wenn auch die Gefahr
nicht in der Gegenwart droht, so wird die Belehrung doch für die
Zukunft Nutzen bringen s. Bertold glaubt demnach an das nahe
St Victor, Exegetica in Apocalypsin 11. 7 gekannt hat, wo sich 1. 3, c. 7
(Migne, P. L. CXCVI 794) zu Apc 11, 11—13 nachstehender Vermerk findet:
,Sed sciendum quod ea quae hie dicuntur per praeterita, intelligenda sunt secundum
tempus futurum. Mos est namque prophetiae sie nonnumquam narrare futura, quasi
iam essent praeterita/ Bertold faßt diese Bemerkung in die Worte zusammen:
,Si hec predicta (d. h. Apc 11, 11 — 13) contingant ad literam vel tantum mistice,
dubium est, ut dicit Hugo/
^ Speculum ecclesiae, dominicaXXlII (Migne, P. L. CLXXII 1076); EUucidarium
III 10 (ebd. 1163).
2 Chronicon VIII 1 ff. MG. SS. XX 278 ff. Vgl. Seh midiin, Otto von
Freising 4 ff. Otto ist nicht, wie Büdinger (Die Entstehung des achten Buches
Ottos von Freising, in Sitzungsber. der Kaiserl. Akademie der Wissensch. zu Wien,
hist.-phil. Klasse XCVIII 352 ff) meint, von Pseudo-Methodius beeinflußt; vgl.
Schmidlin a. a, 0. 8.
3 Historia Scholastica (Migne, P. L. CLXXXIX 1454 1465 1466). Petrus
kannte den Pseudo-Methodius.
^ Liber divinorum operum pars III, visio 10 (Migne, P. L. CXCVII 1027
bis 1032).
^ Speculum naturale 1. 22, c. 103 104, t. I 2476 2477 nach Petrus Comestor;
Speculum historiale 1. 31, c. 109—111, t. IV 1324-1326.
« S. oben S. 67.
^ Sermo 12 Bl. 39. Vgl. Schönbaeh, Die Überlieferung Bertolds I 21.
^ Den Sermo 12 schließt er mit den Worten (Bl. 43; Schönbach a. a. 0. 31) :
,Omnia predicta de Antichristo ad hoc hiis sermonibus inserui, ut si non in pre-
senti, saltem alia (so die Hs; es ist ,aliqua' zu lesen) utilitas in posterum inde
eliciatur et fideles confortentur in fide Domini nostri lesu Christi qui cum patre' etc.
Der Antichrist nach Bertold. Arnald von Villanova. 75
Auftreten des Antichristen und darum will er die Gläubigen vor-
bereiten. Den Zeitpunkt läßt er aber klüglich unbestimmt. Diese
Predigten müssen einen tiefen Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht
haben. Der Frater Salimbene erzählt in seinen Lobsprüchen auf
Bertold, daß er von seinen Predigten nur zwei für sich abgeschrieben
habe, nämlich die beiden Sermones vom Antichristen^.
Die eschatologischen Träumereien wurden auch noch an der Wende
des 13. und 14. Jahrhunderts eifrig gepflegt, trotzdem sie sowohl von
der kirchlichen Autorität als auch von der Pariser Universität ernst-
lich bekämpft wurden. In diese Zeit fällt der Traktat des berühmten
Arztes Arnald von Villanova ,de tempore adventus Antichristi',
in welchem auf Grund der Schriften Joachims von Fiore das Ende
der Welt für das Jahr 1378 angesetzt wurde. Arnald erfuhr heftige
Anfechtungen; aber die ärztliche Kunst, mit welcher er den Papst
Bonifaz VIII. von einem Steinleiden befreit hatte, rettete ihn vor
dem Äußersten 2. Daß auch damals unter den deutschen Minoriten
das lebendige Interesse für die eschatologischen Ideen fortlebte, zeigt
die eingehende Behandlung derselben durch den Frater Ludovicus.
Frater Ludovicus beschäftigt sich in zwei Predigten mit dem Anti-
christen und mit dem Ende aller Dinge. In der Predigt am ersten
Adventssonntage bespricht er das dreifache Zeichen des Weitendes^.
Das zweite Zeichen ist die Verfolgung der Kirche^:
,Secundum signum est tribulacionis in ecclesie persecucione, que
erit et ante et circa tempora antichristi. Et hec signa similiter erunt
in istis tribus scilicet sole, luna et stellis. Unde : ,Erunt signa in sole,
luna et stellis' (Lc 21, 25). Et quando in bis tribus signa erunt, in-
minet maxima tribulacio. Unde sequitur: ,Et in terris erit pressura
gencium' id est inter nobiles, divites et pauperes, ut frater in fratrem . . .
consurgat id est ut alter alterum opprimat .... Et sicut in poten-
tatibus pressura, sie et arefactio in pauperibus qui roduntur. Unde
sequitur: ,arescentibus hominibus pre timore etc.' (Lc 21, 26.)
Legitur in Gn (1, 16) deum fecisse hec signa tria, solem, lunam et
Stellas, ut preessent diei et nocti. Sic spiritualiter hec duo magna
huminaria et quoque tercia id est stelle: solem id est papam, lunam
^ Chronica 325.
2 Vgl. Finke 209—226; der Traktat ebd. cxxix— clix.
' S. oben S. 56 57. ^ Bl. 2 2'.
75 IL Die Predigten des Frater Ludovicus.
id est imperatorem, Stellas id est prelatos ecclesie et religiöses et
clericos ^. Cum in his tribus signa uideris , scias quia tribulacio
prope est in ianuis .... Qualia autem hec signa sunt, ostenditur in
Apocalypsi (6, 12): ,Cum aperuisset sigillum sextum^ [et ecce terre
motus magnus factus est et] sol f actus est niger [tarn quam] Saccus
cilicinus et luna [tota facta est] quasi sanguis et stelle de celo
ceciderunt.' ^
Primo : sol fit niger id est obscuracio sedis apostolice, de cuius
obediencia discessio erit et paruipendetur uel propter malum statum
uel propter arroganciam prelatorum et spiritualium et secularium ecclesie,
in quorum cordibus sol nigrescet id est autoritas sedis apostolice non
curabitur.
Secundo : luna ut sanguis id est imperium, quod non curabitur,
quia discessio ab ipso erit id est quod uel non consenciat ecclesia con-
uenitur in unum uel nullus autenticus habeatur-*. De his duobus
dicitur glossa 2 Thess 2, 3: ,Ne quis uos seducat uUo modo, nisi
uenerit discessio primum.' Glossa : a Romano imperio uel ecclesiarum
spirituali obediencia papali, ut est prelatorum ^. Tercio : cadent stelle
de celo id est religiosi et alii prelati qui quasi stelle lucere debent
exemplo et doctrina, cadent de celesti conuersacione vel per auariciam,
que maxime in fine mundi regnabit uel luxuriam vel inuidiam uel
crapulam uel superbiam, que quinque peccata periculosissima in reli-
giosis sunt. Cum autem in his tribus signa uideris, scias quod prope
est regnum dei.'
Sucht der Frater in diesem Sermo nur zu zeigen, wie die Vor-
zeichen des Gerichts an Sonne, Mond und Sternen auch geistigerweise
zu verstehen seien, so geht er in der Predigt am 24. Sonntage nach
Pfingsten ausführlich auf die Ankunft und das Wirken des Antichristen
■ Der in der mittelalterlichen Literatur übliche Vergleich.
2 Hs hat irrig ,septimum'.
^ Die in Klammer gestellten Worte sind aus der Vulgata ergänzt.
* Der Prediger stellt zwei Möglichkeiten hin, die den Abfall von dem , Im-
perium' herbeiführen : es erfolgt eine Wahl, obwohl die Kirche nicht zustimmt,
oder es erfolgt eine zwiespältige Wahl; es streiten zwei Kaiser um die Krone; man
weiß darum nicht, wer der legitime sei. Der letztere Fall lag vor, als ein Teil
der Wahlfürsten den König Adolf von Nassau absetzte und Albrecht von Öster-
reich wählte. Diesen Fall hat der Prediger im Auge.
^ Vgl. Rusticanus de Dominicis 8 (6) bei Schönbach, Die Überlieferung
Bertolds I 6.
Ludovicus über die Vorzeichen des Weltendes und über den Antichristen. 77
ein. Fliehet, mahnt er, die Verführung der Welt, d. i. die Sünde,
die Predigt des Antichristen und fliehet endlich vor der ewigen Ver-
dammnis ^
Quedam breuiter dicere propono : 1. quando ueniat [antichristus].
2. quomodo concipiatur, 3. qualiter seducat, 4. qualiter potestas eius
finiatur.
Primo: Quando ueniat? ^ Ex huius signis perpenditur eius aduen-
tus . . . Post prelia, sediciones (Lc 21, 9; Dn 8, 23); quia ueniet in tem-
pore habundancie peccatorum, ,cum creuerit iniquitas' id est habun-
dauerit ,tunc surget rex impudens facie' — glossa: id est antichristus.
Item ueniet in tempore scimatis et discordie; 2 Thess 2, 3: ,Ne quis
uos seducat ullo modo, quasi instet dies Domini, id est iudicii, quia
nisi uenerit discessio', nisi prius gentes discedant a Romano imperio
uel discessio ecclesiarum a spirituali obediencia uel hominum discessio
ii fide. Cum timore et occulte et clam dico : hec tria iam sunt scilicet
discessio a Romano imperio et maxime ab electoribus ipsius; est eciam
discessio ecclesiarum a spirituali obediencia iam in pocioribus, forte
dico in cardinalibus, in archiepiscopis et multis prelatis^. Sequitur:
,et tunc reuelabitur ille nequissimus' 2 Thess 2, 8; glossa: antichristus,
quando hec predicta erunt certissima signa.
Secundo: quomodo concipiatur, nascatur et educetur*. Glossa
super Daniel: nascetur in Babilone antichristus de tribu Dan, de ob-
scuro loco Babilone ex seminibus parentum concipietur, post conceptum
autem antichristi spiritus malignus descendet in uterum matris eius,
cuius uirtute deinceps nascetur et aletur et cum uenerit lerosolymam
circumcidet se dicens ludeis: ,Ego sum Christus uobis missus' et qui
uolebant recipere Christum ... hü recipient antichristum tamquam
Messiam suum et credent in eum. Unde super illud Thess (II,
2, 3): .nisi reuelatus fuerit' etc. glossa: Cum uenerit lerosolymam
circumcidet se confluentque ad eum omnes ludei reedificabuntque tem-
plum a Romanis destructum sedebitque ibi dicens se dominum esse^.
' Bl. 80-81'.
- Vgl. dazu Bertolds Sermo 8 (6) bei Schönbach a. a. 0. I 6.
' S. oben S. 54.
" Vgl. dazu Bertolds Sermo 8 bei Schönbach a. a. 0. 8,
5 Vgl. Haymo, Expositio in epist. II ad Thess. (Migne, P. L. CXVIII 780)
Petrus Comestor, Historia scholastica (ebd. CXCVIII 1454).
78 II. Die Predigten des Frater Ludovicus.
Unde sequitur in textu, ,ut in templo sedeat tamquam sit deus se
ostendens (2 Thess 2, 4). Tercio: quomodo seducat. Apc 13, 8:
,Vidi aliam bestiam' etc. Glossa : Apostolos suos ipse per totum mundum
sparget et seducet inhabitantes terram et multis modis attrahet sibi
homines, quorum causa breuitatis tantum quatuor dicam.
Primo per p e c u n i a m ; habebit enim thesauros occultos , per
quos multos ad se trabet : duces, comites, iudices , barones, satellites,
eines et huiusmodi^ Secundo per sapientiam... Tercio per gra-
uissima tormenta. Quarto per signa Apc 13, 13. Item ymagines
loqui de parietibus uel ignem de celo descendere et plura alia. Si
autem hec omnia facient nuncii antichristi'-^, quis crederet predicatoribus
Christi et non pocius antichristi? Quod autem mortuos antichristus
suscitare possit, non inueni me legisse in autenticis libris, nisi tunc
demon intrans aliquem et sie suscitatus putetur. Utrum autem hoc
ei permittatur, nescio; deus seit; nunquam istud legi^.
Quarto, qualiter potestas eins finiatur. Quod fit tripliciter.
Prius, antequam hec fiant, uel plures decipiet. Dicit antichristus se
uelle in celum eis presentibus conscendere et post modum eos ad eterna
gaudia perducere et tunc simulabit se quasi per triduum mortuum et
tunc apparebit quasi resurrexit. Glossa super Apc 13 sub illo uerbo
,fecit signa magna' (Apc 13, 13): simulata resurreccione antichristi
apostoli eins predicacionis sue iacient fundamenta, sicut apostoli Christi
fecerunt-^. Tunc misericors deus, ut dicitur in Abacuc (3, 2): ,Cum
iratus fueris, misericordie recordaberis', uictus bonitate propria tri-
plicem conferet misericordiam : Primo quod breue erit tempus illud,
non CC annorum et dimidii, ut fuit tunc tempus prime persecucionis,
nee eciam C, nee X, sed tantum trium annorum et dimidii, ut iurauit
angelus in Daniel (7, 25), quia, ,per tempus et tempora et dimidium
temporis'. Secundo quod deus suos multum uerius confortabit . . . Tercio,
quod a multis milibus annorum, eciam a tempore ante diluuium re-
' Vgl. Bertolds Sermo 55 BI. 150.
2 CLP 639 hat nach »antichristi' noch: ,et nulluni Signum facient nuncii Christi*.
ä Von der Wiederbelebung der Toten spricht auch Bertold nicht, H a y m o
(Expositio in Apocalypsin 1. 4, c. 13 [Migne, P. L. CXVII 1099]) und Honorius
von Au tun (Ehicidarium 111 10 [ebd. CLXXIl 1163]) reden zwar von solchen
Auferweckungen, sie bemerken aber, dafs das diabolische Täuschungen sein werden.
Die Bemerkung des Fraters ist daher zutreffend,
' Vgl. Haymo a, a, 0. 1099 1100.
Der Antichrist nach Ludovicus. 79
seriiauit Enoch et a multis annis ante incarnacionem reseruauit Elyam,
ut per hos suos fideles per eoriim predicacionem confortet, et ut^
anticliristo tarn uerbis quam miraculis resistant et illum confundant^.
Sed antichristus post hoc occidet eos corporaliter et iacebunt in
plateis lerusalem corpora eorum tribus diebus et dimidio. Glossa:
ut quicunque uiderint timeant eis confortari^. Post hoc figet taber-
naculum suum ueniens in multitudine magna, ut dicit Daniel (11, 44 45),
in summitate montis Oliueti. Ibi irascente Domino contra eum asserit
eum periturum.
Glossa super Thess. (II, 2): Non statim Dominus ueniet ad
iudicium post mortem antichristi, sed erit tempus maxime pacis,
ut dicitur Apoc. (8, 1): ,Cum aperuisset sigillum septimum factum
est silencium magnum quasi media hora.' Glossa: quia post mortem
antichristi erit maxima pax in ecclesia; tempus autem illud breue
erit, quia nullam certitudinem habet, quod plus durat quam XLV
dies. Si autem plus , hoc est per annum , uel per X uel XX
uel II uel dimidium diem, penitus ignoratur. Unde super illud Thess.
(II, 2, 8): ,Quem Dominus interficiet spiritu oris sui' dicit glossa: Inter-
fecto antichristo non statim ueniet Christus, sed ut ex libro Daniel
(12, 11 12) intelligitur ^, concedentur electis ad penitenciam dies XLV,
et quando deus post uenturus sit, penitus ignoratur. Hucusque glossa.
Noch einmal behandelt Frater Ludovicus eschatologische Fragen
in dem Pfingstsermo ^. Er knüpft an die vier Engel der Apokalypse
(8, 7 ff) Lehren über die nobiles, mercatores und avari, pauperes operarii,
religiosi und clerici, während er an das Erscheinen des fünften, sechsten
und siebten Engels (Apc 9 u. 10) eschatalogische Betrachtungen an-
schließt. Der fünfte Engel kündigt den Beginn der ,precedentia
antichristum' an, die Häresie u. a. ; dem sechsten Engel folgen ,septem
tonitrua'. Diese bedeuten die sieben dem Ende der Welt voran-
gehenden Anzeichen : 1. das schisma generale, 2. die Verachtung Christi,
3. die Mißachtung der hl. Jungfrau, 4. der Fall vieler Religiösen :
,Hec quator tanguntur in Matheo' (24, 24 29) : , Surgent enim pseudo-
* ,ut' fehlt in der Hs.
2 Vgl. Bertold oben S. 73 und Seh midiin, Die Eschatologie Ottos von Frei-
sing 11 12. 3 Ygi. Haymo a. a. 0. 1073 1074.
* Ebd. 781. Die 45 Tage ergeben sich, wenn man die 1290 Tage bei Dn
12, 11 von den 1325 Tagen bei Dn 12, 12 abzieht. ^ Bl. 45 46.
30 n. Die Predigten des Frater Ludovicus.
christi' qiioad primum [tonitrum] et sol obscurabitur quoad secundum
et luna non dabit lucem suam quoad tercium et stelle cadent de celo
quoad quartum; ultima tria tonitrua tangit magister^ in historiarum,
quibus fere totum mundum seducent, dicit enim : antichristus conuertet
se ad homines terrore, muneribus et miraculis.' Dann kommen Henoch
und Elias, und endlich kündigt der siebte Engel das Weltgericht an.
Frater Ludovicus begründet, wie Bertold, seine eschatalogischen
Erwartungen mit dem traditionellen Glossenmaterial. Er behandelt
das letztere aber ungleich kürzer und übersichtlicher als Bertold.
Daß er dasselbe sorgsam durchgearbeitet hat, zeigt die Bemerkung
über die angeblichen Totenerweckungen des Antichristen. Bertold be-
trachtet, wie wir bemerkt haben, seine Zeit als die Vorbereitung für
den nahenden Antichristen ; gleichwohl vermeidet er es, außer den all-
gemeinen Gründen, welche seine Schriftexegese bot, besondere An-
zeichen aus seiner Zeit vorzuführen. Frater Ludovicus wagt das aber.
Er erinnert an die Zwistigkeiten unter den Kardinälen, Erzbischöfen
und Prälaten. Das Pontifikat Bonifaz' VIIL begann mit solchen und
endete mit beklagenswerten Wirren. Er gedenkt wiederholt des Ver-
falls des Kaisertums ; erlebte er doch die Absetzung Adolfs von Nassau
und die bestrittene Wahl Albrechts von Österreich. Er beklagt die
Spaltungen im eigenen Orden, das Überhandnehmen der Ketzerei, das
Wachstum der Roheit. Darum sagt er: ,Cum timore et occulte et
clam dico: hec tria iam sunt', d. h. der Abfall vom Reiche, der Zwist
in der Kirche und der Verfall der Sitten. Er fürchtet sich aber, das
laut zu sagen, weil er besorgt, in Welt und Kirche anzustoßen, bei
den Fürsten und Prälaten, welchen solche Worte unbequem waren.
Wußte er doch, w^ie hart man manche seiner Ordensgenossen von der
strengeren Richtung, welche die Prophetien liebten, behandelte.
3. Die Häresien und die teuflisclie Verführung*.
In den Häresien, die sich unter den verschiedensten Namen auch
in Deutschland Eingang zu verschaffen wußten, erblickte der Frater
Ludovicus mit Bertold von Regensburg'- eine schwere Gefahr für die
Kirche und das religiöse Leben des Volkes. L^nter den sieben
' Petrus Comestor, Historia scholastica (Migne, P. L. CXCVIII 1154).
2 Die Stellen, in welchen Bertold von den Ketzern spricht, sind von Schön-
bach, Bertold gegen die Ketzer, zusammengestellt und lehrreich behandelt.
Der Antichrist. Die Ketzer. • 81
Straßen der Welt, die der Teufel angelegt hat, nennt der Frater als
sechste die Ketzerei. Er sagt^: ,... ut scribit Isidorus- septua-
ginta [sunt] hereses, ut Sabelliani, Ariani, Fortuniani 2, Manichei etc.
et semiheretici, qui cum incantacionibus et aliis truphis circumeunt,
qui uidelicit de statu dampnandorum sunt, ut hü qui incantaciones per
crisma et reliquias sanctorum faciunt et baptizantes ossa mortuorum
et similia, que enumerare esset riduculum, cum lamentandum esset,
quia maxime deum inhonorant.' Diese incantaciones cum baptismo
et per crisma zählt er an anderer Stelle ^ zu den verschiedenen Arten
der ,incredulitas' ; hier nennt er diese Beschwörer und Zauberer halbe
Ketzer. In einer Predigt 0, in welcher die heiligen Sakramente behandelt
werden, erklärt er: ,Non baptizantur angeli, quia sancti sunt, non
demones quia sanctificari non possunt, non ossa mortuorum, non
ymagines masculine.' In dieser Bekämpfung des sakrilegischen Aber-
glaubens folgt er seinem Ordensgenossen Bertold. Des letzteren Äuße-
rungen darüber hat Schönbach *^ vollständig zusammengestellt und
trefflich erläutert. Wir begnügen uns darauf hinzuweisen.
Ausführlicher kommt der Frater Ludovicus in dem Sermo 6 de
martyribus^ auf die Ketzer zu sprechen. Die Predigt hat den Vor-
spruch : ,Multe tribulationes iustorum* etc. Ps 33, 20. Die tribulationes
und tentationes sind durch die sieben Löwen vorgebildet, die ,in lacu
Babylonico' waren (Dn 6): 1. prosperitas temporalis; 2. honor saecu-
laris; 3. sanitas corporalis; 4. concupiscentia carnalis; 5. diffidentiae
timor. jiniecit timorem irrisionis hominum sc. quod homines ipsum
inclament et despiciant et in derisum habeatur et hoc per cantum
1 Sermo 1 de dedicacione Bl. 129'— ISF; vgl. oben S. 58.
2 Etym. 8, 5 (Migne, P. L. LXXXIl 298).
^ , Fortuniani* kommen bei Isidor nicht vor; es ist offenbar verschrieben für
jPhotiniani* (Etym. 8, 5 a. a. 0. 300). Derselbe Fehler kommt übrigens auch in
einem Ketzerverzeichnisse bei Bertold vor (Schönbach a. a. 0. 25 A.), Im
Sermo 7 de confessore Bl. 116 nennt Ludovicus neben den Arianern u. a. die , Fortu-
nati* verschrieben für , Fortuniani'.
" S. oben S. 61. Im Sermo in die Paschae Bl. 29 — 30' nennt er als Ketzer;
,cum sacramento incantantes , quod hodie nimis fit'. Im Sermo dominica infra
' Octauam Ascensionis bezeichnet er als ,infideles', ,qui cum incantacionibus circueunt'.
I . ^ Sermo 1 de Confessoribus Bl. 106' 107.
! ^ Zeugnisse Bertolds von Regensburg zur Volkskunde 24 ff. Vgl, auch Ber-
it tolds Deutsche Predigten I 298; II 70.
^ Bl. 103 103'.
i Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. 6
n
32 IL Die Predigten des Frater Ludovicus.
galli quod uulgo ,bekre' uocatur' ; 6. haereses; 7. protractio poeni- j
tentiae. In der Behandlung der haereses folgt der Prediger vollständig, I
und zwar meist wörtlich der Schilderung, welche Bertold von Regens-
burg im Rusticanus de Communi 34 entwirft. Die Stelle ist bei
Schönbach 1 wörtlich abgedruckt. Frater Ludovicus vergleicht wie
Bertold die ,Kezzer' mit gewissen Eigenschaften der Katzen, woher
er auch den Namen ableitet. Bei Ludovicus ist der Vergleich abgekürzt :
,Hereticus enim in lingua nostra Kezzer appellatur ex quatuor
quibus cattis comparatur: 1. quia in die quiescit et in nocte uagatur ;
2. quia familiaris cupit esse hominibus; 3. quia lambit bufonem^
quandoque usque ad sanguinem et uenenum, in quo est quedam dul-
cedo, quo fit nimis sitibundus, et si potum non inuenit, aret et si
ideo in uas potus sternutat, qui ex hoc bibit moritur uel grauiter in-
firmatur; 4. quod bufones portat ad lectos hominum sibi familiarium,
ex quibus inficiuntur. Iste sunt proprietates hereticorum: [1°J quia
sicut catti in occultis docent et in tenebris secundum illud: „Qui male
agit, odit lucem" (lo 3, 20); 2° quia se per ypocrisim ostendentes fa-
ciunt se uirtuosos; 3" quia hereses sibi uenenatas inuiscerant^ et ex
hoc occidunt sibi familiäres; 4" quia ranas ad lectum portant, hoc
est uenenosos eciam heresiarchas ad suos familiäres ducunt promit-
tentes, quod sanctum hominem ^ uelint sibi adducere, qui est pallidus
ut bufo et uenenosus.'
Der Teufel ist stets darauf bedacht, die segensreiche Wirk-
samkeit der Kirche zu hemmen und ganz erfolglos zu machen. Welche
Schliche er anwendet, um die Menschen zu verführen, wird wiederholt
dargelegt. In dem Sermo am dritten Sonntag in Quadragesima^ führt
der Prediger drei Arten von Dämonen vor: 1. Daemon interficiens
bona opera, ,Asmodeus, qui Septem, que ad uirtutem ducunt,
interimit, nempe: uoluntatem bene faciendi, bene cogitandi, bona
uerba, bona exempla, bona opera sc. oracionis. affliccionis, miseracionis'.
2. Daemon inficiens per uicia, Legio. Nicht bloß Könige
' Bertold gegen die Ketzer 46. j
2 Bertold (Schönbacli a. a. 0. 46, 3) hat ,ranam'.
^ Bei Bertold (ebd. 46, 12) : ,. . . quia heresis uenenatas quasi uenenum bu-
fonis, quasi dulce quoddam sibi inuiscerant ... ex hoc inficiunt et occidunt sibi
laniiliares.*
* Bei Bertold (ebd. 46, 19) : , sanctum lohannem'. ^ Bl. 22. "
Die Ketzer. Dämonen. Der Teufel als Spielmann. 83
verführt er (Offb 16, 12), sondern auch ,principes, barones, milites,
mercatores, rusticos, mulieres, clericos', um sie in die Hölle zn stürzen.
Der Engel schüttet die Schale aus über den Euphrat, d. h. nach
Rupertus von Deutz ^ über die Sünder, und aus dem Munde des Pseudo-
propheten gehen drei unreine Dämonen aus in der Form von Fröschen.
,Legitur in historiis, quod sunt tria genera ranarum, fluviale [et] uocale;
secundum minimum, quod calamitum dicitur, quia si in os canis mit-
tatur, obmutescit; tercium magnum et uenenosum, quod et rubeta
appellatur^. Spiritualiter : primam ranam in te mittit, cum de peccato .
non uerecundaris, sed gloriaris; secundam ranam, cum peccatum oc-
cultetur (mutus peccator); terciam ranam, quando peccatum in te
continuatur.' 3. Daemon non loquens, welcher den Sünder von
der Beicht fern hält.
In einer andern Predigt-^ stellt der Frater Ludovicus den Teufel
als S p i e 1 m a n n dar, v^elcher ,per Septem musicalia instrumenta' die
Menschen verlockt und zur Hölle führt.
,Prima astucia siue fistula, qua plurimi decipiuntur, in qua
dulcissime dyabolus canit peccatoribus et omnes seducit, maxime
diuites et nobiles, id est qui possint saluari per elemosinam et per-
egrinaciones. Dicit enim : Domine, libenter facio elemosinas religiosis
et pauperibus; edificaui claustrum, Dn [4, 25]: „Peccata tua ele-
mosinis redime." Si in morte mea super libram discussionis operum
ponuntur oraciones, lapides, ligna, quot preponderabunt peccatis meis !
Preterea uisitaui sepius limina sanctorum*, terram sanctam, sanctum
lacobum^ et sanctam Hellenam^; utique iuuabunt me in extremis
meis, ut tenentur, ut consulit lob [5, 1]: „Ad aliquem sanctorum
conuertere." Respondetur: „Vere est et in Ins benefacis, sed mihi
dicas: et querit lacobus [3, 11]: „Numquid fons de eodem foramine
emanat dulcem et amaram aquam?" Recte enim uulgariter dicitur:
1 Comment. in Apoc. 1. 9, c. 16 (Migne, P. L. CLXIX 1123—1125).
2 Aus der ,Glossa ordinaria' zu Ex 8, 2 (Migne, P. L. CXIII 205), woher
auch das Stück bei Vinzenz von Beauvais (Speculum naturale 1. 20, c. 60,
I 1493) entnommen ist.
^ Sermo in dedicacione ecclesiae Bl. 141 — 143''.
'' Zu ergänzen ,apostolorum', d. h. Rom. ^ Compostela.
^ So lese ich das undeutlich geschriebene Wort. Vielleicht sind Wallfahrten
nach Trier gemeint, wo die hl. Helena als Patronin verehrt wurde. Über Bertolds
Anschauungen von Wallfahrten vgl. Deutsche Predigten 1 459 533.
6*
34 II« Diß Predigten des Frater Ludovicus.
„Sufflare et farinam in ore habere est impossibile." ^ Sic impossibile
est elemosinam dare et cum hoc fortiter deum inhonorare.
,Secunda decepcio, qua dyabolus ualde subtiliter decipit [eos],
qui putantur prudenter esse cum dicunt: Spero uere multum de istis
bonis claustralibus, quod ipsorum oracionibus iuuari debeam. Ego
enim dilexi eos et habeo literas fraternitatis illorum 2, qui die et nocte
pro me orant. Preterea puerum meum locaui apud claustrales, in-
super filiam cum 30 marcis^, cum qua optinuissem, eum dedisse 40,
si tradidissem nuptui^, et iste filie semper orant pro me. Stulte,
ista oracio nulla [est], quia effectum eins spernis, qui, cum ipsi orant,
tu medio tempore deum inhonoras.
,T e r c i u m , cum quo consolantur peccatores . . . quod di-
cunt, quod non sunt ita grauia peccata, sicut predicant isti fratres*.
Si enim ita esset et nee ipsi saluarentur. Tria uel quatuor
fuerunt quondam mortalia scilicet qui dominum suum tradit, qui
se ipsum interficit, qui uxorem proximi polluit, qui alium occidit;
nunc autem tot predicantur, quod innumerabilia sunt; nihil faciunt,
nisi quod me crucient. Quis potest inimicum diligere, quis sine
mendacio emere? Nunquam possumus uiuere ut monachi, sine corea,
sine seculari leticia, sicut fecerunt parentes, quorum temporibus
pax et ueritas fuit. Sed postquam aggrauaciones mortalium fuerunt,
T
^ Vgl. Wand er, Deutsches Sprichwörter -Lexikon I, Leipzig 1863, 383:
, Blasen und (zugleich) Mehl im Munde han, mag nit wol bestahn.'
2 Die jliterae fraternitatis' sichern dem damit Beschenkten die Teilnahme an
den Gebeten und Verdiensten der Klostergeraeinde zu. Vgl. auch Bertolds
Deutsche Predigten I 187.
^ Der Vater gab der Tochter als ,dos' 30 Mark mit ins Kloster.
* D. h. : ,Wenn ich die Tochter verheiratet hätte, hätte ich von dem Bräutigam!
sicherlich 40 Mark erhalten.' Der Werber kaufte die Braut von dem, unter dessen
Gewalt sie stand, vom Vater, Bruder oder Vormund. Vgl. J. Grimm, Deutsche
Rechtsaltertümer J'* 583.
^ Hier folgt Ludovicus oft wörtlich Bertold, welcher diesen Punkt an erster
Stelle behandelt. Vgl. CLP 496 Bl. 13 und Clm 7961 Bl. 39». Ludovicus nennt
die Prediger, über deren Strenge das Volk klagt, ,fratres' und meint damit die,]
Regularen, Minoriten oder Dominikaner, während bei Bertold dafür stets ,plebani'
steht. Der ganze Passus schildert drastisch das religiöse Denken des Volkes, das
infolge der Predigt der Minoriten aufgerüttelt wurde und sich nun vielen bisher
nur dunkel oder gar nicht erkannten sittlichen Verptiichtungen gegenübergestellt!
sah. Trefflich wird das zähe Festhalten des Volkes am Alten , auch am alten
Irrtum, gekennzeichnet.
Der Teufel als Spielmann. 85
tot predicaciones, tot indulgencie, deterioratus fuit status mundi.
Audi, quod sie persuadet eis diabolus cum hac fistula, quod non credant
predicatori, quia non sunt omnia uera que dicunt. Preterea dicunt:
i si hoc se iam habet, ut predicator tunc dicit, sunt insipientissimi, qui
uident in scripturis et tarnen tanta mala committunt. Isti uerum
dicunt, quia insipientes sunt et tu similiter et continget uobis ambobus,
ut simeis, quia quedam simee capiuntur in arboribus cum speculo;
; simea sequitur speculum in laqueum, quem ante eam tenet; sie laycus
per sacerdotem stultum. Herum tamen non eures uitam sed sequaris
doetrinam, uel dieatur tibi illud in euangelio: „Si non uenissem et
locutus eis fuissem, peccatum non haberent, nunc autem" etc.
(lo 15, 22.)
jQuartum genus deeepeionis dyabolice ... est dei misericordia.
,Quintum dulcissimum et [quo] fere omnes sedueuntur et reli-
I giosi, est, cum dicis: Ego uolo emendare statum meum, ego uolo
satisfaeere deo, si hoc et illud tantum ordinassem. Hoc est tur-
ji pissima protraccio penitencie, que euacuat celum et replet infernum.
,Sextum . . . Pessimum [est] : dicunt: quodcunque hie faeit, si debet
dampnari, dampnabitur. Isti putant se prudentes et stulti sunt. Si
i hoc ita se habet, ad quid claudis domum et cistam?
jSeptimum appellatur omne genus musicorum', d. h. allerlei
Vorwände, um sich der ernstlichen Bekehrung zu entziehen.
Auch Bertold von Regensburg führt seinen Zuhörern die
' Verführungen des Teufels unter dem Bilde der verlockenden Weisen
eines Spielmanns vor^. Der Frater Ludovicus hat daraus aber nur
, vier Punkte entnommen, und zwar in anderer Reihenfolge. Nach
i Bertold sind die sieben ,fistulae' des Teufels: 1. Leugnung der Schwere
l der Sünden; 2. die Vertröstung mit andern, die ebenso leben; 3. die
Barmherzigkeit Gottes; 4. die falsche Hoffnung auf die Seligkeit; 5. die
Hoffnung auf die Buße und auf die Verzeihung; 6. der Fatalismus;
j 7. der Aufschub der Bekehrung. Frater Ludovicus behandelt den
1 ersten Punkt Bertolds an dritter Stelle, den zweiten, vierten und
fünften gar nicht, den dritten an vierter Stelle, den sechsten an
; sechster, den siebten an fünfter Stelle, dagegen fügt er neu hinzu
* Rusticanus de Communi Sanctorum Nr 24 bei Jakob 78; Nr 18 CLP 496
Bl. 13: ,De instrumentis musicis Nabuchodonosor i. dyaboli in Daniele, quibus
homines blandiendo decipit.'
86 II- Diö Predigten des Frater Ludovicus.
— allerdings auch unter Anlehnung an andere Stellen aus Bertold —
die an erster, zweiter und siebter Stelle behandelten Verwände. Diese
Auswahl zeigt, daß der Frater trotz seiner Abhängigkeit von Bertold
seine Selbständigkeit zu wahren sucht.
Während er in einer Predigt die Verführungen des Teufels an
den sieben Straßen, die in der Welt gebaut sind, darlegt, zeigt er in
dem 1. Sermo von den drei Wegen (via in mundo, per mundum und
a mundo), wie der Teufel als ,coluber in via et cerastes inj
semita' (Gn 49, 17) den Menschen nachstellt. Die zehn ,radii in
ceraste' sind die ,corniculi' des cerastes, deren er nach dem ,liber
de natura rerum' des Thomas von Chantimpre allerdings nur acht am
Kopfe hat. Sie verraten das Gift; daher macht man aus denselben
Messergriffe für den Tisch der Reichen und der Kaiser, um diese vor
Vergiftung zu schützen^. Der Prediger nimmt aber zehn Hörner an.
Es tragen je eines folgende Menschen: 1. senex sine sapientia;
2. iuvenis sine obedientia; 3. dives sine misericordia ; 4. pauper cum
superbia; 5. iuvencula sine verecundia; 6. dominus sine honore;
7. servus sine labore; 8. sacerdos sine scientia; 9. monachus sine
munditia; 10. religio sine gratia. Das sind die ,abusiones secularium'
die der Teufel bewirkt, und die neben den ,abusiones in claustro* in
der mittelalterlichen Literatur oft aufgeführt werden. In Clm 2699 ^
stehen sie versifiziert hinter den ,abusiones in claustro':
Prudens nil faciens, ueteranus crimine uanus,
Inutilis iuuenis, diues male congregans res, /
Femina non pauida, dominus cui naufraga uirtus, ;;
Pauper non humilis, contendens quisque fidelis,
Antistes negligens, rex quem uiciat iuris fex, *
Plebs mala per uicia, populus sine lege proteruus.
4. Die einzelueii Stände in der Predigt.
Als Nachahmer Bertolds suchte Frater Ludovicus seine Predigten
durch die Anpassung seiner Ermahnungen an die geistlichen Bedürf-
nisse der verschiedenen Klassen seiner Zuhörer fruchtbar zu machen.
Daher nimmt er oft Anlaß über die Standespflichten und -fehler zu
reden. Er pflegt wie Bertold seine Ermahnungen an nicht immer
1 Vgl. Vinco ntii Bellov. Speculum naturale 1. 20, c. 27, t. I 1475 und
Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur 266.
2 El. 6'^
A
Der Teufel als Schlange. Standespredigten. Soldaten. 87
glücklich gewählte alttestamentliche Vorgänge anzuknüpfen. Im all-
gemeinen hält er folgendes Schema inne: Principes, nobiles, milites,
iudices, dominae, mercatores, mechanici, rustici, pauperes, clerici,
religiosi, spezifiziert aber auch noch einzelne Stände. In den Sermones
2 und 3 de apostolis^ welche den Text tragen ,Pro patribus nati
sunt tibi filii' (Ps 44, 17), handelt der Frater von den ,filii abiecti,
neglecti, electi'. Die filii abiecti verwirft Gott ihrer Sünden
wegen; sie sind vorgebildet im Buche Job (1, 2 3). ,Sunt sex
genera de quorum perdicione deus multum dolet et figurantur per
sex, que habuit lob: asinos, camelos, oues, boues, filios, filias.' Das
sind gentiles, heretici, ludaei, hypocritae, seculares und religiosi, welche
den Versuchungen unterlegen sind.
,Sunt autem VII filii inter seculares, qui saluari possent, si uellent,
quos deus multum diligit et ipsis eternam gloriam preparauit, uidelicet :
principes, comites, milites, mercatores, rustici [et] coloni, artis me-
chanici et pauperes. Hü proprio racione generis notantur ; imperatores
\ enim et reges non racione generis, sed unccionis; ideo inter principes
i' computantur.' Es folgen nun allgemeine Bemerkungen über principes
: und ,comites et omnes de libero uentre nati', , milites, ministeriales et
;i milites simplices'.
,Venerunt et milites ad lohannem: „Quid faciemus et nos?" (Lc 3,
! 14.) „Neminem concuciatis . . . nee calumpniam faciatis" aliquos tradendo
1 uestris dominis propter fauorem nee ipsos pauperes rusticos cum
dominis deuoretis et bibatis; et illud est calumpniam facere, quia
calumpnia uel iniuria est falsa peticio uel iniusta repulsio siue falsi
eriminis imposicio. Item: „contenti estote stipendiis uestris", contra
exaccionem et predam. Hec est regula militum, ad hoc militibus
. gladius benedicitur 2, ut defendant ecclesias, uiduas et pupillos. Sed
hec tria e contrario uiolenter inuadunt, quod prohibet deus Ex 22, 22 :
»Vidue et pupillo non nocebis."'
In dem Sermo 3 de apostolis setzt der Prediger das Thema fort
und behandelt die , filii neglecti et electi' (Bl. 86').
,Quartum genus per quartum filium honoratur. Quod honorauit
1 diuiciis et commodo, ut sunt mercatores. Mercimonia ab inicio
j fuerunt et esse possunt, dummodo iuste fiant, hoc est sine usura et
1 Bl. 84—86'. 2 Bei ^^j. Ernennung zum Ritter.
gg IL Die Predigten des Frater Ludovicus.
fraiide, sed „difficile exuitnr negocians a negligencia", ut dicitur
Eccli 26, 28. Sunt tarnen aliqui casus, in quibus permittitur fieri
usura. Require sub titulo „de usura" ^. Multiplex autem peccatum
committitur in negociacione, aliter uendens pannum, aliter uendens
annonam, aliter uendens cereuisiam et ideo non est mercimonium, in
quo fraus non fiat et dolus, ut conqueritur Ir 9, 1 — 4: „Quis dabit capiti
meo aquam" etc. Usurarii multipliciter offendunt, ideo multipliciter
puniuntur, temporaliter et eternaliter.' Das wird weiter ausgeführt.
,Quintum genus per quintum filium figuratur, ut sunt agri-
cole, qui tarn dilecti filii dei sunt tum propter laborem continuum,
qui deo placet, tum propter oppressionem, qua a dominis opprimuntur
iniuste. Ipsi autem eorum colla calcabunt in iudicio; nunc autem ab
eis roduntur et opprimuntur per inmoderata seruicia, quod est im-
portabile ita, ut possint dicere loel: „Confusi sunt agricole, quia periit
messis" ^, quia quodcunque ipsi metunt, domini tollunt et deuorant.
Hos uero qui in hiis pacienter sunt, liberabit Dominus. Ps 33, 20:
„Multe tribulaciones iustorum et de hiis omnibus liberabit eos deus."
Sed lamentabile nimis est, quod multi inter eos dampnantur et hoc
principaliter in quatuor : Primo in a c i d i a , quia minus curant ire ad
diuinum officium et in festis subterfugiunt dicentes se laborasse per
totam hebdomadem. Nequiter scis loqui equis et nescis dicere „Pater
noster", cum ad minus Septem dicere debes. Ps 118, 164: „Septies
in die laudem dixi tibi." Sed hü ut simulachra muta, de quo Ps 113, 5:
„Os habent et non loquentur" etc. Sap 2, 21: „Excecauit eos malicia
eorum." Secundo in iniquitate, quia inuicem furantur fruges in
agro et non solum fruges immo terram cum aratro. Nota cum in
ultimo sulco est contra agrum proximi, qualiter premit uomerem
scilicet ad agrum proximi sui reflectit et proximo anno furatur ad
tres digitos, secundo anno tantum et sie ulterius non seruans pre-
ceptum decalogi: „Non concupisces agrum proximi tui", immo furatur,
quod plus est.
,Tercio in periurio, quia aliquando pro tribus obulis periurium
[faciunt] ; istud periculosissimum est, quia est contra preceptum secun-
dum.' Daran schliefst der Prediger ernste Warnungen vor dem Meineid.
' lohannis Friburgensis Summa confessorum 1. 2, tit. 7.
- loel 1, 11: ,Confusi sunt agricolae, ululaverunt vinitores super frumento
et hordeo, quia periit messis agri.'
Kaufleute, Bauern, Handwerker und Arme. 89
jQuarto in ebrietate, in qua ita absorbetur anima, ut obliui-
■ scatur dei. Que autem mala de ebrietate proueniunt, hoc require in
Summa de aggrauacione, de gula^
,Sextum genus per sextum filium figuratur, ut sunt artis me-
chanici, calcifices, carnifices, lanarii, textores, fabri, carpentarii.
Isti, quia die et nocte laborant, dilecti filii Domini sunt et de eis
dicitur (Ps 127, 2): „Labores manuum tuarum quia manducabis" ;
I Apc 14, 13: „Amodo iam dicit spiritus, ut requiescant" etc.; Mt 25, 21:
„Enge serue bone" etc. Bonus ad te ipsum, fidelis ad proximum:
! quod est contra illos operarios, qui fraudulenter opera eorum faciunt.
Hie distingue, qualiter calcifices, qualiter lanarii, qualiter fabri faciunt
fraudem et hos Dominus multum odit. Ps 5, 7: „Odisti omnes, qui
operantur iniquitatem." Heu, quam multi menciuntur et mendacium
iuramento confirment, asserentes bonum esse, quod uendunt, cum
minus ualeat, dicentes, se carius com'parasse quam uendunt . . .'
,Septimum genus per septimum filium designatur. Isti sunt
I specialissima familia Domini id est pauperes, quibus se similem
fecit in hoc mundo a die natiuitatis cum pannis inuolutus usque in
|l diem mortis, cum pannis nudatur. lob 1, 21: „Nudus egressus sum
de uentre" etc. Istos filios super omnes diligit. Ve eis, qui eos per-
secuntur et turbant ! Euidentissimum signum dampnacionis in eis est,
I quod facere presumunt, quia qui tangit eos, „tangit pupillam oculi
sui", ut Zach 2, 8 dicitur . . . Multi heu! inter pauperes sunt, qui
non sunt pauperes spiritu, qui de ista paupertate ad eternam ueniunt
miseriam, qui turpiter locuntur, furantur, raro orant pro benefactoribus,
ut tenentur, nullius congregacionis ^^ sunt et deum inhonorant. De
quibus Ir 5, 4: „Pauperes sunt et stulti" etc.
,Sequitur de tribus filiabus lob, per que figurantur tria genera
religiosorum, qui ideo filie appellantur propter teneritudinem di-
leccionis. Primi sunt cari, ut hü, qui seruant castitatem uoto simplici
et proprietate uti possunt [tam in communi] quam in speciali, ut
uidue, begine et alie persone sub regula uiuentes. Secundi cariores,
ut hü, qui sub uoto solempni sunt in castitate et obediencia et sine
proprio speciali; hoc in commune habent, ut sub regula Benedicti
1 loh. Frib. a. a. 0. 1. 3, tit. 4.
- Sie gehören keiner Bruderschaft an, beteiligen sich also nicht an den guten
Werken derselben.
90 II- Die Predigten des Frater Ludovicus.
et Augustini. Tercii sunt carissimi, ut hü, qui sub uoto solempni
sunt in castitate et obediencia et sine proprio non tantum speciali
sed [eciam] in communi et in paupertate uiuunt et secundum euan-
gelium lesu Christi.'
Die ,filii neglecti', av eiche Gott liebt und hegt, sind jene guten
Laien, die sich bemühen, Gott zu dienen, die aber durch die Sorgen
um Hab und Gut sowie um Weib und Kind im Dienste Gottes be-
hindert werden. Dazu rechnet der Frater auch ,multi religiosi, si
coacte regulam seruant et non de suo apponunt, sed tempus inutiliter
perdunt'. Die ,filii electi' endlich sind die Guten, welche den Aposteln
nachahmen ; an diesen wirkt Gott ein Dreifaches : ,informat eos utiliter,
consolatur dulciter, beatificat eternaliter'.
An einer andern Stelle ^ behandelt er ebenfalls die verschiedenen
Stände, die sämtlich zu den ewigen Freuden berufen sind. Er führt
zwölf Stände auf, die er in den zwölf Stäben, welche auf Gottes Be-
fehl (Nm 17, 2) in das heilige Zelt gelegt werden mußten, vorgebildet
findet. Diese zwölf ,genera hominum, sind: 1. Principes; 2. Mi-
lites; 3. ludices, ,qui sub militibus sunt sicut aduocati, sculteti,
qui ad hoc uocati sunt, ut omnibus recte iudicent, sed heu! horum
rectitudo curua est, quia propter munera proiciunt iudicia'; 4. Merca-
tores, ,qui vere utiles sunt pauperibus, sed raro, quia defraudant',
5. Rustici, ,qui frumenta laborant, estu uruntur, gelu frigent, de
quorum laboribus uiuit omnis populus ; [si] cauerent isti sibi de furto,
mendacio, periurio et bis similibus, sancti fierent'; 6. Mechanici;
7. ,Prelati a summo pontifice usque ad infimum archidiaconum' ;
8. Simplices plebani; ,habere debent tria: innocenciam, conscienciam,
scienciam'; 9. Status viduarum et bechinarum. Während die
letzten drei Stände nur flüchtig erwähnt werden, widmet er den
folgenden drei Mönchsorden ernste Belehrungen. 10. ,Sub regula
Benedicti, qui dicunt se esse primos religiöses et ideo pociores.
Non te sanctificat regula, sed uita, non cappa, sed obediencia.' 11. ,Sub
regula Augustini, qui dicunt, se peritissimum doctorem habuisse
et ideo eorum regulam magis ordinatam esse. Non te sanctificat
Augustini pericia, sed tua bona uita.' 12. ,Sunt sub regula Francisci,
qui dicunt se humillimum patronum habuisse et secundum euangelium
Sermo 2 de Confessore Bl. 108 109.
Die Religiösen. Die Stände vor dem Gerichte. 91
uixisse et ideo eorum ordinem approbatum. Non te sanctificat Fran-
cisci humilitas, sed tua bonitas. Considerate uos, qui sub bis tribus
regulis degitis, si sitis obedientes, ueri pauperes et continentes, et
qui hoc melius seruauerit, in meliore regula erit.
,Sic ergo omnes uolunt eligi ad gloriam. Sed dicit Dominus:
„Cuius uirga germinauerit" (Nm 17, 5). Mane facto si in te inventa
fuerit fron. flo. fruc, de statu electorum eris, sin autem dampnaberis.
Notandum quod per literas fron. flo. fruc. tria signantur, que electus
debet habere', nämlich — wie weiter ausgeführt wird — frondes,
flores, fructus.
Am vierten Sonntage nach Ostern ^ predigt der Frater über den
Text ,Et cum uenerit ille, arguet mundum de peccato, de iustitia et
de iudicio' (lo 16, 8). Er knüpft seine Betrachtung an den Rache-
zug Israels gegen die Madianiten, in welchem fünf Könige und Balaam
umkamen (Nm 31, 1 — 8). Der Rachezug versinnbildet ihm das Gericht
im Tale Josaphat, vor welchem die Madianiten, d. i. die Sünder nach
Ständen, geführt von den fünf Königen und von Balaam, erscheinen
werden, jeder , unter der Fahne seines Königs'. , Primus est rex militum,
secundus clericorum, tercius dominarum, quartus merca-
torum, quintus operariorum, Balaam autem religiöser um et
cum eis suus populus.
, Primus rex omnium militum a summo rege usque ad sim-
plicem filium militis. Hie rex Ur uocatur, quod interpretatur „ignis",
quia quemadmodum ignis multa consumit et deuorat, sie isti pauperes;
?s 10, 2: „Dum superbit impius incenditur pauper"^; cum tamen se-
cundum preceptum loannis Baptiste neminem concutere et suis sti-
pendiis contenti deberent esse (Lc 3, 14). Heu quam multi sub hoc
rege militant et ideo cum eo ad iudicium uenient. Is 33, 1 : „Ve
qui predaris, nonne et ipse predaberis?" Non de omnibus dico. Felices
illi milites qui defendunt uiduas, ecclesias et pauperes, ad quod eis
gladius benedicitur. Sic non miles huius regis, quia secundum quod
dicit Is 3, 14: „Rapina pauperis in domo sua."^
, Secundus rex omnium ecclesiasticorum et clericorum
Reber* uocatur quod interpretatur „Ordinatus" qui ordinati sunt in
ministerio dei, quorum uita describitur sub titulo de uita et honestate
1 Bl. 38—39'. 2 Hs: ,ignis'. ^ Vuig. : ,vestra*. ^ Vulg.: ,Reb6'.
92 11. Die Predigten des Frater Ludovicus.
clericorum extra; eodem titulo: Si quis extra clerici. Item eodem
de crapula^. Multi hec si non seruauerunt profundius dampnabuntur,
quia sciunt et tarnen faciunt . . .
jTercius rex est omnium dominarum a nobilissima usque ad
infimam, que mulget uaccam in stabulo. Hie rex Recen quod inter-
pretatur, „uacuefaccio" uel „uarietas", quod fit in superbia, in osten-
tacione corporum et ornatu uestium. Ne irascantur filie nostre quod
dico : Omnes estis elate ; raro fallis, quia plus ornat se quam XX uiri . . ,
0 felices mulieres, sitis humiles et multo plures de uobis saluabuntur
quam de uiris. Sin autem cum rege uestro presentabimini in futuro
iudicio cum maxima confusione.
jQuartus rex est omnium mercatorum, quicquid eciam merci-
monii habeant. Et iste rex appellatur Sur quod interpretatur „ro-
bustus". Aliqui iam robusti sunt in conquirendo et robustiores in
tenendo sed robustissimi in non reddendo. . . . Ab inicio fuerunt merci-
monia et possunt, dummodo fiant iuste; sed difficile exuitur nego-
ciator a negligencia^ ut dicitur Eccli 26, 28. Ideo omnes cum suo
rege Sur in iudicio apparebunt, ut reddant racionem de hiis, que pos-
sederunt, qualiter conquisierint et possederint et pauperibus erogauerint.
jQuintus rex omnium operariorum sc. rusticorum et me-
chanicorum, qui Eni uocatur, quod interpretatur „Yemihi". Quantum
ue sit eis in laboribus! Utinam non peccarent in ebrietate, periurio,
mendacio et turpitudine uerborum. Vere beati fierent. Sed dicit faber,
quod ferrum non possit fabricari sine mendacio. Sic die de ceteris.
Et idcirco ue laboris non liberabit eos qui cum suo rege Eni uenient
ad ue eterne dampnacionis (Prv 23, 29).
jSexto uenit Balaam quod interpretatur „precipitauit fraterni-
tatem" cum omnibus malis religiosis, quia aliquos precipitauit aua-
ricia et heu plurimos et alios inobediencia, alios concupiscencia mala,
quia super ista tria omnis fundatur religio. Heu quot religiosi istum
sequentur in iudicio! De isto Balaam dicitur quod non uidit angelum,
sed asina (Nm 22, 23). 0 quam mali religiosi, qui rudiores sunt asinis
suo modo ; hie Balaam secuntur et cum Balaam dampnabuntur . . . ' -^
' C. 14 15. De vita et honest. III 1. » S. oben S. 88.
2 Bertold behandelt die Pflichten der einzelnen Stände sehr oft, ex professo
im Rusticanus de Communi Sanctorum ,De sex generibus hominum, que diabolus
intoxicat' (CLP 496 Nr 64 Bl. 44' 45; vgl. Jakob Nr 22), im Rusticanus de
Die Stände vor dem Gerichte. Die Eheleute. 93
Über die Ehe und die Pflichten der Eheleute predigt der
Frater Ludovicus zweimal, und zwar in den zwei ersten Predigten
de Virginibus ^ ,Octo sunt genera matrimonii, que omnia dampnantur
praeter octauum' — beginnt er in seinen Ausführungen. Er schränkt aber
sofort den harten Satz ein, indem er hinzufügt: ,Ne uos deterreat
quod dico; quia non dico: „pars uel octies tot" ; qui non in matri-
monio saluentur vel dampnentur, soli deo constat'. Die sieben genera
matrimonii, welche verdammt werden, sind vorgebildet in den sieben
Männern der Sara (Tob 6, 14). Dazu gehören: 1. illegitime con-
uenientes (Heiraten in verbotenen Graden), 2. in bono se impedientes,
3. sibi inuicem inuidentes, 4. matrimonium uiolantes, 5. in opere con-
iugali inobedientes, 6. prolem male educantes, 7. fornicarie se dili-
gentes. ,Quid diceres' — fragt er in einem nicht gerade passenden
Vergleiche — , ,si uideres sacerdotem missam suam peruersa racione
celebrare ? Utique quod esset hereticus. Et quid ad te, qui peruertis
modum istum?'
Während in der ersten Predigt der Zweck und die Bedeutung
der Ehe im allgemeinen dargelegt werden, geht er in der zweiten
auf die einzelnen Pflichten der Männer und Frauen ein, indem er auch
hier die ganze Strenge seiner Lebensanschauung und den vollen Ernst
der christlichen Moral zum Ausdrucke bringt. Um diesen seinen
Ausführungen größeres Gewicht zu, leihen, leitet er sie mit den Worten
ein: ,Hic accipe doctrinam eximii predicatoris fratris de Reynsborg,
non meam.' In der Tat hat Frater Ludovicus in den beiden Predigten
über die Ehe seinen Ordensgenossen Bertold sehr ausgiebig benutzt.
Der oben mitgeteilte Eingang zur ersten Predigt steht fast wörtlich
bei Bertold^; auch die einzelnen Punkte der Disposition stimmen in-
haltlich überein; als Punkt 5 hat aber Bertold: ,qui prolem necant
corporaliter', und in Punkt 7 bezeichnet er den gleichen Gedanken
mit den W^orten : ,qui nimis supra modum se diligunt'. In der zweiten
Predigt hat Frater Ludovicus aus den Ausführungen geschöpft, die
Sanctis ,De clericis, religiosis et laborantibus' (CLP 498 Nr 20; vgl. Jakob de
Sanctis Nr 10), endlich in dem Sermo ,De tribus laqueis diaboli*, abgedruckt bei
Schönbach, Die Überlieferung Bertolds I 104 — 109. Die Ausführungen des Frater
Ludovicus berühren sich vielfach mit denen Bertolds.
1 BL 118'— 122.
2 Rusticanus de Communi Sanctorum in CLP 496 Nr 47 Bl. 33'; in Clm 7961
BL lOr; Clm 2699 Bl. 47^ vgL Jakob Nr 63.
94 II- Die Predigten des Frater Ludovicus.
Bertold über den gleichen Gegenstand in verschiedenen Predigten
niedergelegt hat ^. Dabei benutzte er seine Vorlage sowohl inhaltlich
als auch formell in durchaus freier Weise. Als Pflichten der Männer
bezeichnet er: 1. parentes honorare; 2. eleemosynam dare; 3. mun-
diciam seruare; 4. operarios remunerare ; 5. diuinum officium fre-
quentare; 6. prolem bene educare; als die der Weiber: 1. honorare
soceros; 2. diligere maritum; 3. regere familiam; 4. gubernare domum;
5. in Omnibus irreprehensibilem se praebere. ,Hec docuerunt', —
mahnt er — , parentes Sare ipsam Saram cum recederet ab ipsis, hec
uos, carissimas filias meas, doceo hodie, ut nequam uiros uestros bonos
faciatis, uel si boni sunt meliores fiant. Non seducant uos iste in-
cantatrices, que seducunt uos. Si enim demones et angeli liberum
arbitrium cogere possent, nullus in claustro maueret, quem demones
non seducerent , et nullus peccator tam malus , quem angeli deo
non adducerent. Minus enim potest uetula, que dicit se uelle mutare
animum uiri.' Der Frater wußte, mit wie törichten und abergläubi-
schen Mitteln die Frauen seiner Zeit die Liebe ihrer Männer gewinnen
und sichern wollten.
5. Über die Messe.
Kurze Bemerkungen über liturgische Dinge finden sich in den
Predigten des Frater Ludovicus vielfach zerstreut. Wir übergehen
dieselben und begnügen uns, seine längere Erklärung der Messe hier
vorzuführen.
In dem Sermo dominica III post Pentecosten^ behandelt der Minorit
das Thema: ,Manducat Dominus nobiscum 1. in contritione, 2. in com-
munione, 3. in fruitione.' Im zweiten Teile erklärt er die heilige Messe
wie folgt:
,Nota quedam de missa, que rudia sed tamen communi populo
utilia, et ideo tantum illa, que rudis populus intelligere possit. Si
' Es kommen hierbei in Betracht: Rusticanus de Communi Sanctorum , de
Virginibus in CLP 496 Nr 33 (De octo generibus hominum in matrimonio constitiitis),
Nr 34 (De matrimonio); De Apostolis Nr 4 u. 5 (Quomodo vivere debeant patres
familias et matres familias) und Rusticanus de Sanctis, de s. Caecilia in CLP
498 Kl. 35' (De triplici statu coniugatorum, uiduarum, uirginum). Bei Jakob haben
diese Sermones die Nummern de Communi 63 64 4 5 und de Sanctis 17. Die be-
zeichneten Sermones stehen auch in Clm 7961 Bl. 5 7 90 102' und in Chn 2950 BL 19.
2 Bl. 51 52.
Pflichten der Eheleute. Meßerkläriing. 95
quis magistralicia uelit, recurrat ad exposicionem domni Innocencii^
et aliorum.
,Notandum autem quod tria fiunt in missa: deus pater hoc cultu
adoratur .... Christi passio commemoratur . . . totalis ecclesia adiuuatur,
militans in mundo, uapulans in purgatorio, triumphalis in celo. In
cuius Signum tres digiti ostenduntur, cum cruces fiunt, duo manu clau-
duntur^, quia sunt duo genera hominum, quibus non prodest: iam
in inferno dampnatis et pueris mortuis non baptizatis.
,Quis autem instituerit ac quibus commiserit et que materia esse
debeat et conficientis intencio, omnia pertranseo. Item de uestibus
sacerdotis, que omnia habent aliquid figurare, ut humerale uerecundiam,
alba innocenciam, stola patienciam, mapula constanciam, casula cari-
tatem ueram. Et hec omnia transeo propter tedium auditorum.
,Primo accedens sacerdos ad altare ,antequam incipiat, altare oscu-
latur. Significat ^, quod adueniens Christus in carne sanctam sibi
ecclesiam copulauit iuxta illud Ct 1, 1 : „Osculetur me osculo oris sui."
Inicium misse significat inicium ecclesie et ideo eins inicium uocatur
introitus et significat introitum filii dei in mundum . . . Introitus dupli-
catur, quia deus et homo est. „Gloria patri" interseritur, quia tota
trinitas operatur *. „Kyrie" nouies dicitur, ut ordo decimus ex hominibus
reparetur et neuem ordinibus angelorum societur^; uel aliter et melius:
nouies clamamus propter neuem genera peccatorum . . . originale,
ueniale, mortale . . . quoad mortale et ueniale fiunt corde cogitando
aut ore loquendo aut opere perpetrando.' ^
Das ,Dominus vobiscum' wird nach Art der älteren Meßerklärungen
weitläufig erläutert, die Lektion und das Evangelium werden aber
1 übergangen. Das Offertorium und die drei silentia werden kurz er-
wähnt. Dann fährt der Frater fort:
1 Jnnocentii III libri 6 de sacro altaris mysterio (Migne, P. L. CCXVII
763-916).
- Bei der Bekreuzung der heiligen Hostie und des Kelches wird der Daumen
mit dem Zeigefinger geschlossen, weil beide Finger die heilige Hostie berühren.
Die hier gegebene symbolische Bedeutung dieses Gebrauches ist uns noch nicht
vorgekommen.
^ Nach Innozenz a. a. 0. 1. 2, c. 15, S. 907.
* Ebd. c. 18, 808 ; vgl. Bertolds Meßpredigt in Rusticanus de Dominicis, bei
Franz 742. ^ S. oben S. 23.
^ Bei Innozenz (a. a. 0. 1. 2, c. 19, S. 809) weiter ausgeführt.
96 11. Die Predigten des Frater Ludovicus.
,Facit hec tria sacerdos : orat instantissime, inclinat se humillime,
inuitat adiutorium ecclesie triumphantis, cum se uertit et dicit: „Orate
fratres." Hec tria facias, ut exaudiaris. Ores et in hoc silencio pro
peccatis et per talem modum : „Fleo id est queso, Domine deus celi,
magne, fortis, ut audias uocem serui tui, qua oro ad te." Et sequitur:
„Peccauimus uanitate seducti" etc. Et sequitur: „Obsecro, Domine, ut
sie auris tua attendat ad oracionem serui tui"' etc. ^
Für den Kanon gibt er folgende Anweisungen: ,In hoc petere
debemus pro bono fine, quia in isto memoria fit finis et mortis Christi.
In isto multa notabilia sunt tam in signis quam in inclinacionibus et
specialibus oracionibus, sed omnibus pretermissis de sola eleuacione
sancte hostie [dicemus]^.
,Hic nota, quod sacerdos hostiam eleuans ecclesie ostendit, ut
ex hac ipsa recogitet triplex beneficium^: preteritum redempcionis, quod
Christus sie in carne eleuatus ex altissima dileccione in altissima pas-
sione seipsum pro nobis obtulit deo patri .... Item beneficium presens
refeccionis, unde [se] sub forma panis tibi ostendens; ex hoc cogita,
quod ipse est, qui te pascit, sine ipso ieiunas et fames te cruciat. Item
beneficium futurum beatificacionis . , . Sequitur quintum ^, quod incipit
„Pater noster" et durat usque ad finem. In quo sacerdos communicat
et significat illam communionem, que erit in patria, ubi sine cortice
sacramento communicabimus . . .
,Post missam dicitur benediccio, que significat illam benediccionem,
quam deus in futuro [dabit], cum dicit: „Venite benedicti" etc. Tres
cruces fiunt^, quia triplex premium est : substanciale, consubstanciale,
accidentale. . . .'
Die Meßpredigt bietet inhaltlich ungefähr dasselbe, was Bertold
über die Messe von der Kanzel den Laien mitzuteilen für zweckmäßig
hält. Da nach der damaligen Anschauung den Laien die Kenntnis
des Kanons, seiner Gebete und Geheimnisse versagt wurde ^, so
^ Die Anfänge von drei damals wahrscheinlich auch den Laien bekannten
Gebeten.
2 Über die Elevation vgl. Franz 101 102 656 662.
3 S. ebd. 744 die abweichende Deutung Bertolds. Die in der zweiten deutschen
Predigt Bertolds (Deutsche Predigten II 684) enthaltene Deutung entspricht mehr
der Erklärung des Ludovicus. * Quintum, d. i. der fünfte Teil der Messe.
•'• Auch der einfache Priester gab damals den Segen mittels drei Kreuzen.
« Vgl. Franz 619 ff.
Bertold und Ludovicus. Die Messe. 97
mußten die Prediger sich damit begnügen, den Laien für die sog. si-
lentia und den Kanon praktische Anweisungen zu geben. Das tut
auch der Frater Ludovicus. Im allgemeinen hält er sich, wie die
Nachweisungen zeigen, an das Werk Innozenz' IlL, er bietet aber auch
abweichende, eigenartige Deutungen. Da er seine Absicht, nur das
Notwendigste, dem gemeinen Volke Nützliche und Verständliche zu
bieten, von vornherein kundgibt, darf die Knappheit und Dürftigkeit
der Erklärung nicht befremden.
Die Predigten des Frater Ludovicus bezeugen den großen Ein-
fluß, welchen Bertold von Regensburg auf die Predigtweise der
deutschen Minoriten in der ihm unmittelbar folgenden Generation
ausgeübt hat. Schönbach hat das bereits früher an der von ihm
behandelten Grazer Handschrift 730 gezeigt, in der unter andern
Predigten auch die Bertolds benutzt sind. In dem Frater Ludovicus
aber lernen wir einen Prediger kennen, der die Methode und die
Gedanken des berühmten Missionspredigers in sich aufgenommen hat
i und in freier, die Selbständigkeit wahrender Nachahmung verwertet.
Unseres Wissens ist noch kein deutscher Minoritenprediger als Schüler
Bertolds so nachgewiesen worden, wie wir dies an dem Frater
Ludovicus tun konnten. Bertold hat auch kaum, einen zweiten
Schüler gehabt, der, dem Frater Ludovicus gleich, seine reiche
Gedankenwelt in so klarer und durchsichtiger Darstellung wieder-
zugeben verstand. Wir glauben daher mit unserer Abhandlung
über den Frater Ludovicus einen willkommenen Beitrag zur Wür-
digung des Einflusses Bertolds auf die Predigt des Mittelalters ge-
liefert zu haben , — eine kleine Vorarbeit zu der von dem besten
Kenner des Regensburger Minoriten gewünschten Darstellung der
Bedeutung Bertolds für die Geschichte der deutschen Kanzelbered-
samkeit ^
Mit der Methode Bertolds übernahm Frater Ludovicus auch die
übermäßige Verwendung der alttestamentlichen Typologie.
Unserem Empfinden erscheint es seltsam und befremdlich, wenn die
Söhne und Töchter des Dulders Job oder die 12 Stäbe Aarons oder
die madianitischen Könige als Repräsentanten der christlichen und
^ Schönbacli, Die Überlieferung Bertolds II 99.
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger.
98 n. Die Predigten des Frater Ludovicus.
bürgerlichen Stände vorgeführt und zahlreiche alttestamentliche Per-
sonen als Folien für moralische Belehrungen benutzt werden. Das
gehörte indessen zu den homiletischen Gewohnheiten der mittelalter-
lichen Prediger, die über eine tüchtige Kenntnis der historischen
Bücher des Alten Testamentes verfügten und dieselbe geschickt aus-
zunutzen verstanden. Wir machten bereits bei Konrad von Sachsen
darauf aufmerksam. Es war für die Prediger auch nicht schwer,
das notwendige Material zu finden : die Glossa ordinaria bot dasselbe
in bequemer Form. Welches Gewicht man darauf legte, zeigt das
sorgfältig gearbeitete Register über die biblischen Erzählungen in
unserem CLP 719.
Allerdings blieb diese Manier auch nicht ohne Anfechtungen.
Der Satiriker Nikolaus von Bibra tadelt, daß die Prediger, d. h. bei
ihm die Minoriten und Dominikaner, ihre Themata meist aus dem
Alten Testament und der Heiligenlegende nehmen.
Fratres quid facitis, qui rura domosque peritis?
Cur non arguitis ea que fieri mala scitis?
Est sermo vester hodie de Judith et Hester, • t
De Mardocheo, de Simone vel Fariseo,
Nunc de Matheo vel de Juda Macliabeo ! . . .
Nunc de Francisco, de Baptiste modo disco,
Et sicut scitis, aliquando de Ninivitis.
Et modo de papa, quod pluribus est quasi rapa.
Nunc de pontifice, modo de Rahab meretrice ... m
Ista satis constant, praesentia tempora non stant
Sicut preterita, quia pluribus est mala vita,
Ergo boni fratres, quos mundus habet quasi patres,
Hoc attendatis, et quando vetus recitatis,
Admiscite novum vel sermo non valet ovum :
Dico novum quod heri vel cras contigit haberi '.
Der Tadel des Satirikers konnte auch Bertold und Ludovicus
bezüglich der übermäßigen Typologie treffen, sicherlich aber nicht
bezüglich der Vernachlässigung der sittlichen Bedürfnisse des
Volkes. Was der Satiriker in diesem Punkte wünscht, haben beide
Prediger in reichstem Maße und mit wahrhaft apostolischem Frei-
1 Nicolai de Biber a Carmen satiricum V. 1214—1218 1243—1246 1249
bis 1254, S. 79 80. Die Aufzählung der angeblich tadelnswerten Predigtthemata
geht von V. 1216-1248. Das Gedicht ist 1281 — 1283 in Thüringen verfaßt. Über
Nikolaus vgl. Michael III 308 ff.
Typologie. Nikolaus von Bibra. Stände : Klerus und Adel. 99
mute geleistet^. Mit schonungsloser Offenheit geißelt, wie wir ge-
zeigt haben, Frater Ludovicus die Gebrechen der Zeit und die Laster
und Fehler der einzelnen Stände. Er hat von Bertold die Methode,
viele Gedanken und auch die Rücksichtslosigkeit gelernt, mit welcher
er in die Gewissen dringt und die Sündenneigung bis in die letzten
Schlupfwinkel verfolgt. Wie ernst klingen die Mahnungen und
Warnungen, die er an den Welt- und Regularklerus richtet! Gutes
Beispiel, Wissenschaft und Seeleneifer fordert er von jenen, diese
aber warnt er vor Heuchelei und vor dem eiteln Pochen auf den
Ordenshabit und den heiligen Ordensstifter. Wie töricht ist es, Gott
betrügen zu wollen, wie es viele Mönche tun, welche außer der ihnen
auferlegten Buße ohne den körperlichen Zwang der Obern wenig
oder nichts Gutes tun würden 2.
Die Adligen und Reichen warnt er vor falschem Vertrauen
auf ihre Stiftungen für Kirchen und Klöster, auf Almosen und Wall-
fahrten ; denn das alles sei nutzlos ohne wahre Bekehrung. Mit den
,milites', den Rittern und Kriegsknechten, unter deren Bedrückungen
das Volk seufzte, geht er wiederholt ernst ins Gericht. Er erinnert
sie an die Weihe ihres Schwertes, das zum Schutze der Kirche und
der Wehrlosen dienen soll. Sie sollen der Mahnung des hl. Johannes
des Täufers eingedenk sein. Aber die Ritter und Adligen wollen
— klagt er — von der Schule der Buße, zu welcher der Täufer ein-
ladet, nichts wissen: ,Hii discipuli fiunt semel in anno, sc. in Quadra-
gesima, sed de scolis loannis fugiunt id est de penitencia. Post
pascha dicunt: „Quid faciemus et nos?" (Lc 3, 14). 0 humilis inter-
rogacio, dummodo uera!'
An den ,mercatores' , den ' Kauf leuten, rügt er immer und
immer den Betrug im Preise, in der Ware und im Gewicht, den
' Nikolaus fordert V. 1885—1388, S. 83:
Dicite vendenti diversas res et ementi,
Quod male non iuret nee quemquam fallere curet,
Et quod ab usuris caveat, quoniam vice muris
Istud corrodit animam; scelus hoc deus odit.
Das und noch andere Standeslehren, welche Nikolaus vermißt, sind wiederholt bei
Ludovicus zu lesen. Man sieht auch daraus, daß Nikolaus maßlos übertreibt. Vgl.
Michael a. a. 0.
2 Sermo 5 de Apostolis Bl. 90: ,. . . qui seruiunt fraudulenter, qui coacti fa-
ciunt bonum ut multi religiosi, quibus si non esset penitencia taxata uel si corpo-
raliter non cogerentur a superioribus parum uel nihil boni facerent'.
7*
IQO II. Die Predigten des Frater Ludovicus.
Wucher, an den ,niechanici', den Handwerkern, die Lüge, den
Betrug, und an beiden das leichtfertige Schwören. Mit nachdrück-
lichem Ernste und unter Drohungen der ewigen Verdammnis for-
dert er vom Betrüger und Wucherer die volle Restitution und
warnt sie vor dem Wahne, daß sie sich durch Almosen an Klöster
und Kirchen oder durch Dotierung einer Tochter, die sie ins
Kloster schicken, von der Verpflichtung der vollen Restitution frei
machen können. Wenn das Schifflein des Lebens , sagt er , zu
schwer beladen ist , sinkt es. So ist es mit dem Schiflflein des
Habsüchtigen, dem der Hunger nach Gold und das Sammeln von
Schätzen keine Zeit zum Beten , Beichten und Predigthören läßt.
Das Schifflein sinkt, wenn es ungleich beladen ist. ,Hoc fit in tua
naui, 0 auare, quando cum una mensura uendis et cum maiore
empta recipis. Die qualiter in frumento, uino etc. Et hoc deus
prohibuit Dt 25, 13: Non habebis in sacculo diuersa pondera, malus
et minus. Tercio, si negligenter gubernetur, illa submergitur; quia
si homo negligens est in empcione, negligenter ducit nauem suam
et dampnatur. Ista negligencia fit multipliciter et maxime elemo-
sinis modicis, quando tradunt filias suas ad claustra et quidquid cum
ipsis dant, per modum elemosine dant, xx marcas dant, CC illicite
conquisierunt.' ^
Besondere Liebe bezeigt der Prediger dem Stande der Bauern
und den Armen. Ihr hartes Los, meint er, könnte für sie eine
Schule für den Himmel sein ; aber ihre Standessünden — Lauheit im
Dienste Gottes, Diebstahl, Meineid und Trunksucht — bewirken, daß
ihre harte Arbeit verdienstlos bleibt.
Die Frauen endlich warnt er vor dem Hochmut und der Ge-
fallsucht. Sie könnten leicht heilig werden, wenn sie diese Laster
nicht hätten. Der Teufel kredenzt ihnen den Becher des Hochmutes:
,0 quot mulieres ex hoc capite inebriauit' 2. Im übrigen werden die
Frauen mit großer Hochachtung behandelt, was wir mit um so
stärkerem Nachdruck hervorheben wollen, je zuversichtlicher in letzter
Zeit die Behauptung von einer grundsätzlichen Verachtung der Frauen
im Mittelalter aufgetreten ist.
' Sermo domiiiica IV post Epipli. Hl. 14. Vgl. oben S. 84.
^ Sermo domiuica 1 in Quadragesiina Bl. 19' — 20. -
G
V
Stände: Kaufleute, Handwerker, Bauern. 101
Der Teufel geht auf den sieben Straßen der Welt — der
platea militum, mercatorum, dominarum, mechanicorum, religiosorum,
clericorum , rusticorum — und trinkt auf jeder dieser Straßen den
Wanderern aus dem für letztere am meisten verführerischen Becher
zu^: Unzucht, Habsucht, Stolz, Trug usw. ,Et heul' — schließt er —
,tot iam inebriauit temptacio carnalis et spiritualis, ut uerum uideatur
quod docitur Apc 17, 2: „Inebriati sunt omnes qui inhabitant terram
de uino prostitucionis [eins]." Nota quod dicit: mulier fuit ornata,
ciphus aureus, potus nobilis (Apc 17, 4). Hec tria specialiter in
dileccione alliciunt. Per mulierem temptacio, quia mollis quasi mulier,
per ciphum quem probet, delectacio, per uinum in cipho delectacionis
dulcedo. Bibe fortiter, o peccator, o superba mulier, o fornicator!
Vinum hoc tamen soluit duo id est corpus et animam. Ebrius es,
euome cito in confessione et saluaberis.'^
Wenn Frater Bertold und Frater Ludovicus den unteren Ständen
schonungslos ihre Gebrechen vorhalten und mit heiligem Ernste auf
die Erfüllung der göttlichen Gebote dringen, so konnten sie dies um
so fester und zuversichtlicher tun, als jene Stände in den Minoriten-
predigern die wärmsten Vertreter ihrer Interessen verehren durften.
Denn in jenen Zeiten frevelnder Gewalttat und mangelhaften Rechts-
schutzes erwiesen sich die Minoriten als die beredtesten Verteidiger
der vielfach bedrückten Bauern und Armen. Mit welch apostolischem
Freimute kennzeichnen und strafen sie die Ungerechtigkeit der
Mächtigen, die Bedrückungen der Bauern durch die Grundherren, die
Habsucht der Beamten ! In heiligem Zorne erinnern sie die Bedrücker
an das Verdammungsurteil, welches Gott in der Heiligen Schrift über
die Verfolger der Armen ausspricht. Diese freimütige Vertretung
der Armen gehörte noch lange hin zu den schönsten Privilegien der
1 Ebd.
2 Der Sermo in die cinerum Bl. 160' — 164' derselben Hs behandelt das gleiche
Thema unter dem Bilde der sieben Töchter des Teufels: 1. Simonia — die Prälaten
und Kleriker, 2. hypocrisis — Mönche, 3. rapina — milites et principes, 4, usura —
burgenses (Städter), 5. fraus — mercatores, 6, superbia — mulieres, 7. luxuria —
omnes. Bertold stellt in dem Sermo ,De sex generibus que diabolus intoxicare
nititur per sex genera ueneni' folgendes Schema auf: Clerici — negligentia ani-
marum, milites — exactio sive rapina, mercatores et mechanici — frans, feminae —
superbia , iuvenes — luxuria , omnes — dilatio poenitentiae. Rustic. de Sanctis
Nr 20 CLP 498; auch in Clm 2950 Bl. 108"'; vgl. Jakob Nr 10.
102 II- I^'ß Predigten des Frater Ludovicus.
Predigt der Minderbrüder. So geißelt ein anderer Minoritenprediger
die Adligen, Ritter und Advokaten aJs , Unterdrücker und Räuber
der Armen'. Denn, ,wenn sie Kriegsdienste tun sollen, oder ihre
Töchter verheiraten oder ihren Frauen Schmuck kaufen oder zum
Turnier ziehen wollen — immer stehlen sie die Kosten dazu den
Armen' i. Und was die Herren nicht tun , das besorgen ihre
Beamten. Ein Minorit vergleicht darum die Beamten (officiati
dominorum) mit dem Sperber, einem zwar kleinen, aber überaus raub-
süchtigen Vogel. Sie erpressen von den Armen , was sie immer
können, sind nimmer zu befriedigen und hetzen obendrein noch ihre
Herren gegen die Armen 2. Wenn die niederen Stände hörten, wie
hart die Prediger die Vergehen ihrer Bedrücker züchtigten, öffneten
sie um so bereitwilliger ihren Strafreden Ohr und Herz.
Aus den Predigten der Minoriten Bertold und Ludovicus tritt
uns die volle Strenge der christlichen Sittenlehre entgegen. Zuweilen
scheinen sie allzu streng in ihren Ausführungen zu sein; sie mahnen
darum selbst die Prediger, welche sie benutzen, zur Vorsicht, um
nicht durch allzu große Härte zu schaden. So schließt der Frater
Ludovicus seine Erörterung über die Notwendigkeit, nicht bloß aus
,timor seruilis', sondern aus Liebe zu Gott Gutes zu tun, mit der
Warnung : .Hoc caute procede propter scandalum et ignorantem rudi-
tatem ne forte nimis emungas et sanguinem elicias.' ^
Dem betrachtenden Blicke des Fraters bot die Welt in ihrem
liebelosen, Christus entfremdeten Treiben, mit ihrer Habsucht, Gewalt-
tat und Sinnenlust einen betrübenden Widerspruch gegen den sitt-
lichen Ernst der christlichen Lehre. Auch in der Kirche sah er den
Geist der Welt übermächtig werden. Er verzagte an der Über-
1 CLP 719 Bl. 299.
^ CLP 719 BL 279: ,Nisus auis parua, sed rapax, cupida . ..; hec parua
rapit, quia maiora non potest. . . . Ista auis signat officiatos dominorum, qui ualde
raptores sunt, sed parua rapiunt; isti uaccam, isti uestem, quia maiora non pos-
sunt. Item appetunt rapere, quod eciam dominis eorum placeat. quia os paruum
non est hereditas eorum. Unde destructionera pauperum non curant. Propter
timorem multa fodiuntur in terra, qua ante tempora antichristi non inuenientur.
Hü sunt ministri Nabuchodonosor, qui fornacem septuplum quam consueuerunt in-
cendebant, ut innocentes criminarent. Fornaces sunt corda dominorum, quos in-
cenduut, quando per suggestionem eos sollicitant, ut pauperes rodant . . .'
^ Sermo 5 de Apostolis Bl. 90.
Gegen die Bedrücker der Armen. 103
Windung der dämonischen Gewalten, welche in Welt und Kirche die
Obmacht erlangt hatten. Darum ersehnte er mit allen jenen, die
treu zu Christus hielten, das Ende dieser Welt voll Sünde und Bos-
heit und die Wiederkunft des Erlösers. Und die Zeichen der Zeit
schienen sie anzukündigen. Er glaubte sie als Vorboten der letzten
Tage deuten zu dürfen und begrülste sie als die Verkündiger des
großen Gerichtstages, an welchem der Teufel und sein Anhang ge-
stürzt und das Reich Gottes siegreich zur Vollendung geführt
werden wird^.
^ Erst während des Druckes gelangte der dritte Teil von Schönbachs
Untersuchungen über ,die Überlieferung der Werke Bertolds von Regensburg* in
unsere Hände. Darin wird S. 97 wahrscheinlich gemacht, daß Bertold seine Aus-
bildung in dem Minoriten-Studium zu Magdeburg erhalten hat. Man darf wohl
annehmen, daß er auch noch später Beziehungen zur sächsischen Minoritenprovinz
gepflegt habe. Die geistige Verbindung mit den sächsischen Minoriten, welche
Frater Ludovicus repräsentiert, wäre somit auch äußerlich erwiesen.
m.
Die Predigten des Greculus.
Hl'
•«::
Im 14. Jahrhundert tritt in der homiletischen Literatur eine Samm-
lung von Sonntagspredigten auf, welche den Titel ,Greculus',
, Piper', ,Flores apostolorum', ,Flores', führt. Ihre Verbreitung ist,
soweit sich übersehen läßt, auf österreichische, steierische, böhmische
und Bamberger Klöster beschränkt. Um vieles geringer war die Ver-
breitung des Zyklus von Festtagspredigten, welcher ebenfalls
den Titel ,Greculus' trägt; wir kennen nur ein einziges Exemplar.
Unserer Abhandlung über die Predigtsammlungen des Greculus
legen wir zwei Handschriften des Chorherrenstiftes St Florian in Ober-
österreich zu Grunde. Die eine, CFl. XI 342, enthält die Sonntags-
predigten, die andere, CFl. XI 289, die Heiligenpredigten.
Der CFl. XI 342 ist eine Papierhandschrift aus der zweiten Hälfte
des 14. Jahrhunderts, 29X22 cm groß und zweispaltig geschrieben^.
Der gepresste Lederband ist alt. Die Handschrift zählte ursprünglich
158 Blätter, jetzt nur 157 ; von dem einen herausgerissenen Blatte
wird noch die Rede sein. Der spätere Zähler rechnet nur 156 Blätter,
da er das zwischen 146 und 147 stehende Blatt zu zählen vergessen
hat. Blatt 1 enthält den Eigentumsvermerk: ,Iste liber est mona-
sterii sancti Floriani patauiensis diocesis.' Das Buch ist auch in
St Florian geschrieben.
Außer den Sonntagspredigten des Greculus (Bl. 1 — 139') enthält
die Handschrift verschiedene Sermones, die uns hier nicht interessieren,
wir haben es nur mit den Sonntagspredigten zu tun. Diese , Sermones
de tempore' werden am Schlüsse bezeichnet als , Greculus de tempore
per circulum anni'. Es sind im Ganzen 177 Sermones. In dem CFl. XI 342
fehlt zwischen Bl. 81 und 82 ein Blatt; dasselbe enthielt, wie aus
dem CLb 130 und dem CVP. 1645 hervorgeht, den Schluß des Sermo 2
de dominica intra octavam ascensionis Domini und den größten Teil
» Vgl. auch Czerny 139.
108 m« I^iö Predigten des Greculus.
des 3. Sermo de dominica infra octavam ascensionis Domini, der aber
im CFl. XI 342 als Sermo in pentecoste rubriziert war, da der folgende
Sermo mit ,ad idem' sc. festum pentecostes bezeichnet ist. Der Schluß
dieses Sermo steht im CFl. XI 342 auf Bl. 82' ^ i
Dieselbe Sammlung steht auch im CLb 130, einer Papierhand-
schrift des Benediktinerstiftes Lambach aus dem Jahre 1388 ^. Der
Verfasser wird weder am Anfange noch am Schlüsse der Sammlung
genannt; aber eine Hand aus dem 15. Jahrhundert hat in einem
Eintrage auf dem Deckel vermerkt: , Greculus de tempore'. Die
Handschrift enthält außerdem Sermones de Sanctis, die dem Greculus
nicht angehören und ,pronunciamenta', d. i. kurze vitae sanctorum vom
1. Januar bis 31. Dezember, Auszüge aus der Legenda aurea, offen-
bar zur Vorlesung bestimmt. Am Schlüsse des Greculus steht eine
Predigt auf das Fest des hl. Thomas, in welcher die Legende erzählt
wird, nach welcher bei der Feier des Festes in Indien der hl. Thomas
selbst anwesend ist und bei der Austeilung der heiligen Kommunion
Wunder wirkt. Wackernagel ^ hat den Bericht darüber aus einer
Baseler Handschrift publiziert. Die Lambacher Handschrift enthält
eine Anzahl deutscher Glossen, so Bl. 203'^ die Verdeutschung
einiger Titel von biblischen Büchern z. B. liber Machabaeorum ,puch
der vechter', canticum canticorum ,puch gotleicher lieb'. Auch im
Greculus finden sich deutsche Glossen. Der CLb bietet im Greculus
de tempore eine Predigt mehr als der CFl. XI 345, nämlich den
Sermo dominica I post Epiphaniam über den Text : ,Viri diligite uxores
vestras.' Auch sonstige Differenzen finden sich.
Die älteste Handschrift des Greculus de tempore enthält CLinc.
Cc IV 22^ eine aus dem Cistercienserstifte Baumgartenberg stammende,
jetzt in Linz a./D. befindliche Pergamenthandschrift. Der etwas
spätere Titel lautet: ,Flores apostolorum'. Am Schlüsse steht: ,Ex-
plicit flores apostolorum scriptus per manum Alberti de Leubsa anno
Domini MCCCXLI. Explicit flores apostolorum correctus per manus
H. de Geysa. Deo gracias.' Die Worte ,flores apostolorum' sind beidemal
: ^■
1 Bl. 183'":
Finito libro sit laus et gloria Christo.
Explicit iste liber, sit scriptor criniine liber.
Explicit iste liber anno Domini MCCCLXXXVIII in uigilia pentecosten.
2 Altdeutsche Predigten, Basel 1876, 256—258.
Die Handschriften. 109
auf Rasur geschrieben. Daß ursprünglich ,Greculus' da gestanden hat,
machen die stehen gebliebenen Worte ,explicit' und ,correctus' wahr-
scheinlich.
Um wenige Jahre jünger ist die Pergamenthandschrift CVP. 1645.
Mit Bl. 1 beginnt, wie der spätere Titel lautet, ,Greculus de tempore
et de Sanctis', wozu am Rande bemerkt wird : ,non est grecus doctor'.
Die Sermones de tempore schließen Bl. 129'"" mit dem Vermerk:
,Explicit opus Greculi de tempore per circulum anni. Finis adest
operis, mercedem posco laboris.' Sermones de Sanctis sind nur wenige
aufgenommen; sie gehören dem Greculus nicht an. Da der in der
Handschrift stehende Kalender mit 1348 beginnt, darf man die Hs in
diese Zeit verlegen. Eine Vergleichung der hier stehenden Sermones de
tempore mit dem CFl. XI 342 ergibt, daß im CVP. 1645 die Reihen-
folge der für die einzelnen Sonntage bestimmten Sermones häufig eine
andere, und daß hin und wieder ein Sermo weggelassen oder auch
mehr aufgenommen ist.
Dem 15. Jahrhundert entstammt CScot. 52, welcher Bl. 1 — 104'
den Greculus enthält i.
In der Bamberg er königlichen Bibliothek sind unsere Sonntags-
predigten viermal vertreten, und zwar: a) CBg. Q. II 39 (Nr 35) ^
unter dem Titel ,Flores apostolorum'. Hier beginnt der Zyklus mit
der 2. Predigt für den 1. Adventssonntag, b) CBg. Q. II 5 (Nr 36)^
(geschrieben zwischen 1445 — 1447) unter dem Titel ,Flores de tem-
pore'. Der Zyklus beginnt hier mit dem Osterfeste, bringt also die
pars aestivalis zuerst, dann erst mit dem 1. Adventsonntage die
pars hiemalis; es kommen auch sonstige Unregelmäßigkeiten in der
Reihenfolge vor. c) In CBg. Q. V 72 Bl. 1—173 (Nr 154) * als ,Flores
de tempore', d) CBg. Q. II 30 (Nr 20) ^ Hier heißt der Zyklus
,Mauricii sermones de tempore, ; er beginnt wie in CBg. Q. II 39.
Am Schlüsse wird er aber ,piper' genannt: ,Explicit piper de tem-
pore domini Mauricii finitus per manus Clementis de daplicz sub
anno domini 1367.'
^ Bl. 104': ,Explicit greculus per manus domini Thome de Wolkenstayn.
Vgl. Hübl 50.
2 Katalog der Bamberger Hss I 589. ^ e^^j 590,
' Ebd. 738. Eine unvollständige Abschrift enthält CBg. Q. V 69 (Nr 153)
ebd. 737. ^ Ebd. 573.
wo III. Die Predigten des Greculus.
Die gleiche Bezeichnung ,piper' trägt der Zyklus in der Os seger
Pergamenthandschrift 34 aus dem 14. Jahrhundert ^. Leider fehlt eine
Beschreibung; daß er aber die Sonntagspredigten unseres Greculus
enthält , ergibt sich aus dem Verweise auf B a 1 b i n u s' Bohemia
docta^, wo der Anfang der ersten Adventspredigt angeführt und be-
merkt wird: ,Sermones dominicales per annum, qui explicant magna
parte evangelia dominicalia ; dicuntur isti sermones apud antiquos
Piper.' Damit ist der uns bekannte Handschriftenbestand der Sonn-
tagspredigten abgeschlossen.
Von den Festtagspredigten liegt uns nur eine einzige Ab-
schrift vor in der aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammenden Perga-
menthandschrift CFl. XI 289 Bl. 1—863. Der Zyklus ist von gleich-
zeitiger Hand überschrieben: ,Opus greculi de sanctis per circulum
anni'. Er beginnt mit St. Andreas und schließt mit einer Predigt auf
das Fest Maria Geburt, ist daher unvollständig. Der Schreiber hatte
offenbar die Absicht, den Zyklus zu vervollständigen und ließ darum die
Blätter 87 — 90 der Handschrift frei * ; er hat indessen seine Absicht nicht
ausgeführt. Weder in den Sonntags- noch in den Festtagspredigten
finden sich Notizen, aus welchen die Identität der Verfasser beider
Zyklen geschlossen werden könnte. Wir sind lediglich auf den Namen
angewiesen, den die Predigtwerke der Florianerhandschriften 342 und
289 tragen. Bestätigt wird unsere Annahme durch die Notiz in einer
Marienpredigt des der Mitte des 14. Jahrhunderts angehörigen Clm 7695,
in welcher bezüglich der Prärogativen der heiligen Jungfrau auf Greculus
verwiesen wird^. Im übrigen flößen Inhalt und Form beider Zyklen
keine Bedenken gegen die Identität der Verfasser ein. Die von Linsen-
mayer ^ als , Greculus de sanctis' bezeichneten beiden Münchener Hand-
' Die Hss-Verzeiclmisse der Cistercienserstifte Österreichs II 134.
2 111 206 (Pragae 1780). ^ yg]^ Czerny 121.
^ Von Bl. 91 — 137 stehen umfangreiche , Sermones synodales', Bl. 138 — 230
meist Marienpredigten, Bl. 169 zwei Predigten über den hl. Petrus Martyr. Bl. 140
eine Predigt ,de resurrectione Domini'; Bl. 193 zwei Marienpredigten ,fratris Be-
reiigerii' und Bl. 199 eine solche ,fratris Bernardi'. Der erstere ist der Domini-
kaner Berenger Notarii (f 1296) , der letztere vielleicht sein Ordensgenosse, Ber-
nard d'Auvergne, 1285 Prior in Paris (Lccoy, La chaire 499 506). Auch in den
Synodalreden zeigen sich Spuren französischer Herkunft.
'•> Bl. 174"': ,Et de hoc quere in greculo.' Vgl. die Sermones 24 31 32 70
des CFl. XI 289.
•^ S. 169.
Die Handschriften. Name der Predigtsammlung. Hl
Schriften — Clm 12691 und 9730 — repräsentieren nicht den Gre-
culus, sondern einen unbekannten Prediger, dessen Eigenart an anderer
Stelle behandelt werden soll; Clm 12 691 trägt allerdings den Titel
,Grreculus de sanctis', aber von späterer Hand.
Die Bezeichnung der Sonntagspredigten mit ,Flores aposto-
lorum' oder ,Flores temporum' erklärt sich von selbst. Dafür
gab es Vorgänge. Der Zyklus von Predigten, welchen der dem 13. Jahr-
hundert entstammende Clm 21540 enthält, wird ebenfalls ,Flores
apostolorum' genannt. Schwieriger ist die Erklärung der Bezeichnung
,Piper'. Es ist auffallend, daß diese sich nur in den aus Böhmen
stammenden Handschriften findet. CBg. Q. II 30 ist, wie der Schluß-
vermerk zeigt, von einem der tschechischen Sprache kundigen Schreiber
geschrieben. Die Sammlung heißt hier ,piper domini Mauricii'. Daß
der Verfasser der Predigten Mauritius geheißen habe, ist sonst nicht
bezeugt; jedenfalls war er kein , dominus Mauricius'^, sondern ein ein-
facher Frater. Vielleicht erhielten die Predigten den Namen ,piper'
von ihrem kräftigen Inhalt, von den ernsten, ergreifenden Wahrheiten,
die sie bieten. Vielleicht soll der Name auch den hohen Wert der
Predigten bezeichnen. Denn der Pfeffer galt im Mittelalter als ein
kostbares Gewürz 2, Diese Vermutung dürfte um so wahrscheinlicher
sein, als gewöhnlich die Titel von Predigtsammlungen eine Empfehlung
der Güte und Brauchbarkeit derselben ausdrücken sollen 3.
Der Name ,Greculus' geht offenbar auf den Verfasser, welcher
den Beinamen ,Greculus' getragen haben mag. Vielleicht hatte er
denselben aus seinem Aufenthalte in den östlichen Missionen erworben.
In den Predigten selbst findet sich kein Anhalt zur Erklärung dieses
Namens. Daß seine Predigten schon früh, unmittelbar nach ihrer
Abfassung ihn getragen haben, bekundet die aus den ersten Dezennien
des 14. Jahrhunderts stammende Grazer Handschrift 730, in welcher
einmal* auf den ,Greculus' verwiesen wird.
^ Mit den Sermones Mauritii episcopi Parisiensis (Maurice de Sully) haben
unsere Predigten keinerlei Zusammenhang. ^ yg}^ Ducange s. v. piper.
^ So jHortus deliciarum' (Clm 5582; vgl. Linsenmayer 169); ,thesaurus
anime' (CPrag. A. 16); ,cappa aurea' (CPrag. VI. D. 3) u. a. Eine Sammlung von
Sonn- und Festtagspredigten in Clm 21540 trägt den Titel ,Flores apostolorum
redacti in sermones qui ^ aurea lingua intitulantur"'; darin befinden sich auch Pre-
digten aus Greculus.
^Bl. 272'b. y^i Schönbach, Über eine Grazer Handschrift 120.
112 ^11- ^i^ Predigten des Greculus.
In dieser Handschrift steht eine Pfingstpredigt mit folgendem
Eingange: Super seruos meos et super ancillas meas effundam de
spiritu meo^ (loel 2, 29). In uerbo isto tria notantur: Primum est
ydoneitas ex parte recipientis spiritum sanctum, ibi: , Super seruos
meos' etc. Secundum est largitas ex parte dantis, ibi: , effundam'.
Tercium est quedam distinccio spirituum ad spiritum sanctum ; propter
hoc ibi dicitur : ,de spiritu meo'. Dicit ^ ergo Dominus : , Super seruos
meos'. In his tangitur ydoneitas ex parte illorum, qui uolunt reci-
pere spiritum sanctum, que ydoneitas consistit in IUI, que seruis et
ancillis conueniunt , que sunt: munditia , agilitas seu operositas,
concordia et obedientia. De hiis require in Greculo in eodem
sermone.'
Ein solcher Sermo — eine Pfingstpredigt — findet sich aber
in den uns zugänglichen Handschriften des Greculus weder in
dessen Zyklus de tempore noch in dem de Sanctis. Wenn auch
der gerade bei den Pfingstpredigten verstümmelte ^ CFl. XI, 342 da-
für nicht beweiskräftig ist, so sind es doch die ganz unversehrten
und vollständigen CVP. 1645 und CLb 130. Auch darin findet sich
dieser Sermo nicht. Der Redaktor des Grazer Predigtwerkes hat
sonach eine Handschrift des Greculus benutzt, in welcher sich die
bezeichnete Pfingstpredigt vorfand. Denn in den Handschriften des
Greculus ist die Zahl der Predigten für die Sonntage zuweilen ver-
schieden^. Im übrigen genügt die Nennung des Namens für unsere
Zwecke.
Ohne Namennennung hat der Redaktor des CGraec. 730 aus dem
Zyklus de Sanctis eine Anzahl Predigten mehr oder minder wörtlich
entlehnt. Wir haben die nachstehend verzeichneten Stücke des CGraec.
730 mit den entsprechenden Predigten des Greculus de Sanctis verglichen
und dürfen feststellen, daß dem Sammler des Grazer Predigtwerkes
eine der unsrigen gleiche Handschrift des Greculus de Sanctis vor-
gelegen hat. Stück 35 (Weihnachtspredigt) ist völlig gleich dem
Sermo 9 des Greculus; die Stücke 58 und 39 (Stephanuspredigten)
sind gleich den Sermones 10 und 11; die Stücke 42, 46 (Johannes
Evangelista), 51, 52 (Innocentes), 58 (Circumcisio), 67, 68 (Epiphanie)
' Vulgata: , spiritum meum', - Hs : ,Dicat*.
' S. oben S. 107. •* S. oben S. 108 109.
Greculus, benutzt im CGraec. 730. Abfassungszeit, 113
sind gleich den Sermones 60 (Inventio s. Stephani) 13 14 19 und 18 ^
Man ersieht aus dieser Aufzählung der gleichen Stücke, daß der Re-
daktor aus dem Greculus de Sanctis diejenigen Stücke entnommen
hat, die für seine Sammlung, in welche er nur Predigten für die
Sonntage und die Herrenfeste aufnehmen wollte, geeignet erschienen.
Er ist dabei auch der Reihenfolge des Greculus nachgekommen mit
Ausnahme des Stückes 4^, für welches er die Predigt des Greculus
am Feste der Inventio s. Stephani übernahm. Die Benutzung des
Greculus in dem Grazer Predigtwerke steht sonach außer Zweifel;
das letztere ist also jünger.
Auf die Zeit der Abfassung der Predigten des Greculus
führt eine Stelle des Sermo 3 dominica VI post Pentecosten. Die
Predigt handelt von den Beweggründen zur Versöhnung mit dem
Nächsten. Als vierten bringt er folgende Erwägung: In dem ver-
söhnlichen Christen wächst die Gottesliebe; die letztere ist von Gott
gepflanzt durch die drei göttlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und
Liebe; aber der Teufel sucht in den Menschenherzen Unglauben,
Verzweiflung und Haß zu pflanzen, und leider wuchert die teuflische
Pflanzung üppiger, als die göttliche wächst. Nun fügt er hinzu ^r
,Fides christiana plus quam mille trecentis annis durauit et
adhuc non credunt omnes fidem christianam sine qua tamen nullus
saluatur.' Um nun zu zeigen, wie erschreckend der Unglaube selbst
unter Christen gewachsen sei, erzählt er nach seinem Ordensgenossen
Albertus de Prussia den frevelhaften Mißbrauch, welchen eine Frau
mit dem heiligsten Sakrament getrieben habe. Die Erzählung, welche
in die Klasse der zahlreichen VVunderberichte gehört, mit welchen
man von der Verunehrung der heiligen Eucharistie abschrecken wollte,
interessiert uns augenblicklich weniger als der Name des Erzählers.
Albertus dePrussia^ war Minorit und Bischof von Pomesanien
(1259—1288). Wie EubeH glaubhaft macht, wurde er aus dem
1239 gegründeten Konvente von Thorn auf den Bischofstuhl von
^ Vgl. Schönbach, Über eine Grazer Handschrift 82 84—88 90. Das
Stück 67 = Greculus Nr 19 ist keine Weihnachtspredigt, sondern eine Epiphanie-
predigt, als solche steht sie im Greculus. Sie ist im CGraec. 730 Bl. 74^ 78^* durch-
gestrichen, warum ist nicht angegeben.
2 Bl. 101 ^
3 CFl. 342 Bl. 101-^: ,Alb. de Pruscia' ; CLb 130 Bl. 142'": .Alb. de puericia'.
* Freiburger Diözesanarchiv XVII 301—306.
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. 3
114 ^11- Diö Predigten des Greculus.
Pomesanien berufen. Er gründete die Stadt Riesenburg und das
Pomesanische Domkapitel an seiner Kathedrale zu Marienwerder (In-
sula b. Mariae). Von 1279 bis 1285 lebte er in den Diözesen Basel,
Konstanz und Straßburg und verrichtete auch in Vertretung der Bi-
schöfe Pontifikalhandlungen. Von seiner literarischen Tätigkeit weiß
Eubel nichts zu berichten ; auch bei Wadding wird sie nicht erwähnt.
Nach der Mitteilung des Greculus muß er aber eine erbauliche Schrift
verfaßt haben, welcher das erwähnte Exempel entnommen ist.
Da Albertus 1286 gestorben ist^, muß man die Abfassungszeit
des Greculus später ansetzen. Greculus selbst weist auf die Zeit
nach 1300 hin. Daß man nicht tief ins 14. Jahrhundert gehen darf,
ergibt sich aus der Benutzung des Greculus in CGraec. 730, dessen
Schriftzüge auf die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts weisen.
Der Verfasser des Greculus de tempore und de Sanctis war ein
deutscher Minorit. Seine Zugehörigkeit zu den Minoriten geht aus
Äußerungen hervor, die nur ein Minorit tun konnte. St Franziskus
ist ,saluator mundi', wie einst der ägyptische Joseph der Retter Ägyp-
tens war; denn ,ex pauperitatis horreo saciat turbam Christi fame-
licam in uia ne deficiat'. Wie die elf Brüder des ägyptischen Joseph
sich vor ihrem Bruder verneigen, so bringen die ,ordines spirituales
in ecclesia scilicet sacerdotalis, monachalis scilicet Benedicti, Augustini,
Dominici, Francisci, Cruciferorum, Reclusorum et aliorum heremitarum
et beginarum, deuotarum, que in habitu religioso uitam ducunt de-
uotam et sanctam inter homines etsi non in monasteriis, tamen se-
cundum ordinem uiuunt diuinum' dem hl. Franziskus ihre Huldi-
gung dar 2. Die hl. Klara wird in zwei Predigten gefeiert; in der
zweiten wird von dem ,beatissimus pater Franciscus' gesprochen^.
Auch der hl. Antonius von Padua ist mit einer Predigt bedacht*.
Endlich fällt dafür auch die Benutzung Bertolds von Regensburg und
des Albertus de Prussia ins Gewicht.
Die deutsche Nationalität des Minoriten ist zweifellos. Seine
Diktion ist völlig deutsch-lateinisch. An zwei Stellen des Zyklus de
tempore finden sich überdies deutsche Worte, die von dem Autor
selbst, nicht von einem Abschreiber stammen. In dem Sermo am
^ Vgl. Eubel, Hierarchia catholica I 426.
2 De Sanctis Bl. 47. ^ Ebd. Bl. 71. " Ebd. Bl. 68'.
f .i
Albertus de Prussia. Greculiis, ein deutscher Minorit. Die Sonntagspredigten. 115
fünften Sonntage nach Pfingsten wird ,racenms' durch ,ein nachloser'
übersetzt^; dieselbe Übersetzung findet sich auch im CLamb. 130
Bl. 188^: ,racemus proprie dicitur nachleser.'^ In Greculus de Sanctis
werden fünf Arten von Gärten aufgeführt^: 1. ,florum et liliorum,
ein paumgart' (soll heißen plumgart); 2. ,fructuum et pomorum, ein
paumgart'; 3. ,aromatum et unguentorum, ein wuerzgart' ; 5. ,deli-
ciorum, ein wunegart'. Die vierte Bezeichnung fehlt; nach der wei-
A teren Ausführung ist es hortus uinearum, also wingart.
Wenn man aus der örtlichen Verbreitung der Handschriften einen
Schluß ziehen darf, so wird man den Verfasser in den österreichi-
schen Landen zu suchen haben. Aus diesen Gegenden stammen die
uns bekannten älteren Handschriften, während die reichen, aus den
bayerischen Klöstern stammenden Bestände der Münchener königlichen
Staatsbibliothek unseres Wissens kein Exemplar aufzuweisen haben
und die Bamberger Handschriften bis auf eine dem 15. Jahrhundert
angehören. Die Erwähnung des ,haustus s. Bernardi' ^ läßt ver-
muten, daß der Verfasser in einer Gegend lebte, wo Cistercienser an-
sässig waren.
Greculus de tempore hat im CFl. XI 342 im ganzen 177 Ser-
mones ; in den andern obenerwähnten Handschriften ist ungefähr die
gleiche Zahl enthalten. Für jeden Sonntag bietet er gewöhnlich drei,
zuweilen zwei, einmal, am fünften Sonntage nach Pfingsten, mit Rück-
sicht auf die Bittage sogar sechs Predigten. Mit Ausnahme der
Sermones am W^eihnachtsfeste, an Epiphanie, am Aschermittwoch, am
Ostermontage und an Christi Himmelfahrt sind die Sermones sämtlich
Sonn tags predigten. Dieselben behandeln mit Ausnahme von zehn
Predigten Texte aus den Sonntagsperikopen ^. Beide Zyklen sind ver-
faßt und zusammengestellt als Hilfsmittel für die Prediger. Die Ab-
sicht des Verfassers, den Prediger in seinem Berufe anzuleiten, ergibt
sich auch aus einer Reihe von Bemerkungen in den Sermones selbst.
So bemerkt er in der Predigt am ersten Sonntage nach Epiphanie,
' Bl. W\
- Die Glosse des CLb Bl. 132, ,ain lawschen' = eine verächtliche Weibs-
person (vgl. SchmeUer I 1520) rührt von dem Abschreiber her,
2 Serrao 2 in Assumptione b. M. V. Bl. 79'. * Bl. 19'^
^ Bei Zitationen aus den beiden St Florianer Handschriften zeigt die bloße
Blattzahl die Sermones de tempore an, während die Sermones de Sanctis mit S.
bezeichnet werden.
Wß III. Die Predigten des Greculus.
nachdem er gesagt ^ : ,tna sunt que conqueruntur pueri de parentibus :
1. de malo exemplo, que a uobis didicerunt; 2. quod ipsis mala non
inhibuistis; 3. quod ipsis bona iniusta reliquistis' , ,hic procede
caute', um den Prediger vor der Zerstörung der elterlichen Autorität
zu warnen. Oder er verweist auf andere Predigten '•^, oder fordert den
Prediger auf, diese oder jene Erzählung vorzutragen oder eine Aus-
führung aus Eigenem zu machen: ,que per te dicas', , procede ut uis
et scis', ,dic exemplum in uitas patrum' ^.
Die Sermones des Greculus sind meist thematische Spruch-
predigten; hin und wieder finden sich textuale Spruchpredigten
vor, in welchen im Anschlüsse an einen Text die ganze Perikope erklärt
wird^; im Zyklus de Sanctis kommen auch emblematische Pre-
digten vor. Einige Beispiele werden die Methode erläutern.
Am ersten Adventsonntage ^: ,Ecce rex tuus uenit tibi pius et
mansuetus (Mt 21, 5)^. Tibi aliquem amicum ad nos suscepturi sumus,
uenturum ipsum propter tres causas reuerenter suscipere debemus.
Primo nota propter affeccionem sc. quando esset proximus noster ; se-
cundo propter officium, sc. quando haberet officium sc. quando sci-
remus quod non [Hs: nunc] haberet officium seuere iusticie, sed pie-
tatis et misericordie ; tercio propter beneficium, sc. quando ueniret, ut
non raperet sed ut tribueret. Istis tribus causis Christum amicum
nostrum secundum representacionem isto tempore uenturum reuerenter
suscipere oportet'; 1. ,propter affeccionem, quia frater et proximus';
denn Jesus wollte nicht die Engels-, sondern die Menschennatur an-
nehmen; er hat den Vater wie wir (Gott) und die Mutter wie wir
(Maria); 2. ,propter officiun\ pietatis et misericordie' (pius et man-
suetus); Christus ist mansuetus diuina natura, gratia, experientia:
3. propter beneficium (Lehre, Erlösung, Himmel).
Der Sermo 1 am zwölften Sonntage nach Pfingsten^ be-
handelt das Evangelium von der Heilung des Taubstummen und ist
ein Beispiel für die textuale Spruchpredigt. Der Text lautet:
,Misit digitos suos in auriculas eins' (Mc 7, 33). I. Die Hand Gottes
ist die Gnade in der Gegenwart und die Glorie in der Zukunft. Die
erste Hand hat fünf Finger, d. h. effectus gratiae: 1. peccatorum
1 Bl. 19'''. 2 ßi 30'. s Bl. 28 37 38.
* Vgl. Linsenmayer 150 tf. ^ Bl. 1.
* Die heutige Vulgata hat ,pius et' nicht. " Bl. 113.
II
Predigtmethode. Beispiele. 117
contritio; 2. aequa poenitentia ; 3. repressio tentationum; 4. manda-
torum divinorum impletio; 5. peccatoris iustificatio. IL Jesus berührt
die Zunge mit Speichel. So gibt Gott die Gnade, daß der Mensch
richtig denkt und fühlt. III. Jesus blickt zum Himmel. Das sollen
auch wir tun, denn dort ist unsere Stätte, unser Schatz, unser Helfer
und unser Freund.
Am Feste des hl, Thomas^ wählt er zum Spruch: ,Videte manus
meas' (Lc 24, 39). Gott will, daß alle zur Erkenntnis der Wahrheit
gelangen; darum wirkt er in uns ein Doppeltes: ,excitat ad intellectum
cognicionis et inuitat ad consideracionem operacionis. Primum ibi:
„uidete" ; secundum ibi: „manus meas". Circa primum nota, quod
debemus uidere quinque sc. manus creacionis, recreacionis, largicionis,
punicionis, glorificacionis' — was weiter ausgeführt wird.
Greculus zeigt eine unverkennbare Neigung für Allegorien aus
dem Tier- und Pflanzenreiche. Darin folgt er der damaligen Sitte
der Prediger. Er kleidet aber auch die ganze Predigt in Symbolik
und knüpft daran seine Belehrungen. So rühmt er in der Stephans-
predigt ^ die auserwählten Seelen, indem er die Vorzüge von sieben
Arten von Blumen beschreibt. An den Symbolen der vier Evangelisten ^
zeigt er die Aufgaben der Prälaten, der Arbeiter, der Fürsten und
der Klosterleute. Er bedient sich aber auch der Form der emble-
matischen Predigt, für welche wir unten ein Beispiel vorführen.
Die Einleitungen sind meist schlicht und kurz. Mit Vorliebe
geht er von Sitten an Fürstenhöfen oder im Volksleben, von Be-
ziehungen zwischen Freund und Freund, von Gepflogenheiten bei
Gericht, von Reisen'^ u. a. aus und leitet dann sofort aufsein Thema
über. Hin und wieder erheben sich die Eingänge zu einem gewissen
Schwung, welcher der jeweiligen Festesfeier entspricht, wie in der
Oster- und Weihnachtspredigt ^.
Im Zyklus De Sanctis bemerken wir wiederholt eine größere
Freiheit in der Behandlung des Themas, hie und da auch Ab-
schweifungen von demselben. Es bekundet sich auch hier die Neigung
der mittelalterlichen Prediger in den Heiligenpredigten die sonst streng
innegehaltene Schablone zuweilen zu verlassen. Darum finden sich
1 Bl. 8. 2 Bl. 13. 3 Bl. 40.
' Bl. r 3 5 15 21 22 94. ^ Bl. 38 9.
J^i[8 1^1- ^'6 Predigten des Greculus.
darin auch komplizierte Dispositionen, während die Sonntagspredigten
— mit vereinzelten Ausnahmen ^ — eine einfache Einteilung aufweisen.
Wir lassen in umfangreicherem Auszuge zur Kennzeichnung der
Methode und Sprache in den Heiligenpredigten die emblematische
Rede am Markusfeste^ folgen:
,In circuitu sedis quatuor animalia Apc 4, 6.
.Licet secundum diuinam prouidenciam per quatuor animalia, que
in Ezechiele et a lohanne in Apocalypsi describuntur, quatuor euan-
geliste figurentur, secundum omnium doctorum exposicionem tamen
non inconuenienter possumus intelligere per eadem animalia quatuor
genera hominum saluandorum (Hs: „salvatorum"), qui secundum sua
merita ponendi sunt ante thronum diuine maiestatis scilicet prelatorum,
laboratorum, magnatorum, contemplatiuorum . . .
,In leone, fortissimo bestiarum, qui ad nullius pauet occursum
fortissima prelatorum dignitas siue sacerdocium designatur . . .
primo quia leo inueniens hominem errantem in deserto dirigit et ad
uiam reducit ^. Sic et ipsius exemplo debent dirigere errantes animas
per deuia in uiam salutis . . . Sed prelati ut dicitur Eccli 49, 3,
directi sunt diuinitus in penam gentis, ut dirigant auaros in uiam
largitatis, superbos in uiam humilitatis, luxuriöses in uiam castitatis.
. . . Item secundo comparatur leoni sicut dicit Ouidius*:
Est nobilis ira leonis
Parcere subiectis et debellare superbos.
,Hanc nobilem uirtutem docuit Dominus illum magnum leonem
Petrum et suos successores. . . . Tercio comparatur leoni, quia die
tercia suscitat suos tilios clamore rugitus^.
, Secundo per uitulum sive bouem laboratorum exprimitur status.
Bos enim secundum legem erat animal mundum ad laborandum, ad
sacrificium acceptum. Sic boni et simplices homines siue iusti mer-
' So am Palmsonntag Bl. 49'^ ^ ßi, 40— 4r.
' Vgl. über die in der mittelalterlichen Literatur gerühmten Eigenschaften
des Löwen PH nius VIII 48 ff. Isidori Hisp. Etymol. 1.12, c. 2, n. 6 (Migne,
P. L. LXXXII 434) : , Circa hominem leonum natura est benigna. . , Patet enim
eorum misericordia exemplis assiduis. Prostratis enim parcnnt, captivos obvios
repatriare permittunt' etc. Vgl. Vincentii Bellov. Speculum naturale 1. 19,
c. 69 70, t. I 1420.
* Bei Ovid kommen diese Verse nicht vor. , Parcere* etc. steht in Virgils
Äneide 6, 852.
^ Vgl. Isidor. Hisp. a. a. 0. n. 5.
Ii\
Predigt am Markusfeste. 119
catores, laboratores, seruitores in sudore uultus sui panem suum ue-
scentes, cum dei timore iuste uiuentes, nullum ledentes, bona que sunt
facientes, omnes ducuntur ad thronum diuinitatis. Sunt enim mundiores
ceteris et castiores ad literam, quia labore fatigati minus curant de
illo facto iuxta id^:
Ocia si tollas periere cupidinis arcus.
Sed qiieris, Egestus quare sit factus adulter.
In promptu causa est : desidiosus erat. . .
,Laboribus igitur rusticorum clerici, episcopi, reges, milites, clau-
strales, uiri, mulieres, omnes sustentantur ; unde ipsorum sacrificium
et omne bonum, quod faciunt ieiunando, peregrinando, elemosinam
dando est acceptum ualde apud deum.
,Item tercium animal habens faciem quasi hominis. Quid sit
homo diffinit noster diuinus philosophus sc. Eccle 12, 13 in fine:
„Deum time et mandata eins obserua, hoc est omnis homo." Secundum
hoc, qui timet deum et mandata eins obseruat, habet faciem hominis.
Si ergo reges et principes milites et domini et domine Deum timent,
saluabuntur . . .
,Quartum animal simile aquile uolanti, per que contemplaticii
et claustrales notantur. Sunt enim aquile nobiles et uolantes sancta
conuersacione et contemplacione ; uolant autem ad Christum sequendum,
diabolum fugiendum, se ipsos pascendum.'
Die letzten drei Punkte werden unter Zitation vieler Schrift-
stellen weiter ausgeführt.
Während Konrad von Sachsen und der Frater Ludovicus die von
ihnen vorgetragenen christlichen Lehren fast nur mit biblischen
Erzählungen oder mit Beispielen aus der Heiligenlegende be-
leuchten, finden wir bei Greculus eine weitgehende Vorliebe für
,exempla' aus der religiösen und profanen Literatur. Die Ver-
wendung solcher Beispiele, wirklicher oder zweckmäßig erdichteter
Tatsachen zur eindringlichen Einprägung christlicher Wahrheiten und
Vorschriften ist in der asketischen Literatur alt. Seitdem Papst
Gregor der Große sich dieser Methode in seinen Dialogen mit Vor-
^ Ovids Remedia amoris V. 139 161 162; 161 lautet ,Quaeritis, Aegistus' etc.
Die Verwendung von klassischen Versen kommt sonst bei Greculus nicht vor; er
zitiert auch die sonst beliebten Schulverse nicht. Wahrscheinlich hat er die Verse
in der von ihm benutzten Vorlage gefunden und in sein Elaborat herübergenommen.
120 ^^^ ^^^ Predigten des Greculus.
liebe bedient hatte, wurde sie in der abendländischen Literatur überall
heimisch. Der hl. Petrus Damiani verwendete solche Erzählungen in
seinen asketischen Schriften im weitesten Umfange und fand in der
erbaulichen Literatur der Benediktiner, Cistercienser und der Bettel-
orden eifrige und fruchtbare Nachahmung. In diese Klasse der
Literatur gehören die zahlreichen Schriften über Marienwunder, die
Mussafia in seinen gründlichen Studien zu den mittelalterlichen
Marienlegenden literaturgeschichtlich behandelt hat, die Dialoge und
Mirakelbücher des Cisterciensers Cäsarius von Heisterbach, das
Bienenbuch des Dominikaners Thomas von Chantimpre, dessen Ordens-
genossen Etienne von Bourbon großes Werk ,De Septem donis' und
ähnliche asketische Bücher.
Ein weiterer Schritt in der Verwendung der exempla war deren
Aufnahme in die Predigt. Das geschah zuerst in Frankreich
schon im 12. Jahrhundert^ und wurde im 13. Jahrhundert zur all-
gemeinen Sitte. Jakob von Vitry (f um 1240), der berühmte
Kreuzzugsprediger, bediente sich in seinen ,Sermones vulgares' der-
selben fast im Übermaß; er entnahm dieselben der alten profanen
Literatur, den Mirakelbüchern und den Erfahrungen seines eigenen,
vielbewegten Lebens 2. Auch der hl. Dominikus suchte in seinen
Missionspredigten seine Zuhörer durch Erzählungen religiösen Inhalts
zu fesseln. Das wurde Ordensmaxime, welcher Humbert von Ro-
mans (f 1277) in seinem Buche ,De eruditione praedicatorum' auch
schriftlichen Ausdruck gab^. Während ein anderer Dominikaner,
Etienne von Bourbon (f 1261), in dem Werke ,De Septem donis' eine
^ Vgl. B 0 u r g a i n , La chaire fraiiQaise au XII'' siede, Paris 1879, 258 ff.
Die von dem Pariser Bischof Maurice de Sully (f 1196) für den Klerus heraus-
gegebenen lateinischen Musterpredigten enthalten keine , Exempla', wohl aber die
französiscli erhaltenen. Vgl. Lecoy, La chaire 299. Die lateinischen Predigten
des berühmten Pariser Bischofs liegen in Clni 16 027 vor.
^ Gesammelt sind sie von Crane.
' De eruditione praedicatorum I 7, in Bibliotheca Patrum XXV (1677) 433 :
,Alia est scientia historiarum: sunt enim multae, non solum apud fideles, sed
etiam apud infideles, quae interdum multum valent in praedicatione ad aedificationem,*
Er sucht aber dem Mißbrauch vorzubeugen, indem er an anderer Stelle (I 39, 459)
bemerkt : , Circa exempla vero attendendum est, ut sint competentis auctoritatis,
ne contemnantur ; et verisimilia, ut credantur; et aliquam utilitatem continentia, ne
inutiliter proferantur.' Über Humbert vgl. Histoire litt, de la France XIX 355 ff,
Feret II 495 ff und besonders Linsenmayer 93 ff.
Die exempla in der Predigt. Das ,Alphabetum narrationum'. 121
reichhaltige Sammking von exempla, verteilt unter die theologischen
Ausführungen über die sieben Gaben des Heiligen Geistes, veranstalte '%
brachte ein dritter — wahrscheinlich Etienne de Besannen (f 1294) —
die exempla zum Gebrauche der Prediger in ein bequemes alpha-
betisches Kompendium 2.
^ L e c 0 y hat die , Exempla' zum größten Teile exzerpiert ; vgl. dessen Vor-
wort, Mussafia (III 36 ff) hat daraus die Marien-Mirakel verzeichnet. Über
Etienne de Bourbon vgl. Histoire litt, de la France XIX 27 ff.
2 Das ,Alphabetum narrationum' ist noch ungedruckt; seine Marienlegenden
verzeichnet Mussafia III 44 ff. Ob es den genannten Etienne von Besan9on
zum Verfasser hat, wie Histoire litt, de la France XX 272 ff und danach F e r e t
II 536 ff meinen , wird von H a u r e a u (Notes et extraits II 69 ff) bezweifelt.
Sicherlich ist der Verfasser des Werkes ,Alphabetum auctoritatum' (aus Schrift und
Vätern) und des ,Alphabetum narrationum' ein und dieselbe Person. Das letztere
liegt in Clm 14752 (St Emeram) aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts vor. Eine
andere, nur bis V. gehende Abschrift aus dem 14. Jahrhundert fanden wir in
CVF 1710; hier trägt das Buch den Titel: ,Alphabetum narrationum alias liquor
lacteus.* Der Nebentitel beruht auf einem Irrtum ; er kommt nur einem unten zu
erwähnenden Buche zu. Wir lassen die Vorrede teilweise folgen (Bl. 1 1') : ,Anti-
quorum patrum exemplo didici nonnullos ad uirtutes fuisse inductos narracionibus
edificatoriis et exemplis. Refert enim de se ipso beatus Augustinus, quod Pontiano
uitam beati Anthonii coram eo recitante ad imitandum statim exarsit. Narraciones
siquidem huius[modij et exempla facilius intellectu capiuntur et memorie firmius im-
primuntur et a multis libencius audiuntur. Utile igitur et expediens nimis est,
uiros predicacionis officio deditos, proximorum salutem per terram discurrendo que-
rentes exemplis talibus habundare, quibus modo in predicacionibus omnibus, modo
in locucionibus familiaribus ad omne genus hominum salubriter utantur. Legimus
enim et deuotum predicatorem, Predicatorum ordinis fundatorem, beatum uidelicet
Dominicum hoc fecisse. De eo siquidem scribitur, quod ubicunque conuersabatur
edificatoriis affluebat sermonibus, habundabat exemplis, quibus ad amorem Christi
seculiue contemptum audientis uel audiencium animus flecteretur. Usus est insuper
hoc exhortacionis modo beatus Gregorius in pluribus suis libris. Sed quia exempla
ad dictum officium necessaria omnia retinere cordetenus est difficile et magnos
secum per longa terrarum spacia deferre libros nimis graue, uolui diuina gracia
assistente multa in hoc uno uolumine compilare, de diuersis tamen libris diuersa
quedam prout mihi magis placuit extraxi. Et ut querenti facilius occurrant, ma-
terias diuersas cum exemplis in ordine literarum alphabeti parare satis ordinate
curaui. Sic et iam dudum auctoritates sanctorum sub ordine alphabeti distinxi in
libello, quem „Alphabetum auctoritatum" appellaui. Eodem modo et hunc „Alpha-
betum narracionum" appello. . . .' Die , exempla' werden fast durchweg mit einem
Quellenvermerk versehen. Der Verfasser bekundet eine staunenswerte Belesenheit.
Der Hauptteil der Quellenvermerke fällt Jakob von Vitry zu und einem ,liber de ti-
more*, welcher Bl. 3 s. v. Abbas einem , Hubertus' zugeschrieben wird, wie auch
in der von der Hist. litt. a. a. 0. erwähnten Hs aus St Germain zu derselben Stelle
bemerkt wird : ,ex Hymberto de dono timoris'. Damit ist das erste Buch des
122 11^- ^^^ Predigten des Greculus.
Die Predigt in Deutschland stand seit dem 12. Jahrhundert
in nachweisbarer Abhängigkeit von der französischen Predigt.
Darauf hat Schönbach wiederholt hingewiesen ^ Dieser Einfluß
zeigt sich insbesondere auch in der Verwendung der exempla in der
Predigt, weniger in der lateinischen, mehr in der deutschen. In dem
.Speculum ecclesiae' des Honorius von Autun finden sich bereits
exempla 2; in erheblicherer Anzahl in den Leipziger altdeutschen
Predigten^. In den deutschen für den unmittelbaren Gebrauch des
Klerus abgefaßten Predigten machte sich bei der populären Dar-
stellung der Wunsch geltend, tunlichst verständlich und eindrucks-
voll zu reden. Darum ist die bemerkenswerte Tatsache begreiflich,
daß der Schwarzwälder Prediger seiner Bearbeitung der Predigten
Konrads von Sachsen exempla beifügt, die sich bei Konrad nicht vor-
finden*. Dagegen war man in der lateinischen Predigtliteratur in
diesem Punkte zurückhaltender. Zwar verbrauchte Cäsarius von
Heisterbach für seine Homilien eine beträchtliche Menge von exempla^,
aber andere Prediger machten davon keinen oder nur einen geringen
Gebrauch. Konrad von Brundelsheim, der Verfasser der Sermones
Socci, verschmäht sie ganz^, bei Konrad von Sachsen finden sich nur
Beispiele aus der Heiligen Schrift, der Heiligenlegende und der Natur-
geschichte; Bertold von Regensburg führt, wiewohl er reich an Bei-
spielen aus der Naturgeschichte ist, nur selten Erzählungen vor ; das
gleiche bemerken wir bei dem Frater Ludovicus. Im 14. Jahrhundert
macht sich aber der Gebrauch der exempla auch in der lateinischen
Predigtliteratur stärker geltend. Darin zeigt sich der französische
Einfluß auf die deutsche Predigt. Eine große Anzahl von exempla
weisen auf französischen Ursprung. Von Frankreich kamen auch die
Beispielsammlungen, nach deren Vorbilde später auch deutsche Theo-
Werkes des Etienne de Bourbon gemeint, welches irrtümlich einem Hubertus oder
Humbertus (von Romans) zugeschrieben wird, nicht ein von letzterem verfafster
Auszug (Hist. litt. 272) aus dem Werke des Etienne von Bourbon.
' Vgl. Die Renner Relationen 12 ff und Über eine Grazer Handschrift 52 ff.
^ Vgl. die Sermones dom. HI Quadrag., in Passione (Migne, P. L. LXXH
889 907 ff.
^ Schönbach, Altdeutsche Predigten I 506, wo die Erzählungen ver-
zeichnet sind.
^ Vgl. Grieshaber 27 91 113.
^ Sie sind von Schönbach (über Cäsarius I 69—92) zusammengestellt.
^ Cruel 147.
Die exempla in d. deutschen Predigt. Der .Liber miraculorum' oder ,Lacteus liquor', 123
logen gleiche Bücher schrieben. Die reiche Sammlung, die Etienne
in dem Werke ,De Septem donis' der Predigtliteratur schenkte, war
schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Deutschland bekannt ^,
und wenig später wurde auch das Alphabetum narrationum ab-
geschrieben.
Einer größeren Verbreitung scheint sich am Anfang des 14. Jahr-
hunderts eine vielleicht auch in Deutschland selbst entstandene Samm-
lung erfreut zu haben, welche den Titel trägt ^i ,Liber miraculorum
qui et lacteus liquor dicitur'. Die Schrift ist in zehn distinctiones
von ungleichem Umfange eingeteilt: 1. Geburt und Kindheit Jesu,
Kreuzeswunder (52 Kapitel); 2. Marienwunder (99); 3. Apostel-
legenden (21); 4. Märtyrerlegenden (22); 5. Aus dem Leben von
Bischöfen (19); 6. Aus dem Leben heiliger Mönche (22); 7. Magda-
lena, heilige Jungfrauen und Frauen (18); 8. Erzählungen von Ver-
storbenen (25); 9. Wundererzählungen von den heiligen Sakramenten
(30); 10. Verschiedene Wunder und Aussprüche (31). Wir begegnen
darin einer großen Anzahl von Stücken aus französischen Sammlungen,
aber auch einigen, welche vermuten lassen, daß die Sammlung in
Deutschland gemacht worden ist. Darunter sind die Elisabethlegende
' Vgl. Clm 16055 (13. Jalirli.) und 14817 (14. Jahrli.). Beide Hss bieten
eine Bearbeitung der beiden ersten Bücher des Werkes des Etienne de Bourbon
,De Septem donis'. Clm 14 817 nennt die Bearbeitung einen ,Tractatus de liabun-
dancia exemplorum in sermonibus ad omnem materiam'. Die Bearbeitungen kürzen
den theoretischen Teil des Werkes und lassen hie und da einige , exempla' aus.
Den Namen des französichen Verfassers verschweigen beide. In dem Prologe zu
dem Traktate in Cira 14 817 werden als Vorgänger in der Verwendung von Exempeln
genannt Papst Gregor, Johannes Damascenus und , Magister de uiceo' (Jakobus
von Vitry). Auf die bemerkenswerten Vorschriften im Gebrauche von Exempeln
kommen wir unten zurück,
^ Clra 5128 aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, Pergament; zwischen
Bl. 32 und 33 ist ein Blatt herausgerissen, welches die Kap. 88 — 96 der Marien-
wunder enthielt. Die gleiche Schrift bieten Clm 23 371, 14. Jahrhundert; Clm 7703
und 8967, 15. Jahrhundert; diese drei Hss weichen im umfange und in der Reihen-
folge der Stücke von Clm 5128 ab; endlich Hs 95 des Cistercienserstiftes Lilien-
feld aus dem 15. Jahrhundert (vgl. Hss-Verz. der Cistercienserstifte I 511). In
den genannten Hss beginnt die Schrift: ,Tesus Christus, filius dei in Bethlehem
lüde nascitur anno Cesaris Augusti XLII, ebdomada iuxta prophetiam Danielis LXVI,
Olympiade autem CXCIII. Veniente autem in carne filio dei multa pace uniuersus
mundus gaudebat ita, ut toti orbi unicus Romanorum imperator pacifice presideret'
(Clm 5128 Bl. 1). Ein weiteres Eingehen auf das Buch, welches eine genaue Unter-
suchung verdiente, ist hier nicht am Platze,
124 I^^- ^^6 Predigten des Greculus.
und die Erzählung von den beiden ungleichen priesterlichen Brüdern
Haymo und Petrus zu rechnend Wahrscheinlich war der Verfasser
ein Dominikaner oder Minorit^.
Die besprochenen Sammlungen enthalten neben vielen erbaulichen
Erzählungen auch eine recht erhebliche Anzahl minderwertiger, für
die Kanzel ungeeigneter Anekdoten und Witze. Es war darum wohl
angebracht, daß Humbert von Romans die oben mitgeteilte kurze
Belehrung über den Gebrauch der exempla niederschrieb. Sie war
aber zu allgemein, als daß sie verstanden und befolgt werden konnte.
Viel eingehender und praktischer äußert sich der Bearbeiter des
Etienne de Bourbon im Clm 14817 in dem Prologe. Er faßt seine
,cautele' im Gebrauch der exempla in sieben Punkten zusammen, die
seiner pastoralen Lebenserfahrung zur Ehre gereichen.
1. Wer geübt ist in den ,autoritates, rationes et interpretationes',
d. h. in Schrift- und Väterstellen, in der scholastischen Begründung
und in der Schrifterklärung, soll von Exempeln absehen.
2. Vor Zuhörern von hoher Bildung dürfen exempla gewöhnlich
nicht vorgebracht werden, es sei denn, daß man löbliche und würdige
zur Verfügung hätte; niemals darf man ,incredibilia' erzählen.
3. Man soll die exempla nicht häufen ; eines oder zwei in jedem
Sermo ist genug.
4. Das exemplum soll immer begleitet sein von einer ,autoritas'
oder einer , ratio efficax', oder von beiden, um die aus dem exemplum
sich ergebende Lehre zu bekräftigen.
5. Es sind , exempla efficacia, utilia, euidentia et breuia' vorzu-
tragen; zu lange sind abzukürzen.
6. ,Nunquam enarranda sunt incredibilia , uel que probabilem
non continent ueritatem, et si forte introducatur fabula ^ aliqua multum
edificatoria propter edificacionem aliquam, quod uel nunquam uel
' Distinctio VIT 18 ßl. 55'; VIII 10 Bl. 59. *
^ Dist. X 26 Bl. 76 steht folgendes : ,Quidam religiosus imposuit cuidam regi,
qnod esset cupidus, luxuriosus et superbus. Qui respondit: „Frater, pessinias filias
mihi maritasti. Verumtamen ille iam maritate sunt, quoniam Cistercienses habent
cupiditatem , Templarii superbiam , nigri monachi (sc. Benedictini) luxuriam sibi
maiitauerunt. "' Das würde ein Sammler ans den alten Orden kaum aufgenommen
haben. In der Dist. VI sind auch Erzählungen aus den Legenden des hl. Domi-
nikus (20) und des hl. Franziskus (21 22) aufgenommen.
^ Oft benutzt wurden die Fabeln des Äsop und des Avianus; s. unten S. 134,
i
Vorschriften über den Gebrauch der exempla. 125
rarissime est faciendum, semper exponendum est, quod illa res non
uera, sed propter significacionem [sit] introducta.'
7. ,Nunquam est referendum, quod non sit competentis aiictoritatis.'
Als autoritativ wird betrachtet, was ,uiri famosi et magistri, ut ma-
gistri in theologia uel cardinales' gesagt haben, oder was in Büchern
steht, ,quibus utitur ecclesia licet non sint autentici'. Darunter rechnet
er die Vitae Patrum und die Legendae Sanctorum ; ferner die ,doctores
ecclesie autentici', wie Gregor, Isidor, Hieronynius und ähnliche ; dann
die Bibel selbst und endlich die ,libri philosophorum notatorum' und
den ,liber creaturarum' i.
So weitherzig auch diese Vorschriften und so fragwürdig manche
Kriterien der Glaubwürdigkeit der Gewährsmänner sind, so konnten
sie immerhin verständige Prediger abhalten, abgeschmackte und lächer-
liche Dinge auf der Kanzel vorzutragen. Man erkennt auch aus den
Kautelen, daß die exempla nicht bloß den Zuhörern das Verständnis
vermitteln , sondern auch den Prediger der Denkarbeit überheben
wollten. Im übrigen gehörte auch zum erfolgreichen Gebrauch der
exempla eine gewisse populäre Vortragskunst, die der Verfasser des
Prologs gelehrten Predigern nicht zuzutrauen scheint.
In den Grenzen, welche hier den Predigern vorgezeichnet sind,
halten sich im allgemeinen bei dem Gebrauche der exempla sowohl
Peregrinus wie Greculus. Beider Predigten weisen zuerst in
Deutschland, soweit sich das aus dem heute bekannten Material
feststellen läßt, einen systematischen Gebrauch der exempla
in lateinischen Predigtwerken auf^. Wir geben im Nachstehenden
ein Verzeichnis der bei Greculus sich findenden exempla mit dem
Nachweis der Herkunft. Sie stehen fast alle in dem Zyklus de tem-
pore, während sich die Festtagspredigten mit geringen Ausnahmen ^
mit den legendarischen Berichten über den Tagesheiligen begnügen-^.
^ Darunter ist wohl nicht ein bestimmtes Buch zu verstehen, sondern im all-
gemeinen die Benutzung naturgeschichtlicher Bücher, wie des ,Physiologus' , des
Buches des Thomas von Chantimpre ,De natura rerum', des ,Speculum naturale' des
Vinzenz von Beauvais u. a.
2 Über die deutschen Predigten s. oben S. 122.
^ Nur zwei Exempla haben wir aus den Festtagspredigten notieren können.
■* Die mit * bezeichneten Stücke können wir in der sonstigen Literatur nicht
nachweisen.
126 I^^- ^^^ Predigten des Greculus.
A. Zur heiligen Geschichte.
1. Als Joseph und Maria sich Bethlehem näherten, sah
Maria — ,ut ait Frater Barachias' — , wie ein Teil des Volkes sich
freute, der andere weinte. Ein Engel erklärt der heiligen Jungfrau,
jener Teil seien die Heiden, dieser die Juden. (Vigilia nativitatis
Domini Bl. IP.)
Die Erzählung ist der Legenda aurea (c. 6, p. 41) entnommen, die ihrerseits
bemerkt: ,ut frater Bartholomäus in sua compilatione testatur et de libro infantiae
Salvatoris est sumptum'. Der Frater Bartholomäus, dessen Namen Greculus ent-
stellt, ist unbekannt. Die Erzählung steht nicht im Evangelium infantiae Salvatoris,
sondern im Protoevangelium Jacobi (Fabricius I 105), in welchem aber die Deu-
tung der Vision durch den Engel fehlt. In dem Liber miraculorum oder Lacteus
liquor des Clm 5128 steht die Erzählung dist. I, n. 1, Bl. 1.
2. Als Joseph mit Maria und Jesus auf der Flucht nach
Ägypten nach Hermopolis kam, ,arbor quedam, que presidis vocatur,
gauisa est usque ad terram et ipsum suppliciter exorauit'. Darum
erhielt der Baum die Kraft, daß seine Frucht oder sein Blatt dem
Kranken, der es an seinem Halse trägt, die Gesundheit wiedergibt.
(Dominica I in Adventu Bl. 2*.)
Die Legende ist der Historia tripartita VI 42 des Cassiodorius entnommen
(Migne, P. L. LXIX 1058) und steht ursprünglich bei Sozomenus, Historia
ecclesiastica V 21 (Migne, P. G. LXVII 1281). Bei Cassiodorius heißt der Baum
,Perseidis', bei Sozomenus itipaig; Valesius übersetzt richtig ,persea' — Tzepaia^ ein
ägyptischer Baum mit süßen Früchten.
3. Dem Kaiser Octavianus erschien eine Mutter mit ihrem
Kinde. Als ihn die Senatoren unter die Götter erheben und anbeten
wollten, sprach er: ,Solum hunc puerum oportet adorare.' Der Kaiser
errichtete für den Knaben einen Altar. (Vigilia nativ. Domini Bl. 11'*.)
Greculus kürzt die Legende, die er der Legenda aurea (c. 6, p. 44) entnommen
hat, ab. Octavian fragt wegen des Senatsbeschlusses die Sibylle , ob noch ein
größerer als er auf der Welt lebe. Es war gerade am Tage der Geburt Christi :
,in die media circulus aureus apparuit circa solem et in medio circuli virgo pul-
cherrima puerum gestans in gremio'. Als der Kaiser sich wunderte, hörte er eine
Stimme: ,Haec est ara coeli', und die Sibylle sprach : ,Hic puer maior te est; ipsum
adora.* Die Stelle, wo das geschah, ist heute die Kirche S. Mariae in ara coeli.
Auch Innozenz 111. erwähnt im Sermo II de Sanctis (Migne, P. L. CCXVH 457)
diese Legende.
4. Tiberius erblickte das Veronikabild Jesu, betete es an und
wurde von seiner Krankheit geheilt. (Dominica VIII post Pente-
costen Bl. 104'.)
Exempla: Zur heiligen Geschichte, 127
Die Legende steht weitläufig in der Legenda aurea (c. 53, p. 233). Nach den
Act. SS. 4. Febr. I 455 466 soll sie aus Methodius von Patara stammen. Danach
hatte Tiberius von dem Veronikabilde gehört; er ließ es kommen, hörte dabei von
Jesu Tode und schickte den Pilatus ins Exil. Der Anblick des Bildes heilte ihn
vom Aussatz. In den Opp. Methodii bei Migne steht die Legende nicht ; auch nicht
in der Ausgabe der Chronik des Marianus Scotus in den M. G. SS. V ; aus dieser
Chronik wollen sie die Act. SS. entnommen haben.
5. ,De passione Domini legitur, quamuis euangeliste non
scribant: Cum induxissent lesum ad locum Calvarie, nudauerunt
eum totaliter uestibus suis. Sed Maria, que secuta fuit eum ad
locum passionis, propter hoc facta est ita exanimis, quod accepit
scilicet uelamen capitis sui et ligauit lumbos eius.' (In Parasceve
Bl. 54^)
Die Erzählung stammt aus dem Pseudo- Anselmschen Dialogus b. Mariae
et Anselmi de passione Domini c. 10 (Migne, P. L. CLIX 282).
6. Christus kommt nach der Auferstehung zur Unterwelt, um
die Gerechten zum Himmel zu führen. Er ergreift die Hand Adams
und spricht: ,Pax tibi cum omnibus filiis tuis, iustis meis.' Dann
übergibt er den Adam dem Erzengel Michael, der die Heiligen in das
Paradies führt. (In Pascha Bl. 60 ^)
Entnommen der Legenda aurea c. 54, p. 244 ; stammt aus dem Evangelium
des Nikodemus c. 24 25; Fabricius I 289—291.
7. Als Paulus in Athen mit Dionysius Areopagita dispu-
tierte, sagte letzterer zu Paulus : ,Wenn du den vorübergehenden
Blinden sehend machst, will ich glauben ; aber du darfst keine ma-
gischen Worte gebrauchen, sondern nur die Worte: In nomine lesu
Christi Nazareni crucifixi et mortui , qui resurrexit et ascendit in
coelum, uide' I Paulus erwiderte, Dionysius solle selbst diese Worte
aussprechen; letzterer tat es, und der Blinde wurde sehend. Nun
wurde Dionysius Christ. (Dominica V post Pascha Bl. 73 ^)
Aus der Legenda aurea c. 153, p. 683.
B. Barmherzigkeit und Friedensliebe.
P. Eine arme Frau lebt von Almosen, die ihr Sohn erbettelt.
Eines Tages bringt er der Mutter betrübt nur ein Almosen. Da
kommt ein hungriger Bettler; die Mutter gibt ihm das einzige All-
mosen. Als sie in ihre Kammer zurückkehrt, findet sie den Bettel-
sack ihres Sohnes voll von schönem Brote. Auch fürder füllte sich
128 11^- ^^^ Predigten des Greculus.
der Bettelsack von selbst, so daß* der Sohn nicht mehr zu betteln
brauchte. (Dom. VI in Epiphania Bl. 28'').
Der Ursprung ist nicht zu ermitteln. Eine ähnliche Erzählung hat Thoraas
Cantim. II 25 n. 7, p. 248: Eine Rittersfrau verteilt zur Zeit einer Hungersnot
Mehl ; ihr Mann beschränkt das wegzugebende Quantum ; aber sie gibt trotzdem
mehr und siehe! der Mehlkasten füllt sich von selbst. Sie steht auch im Spe-
culum exemplorum V 51.
2. Ein französischer Bischof wischt auf Bitten eines Leprosen
dessen Wunden aus. Der Leprose legt dem Bischof einen Edelstein
in den Mund, fährt gegen Himmel und sichert dem Bischöfe die
Herrlichkeit des Himmels zu. (Dom. IV post Pentec. Bl. 95''').
Aus Cäsar ins dist. VIII 32, II 105; auch im Speculum exempl. VI 67.
8. Dem hl. Benedikt wird der Tod seines Feindes gemeldet;
der meldende Mönch freut sich darüber; Benedikt weint ,de morte
inimici' und ,de gaudio fratris, quia gaudium illud erat gaudium in-
ferni'. (In nativ. Domini Bl. 12 \)
Aus Gregorii Dialog. II 8 (vita s. Benedicti, bei Migne, P. L. LXVI 150),
wo aber der Zusatz ,quia — inferni' fehlt.
4. Ein Königssohn verzeiht dem Mörder seines Vaters. Am Kar-
freitage will er mit andern das Kreuz adorieren; da erhebt sich der
Crucifixus, umarmt ihn und verzeiht ihm seine Sünden. (Dom. lY
post Pentec. 2 BL 94' ^)
In dieser Form nicht nachweisbar. Ähnliches berichtet die Vita s. Johannis
Gualberti (f 1073) c. 2 3; A. SS. 12. lulii III 328. Der Heilige verzieh dem
Mörder eines seiner Verwandten; als er dann in die Kirche S. Miniato in Florenz
trat, um zu beten, neigte der Crucifixus ihm sein Haupt zu. Cäsarius (Meister
II 35, 114) erzählt ähnliches von einem kreuzfahrenden Ritter, welcher dem
Mörder seines Vaters um des Kreuzes Christi willen verziehen hatte. Als er in
die Grabeskirche trat, neigte sich der Crucifixus vor ihm. Ein ähnliches Ereignis
soll in der Kirche der hl. Genoveva in Paris vorgefallen sein: Ein Mann, der am
Karfreitage das Kreuz adorieren will, trifft vor der Kirche seinen Todfeind; er will
ihn erstechen, steht aber davon ab, als der Angegriffene ihn bei dem Gekreuzigten
um Schonung bittet. Als er nun das Kreuz verehren will, erhebt sich der Cruci-
fixus und spricht: ,Weil du mich heute geehrt hast, indem du deines Todfeindes
geschont hast, ehre ich dich, indem ich dir entgegenkomme.' So im CGraec. 730
Bl. 52" ; vgl. Schönbach, Über eine Grazer Handschrift 85. Vgl. auch die Version
bei Etienne de Bourbon n. 503, p. 433, welche aus Jakob von Vitry stammen
soll. Das Alphabetum narrationum nimmt das Exempel (Clm 14752 Bl. IIG) aus
Cäsarius.
Feindesliebe. Habsucbt. Wucher. 129
C. Unbarmherzi^keit. Habsuclit. Wucher.
1*. Ein unbarmherziger Mann hat, wenn er allein ist, die
Versuchung zum Selbstmord. Er läßt sich daher immer bewachen.
Nach zwei Jahren halten ihn seine Diener für geheilt ; sie lassen ihn
allein; als sie wieder zu ihm kommen, finden sie ihn tot; er hatte
mit einer Schere seinem Leben ein Ende gemacht. (Dreimal : Dom. I
Adventus Bl. 4*; Dom. I post Pentec. Bl. 86'''; Dom. lY post Pentec.
Bl. 93'\)
2*. Ein Habsüchtiger liegt auf dem Totenbette; der Priester
ermahnt ihn ,confiteri, dolere et restituere'. Der Sterbende will das
erste und zweite tun, aber nicht das dritte: ,ego probabo, utrum
uere dicatur an non ; non restituam.' (Dom. I in Quadragesima Bl. 37'*.)
3. Ein Wucherer stirbt; es kommen Mäuse und schleppen aus seinem
Geldkasten Denare, dringen in sein Grab und legen sie dem Toten in
den Mund, wo sie seine Söhne finden. (In Octava Pasch. 3 Bl. 65''.)
In dieser Fassung ist die Erzählung sonst nicht nachweisbar. Bei Cäsarius
(Meister II 22, 97) steht eine ähnliche Erzählung in reicher Ausschmückung:
Eine Wucherin nahm zwei Geldbeutel mit ins Grab; das Grab wird besichtigt;
,nudato corpore uiderunt . . . usurariae corpus cinctum duobus serpentibus maximis,
qui frequenter et festinanter caput in crumenas mittentes in os mulieris proiecerunt
denarios ardentes igneo colore'. Dialog, dist. XI 39; II 300 erzählt Cäsarius einen
ähnlichen Vorfall: Ein Wucherer ließ sich einen Geldbeutel mit ins Grab legen;
dort fand man zwei Kröten, von welchen die eine die Münzen aus dem Beutel holte,
die andere dieselben dem Wucherer ins Herz legte. Das steht auch im Speculum
VI 84. Der hl. Antonius von Padua soll bei der Beerdigung eines Wucherers ge-
sagt haben, daß dessen Herz noch bei dem Gelde sei; man habe später den Toten
seziert, statt des Herzens einen Stein und das Herz noch rauchend im Geldkasten
gefunden. Lempp XI 202; XIII 30. Vgl. Schönbach, Über eine Grazer Hand-
schrift 129: ,Dic de illo cui denarii positi sub capite fuerunt in sepulchro' (aus
CGraec. 730 Bl. 357). Nach Jakob von Vitry (Grane n. 168, p. 72) fand man im
Grabe eines Geizhalses, der sich Geld ins Grab legen ließ, Dämonen, die dem Toten
glühende Denare in den Mund legten.
4"^. ,Legitur quod quidam barbator dimidium barbam abrasit fene-
ratori, ut inter alios cognosceretur. Sic in die iudicii speciale signum
dampnacionis portabit.' (Sermo 2 Dom. IV post Pentec. Bl. 71'^.)
D. Sakrameiitsfrevel.
1*. ,Legitur quod quedam mulier propter sortilegium acce-
perat corpus Christi prout posset consequi effectum suum. Una
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. 9
130 ^11- ^^^ Predigten des Greculus.
dierum dyabolo instigante accepit corpus Christi et proiecit in ignem.
Hoc facto incepit Christus loqui ad eam dicens: „0 filia carissima,
quid feci tibi, in quibus istam contumeliam merui, quod me iterum
martirizas ? " At illa ipsi respondens: „Nolo te amodo portare mecum,
non sum executa effectum uoluntatis mee." Et ecce hoc dicto prosi-
luit corpus Christi de igne in sinum dicens: „Et si tu non uis me,
tunc nolo te." Quod illa misera audiens compuncta et confessa est
peccatum suum et obtinuit ueniam. Ecce quam misericors deus.' (Dom. IV
Adventus Bl. 10'% auch Dom. II in Quadrag. Bl. 39 mit Verweisung
auf den 4. Adventsonntag.)
In dieser Fassung nicht nachweisbar. Von einer ins Feuer geworfenen Hostie
erzählt Cäsarius bei Kaufmann, Fragmente Nr 2, S. 170, und bei Meister Nr 2, S. 6.
2"^. ,Refert frater Albertus de Pruscia, quod quedam mulier, dum
esset incredula, episcopus uenit ad eam et confessa est sibi, quod
diabolus non permitteret eam credere de sacramento altaris, quod ibi
esset uerum corpus Christi et quod accepit illud et posuit ante porcos
inter siliquas. Sed ecce mirum! omnes porci flexerunt genua quasi
adorarent. Sed misera plus uoluit experiri et posuit corpus Christi
super ueru et assauit iuxta ignem tarn quam assaturam et ecce gutte
sanguinee deinde fiuere ceperunt. Hoc facto misera adhuc non con-
tenta accepit corpus Christi et fodit in terram. Et statim sanguis
nimius super terram cepit emanare quasi extra terram bulliendo.
Ad quod primo compuncta credidit uerum corpus Christi esse in sacra-
mento altaris et uenit ad episcopum et confessa est peccata sua et
perpetuam penitenciam ab eo suscepit.'
Welcher Schrift Alberts die Erzählung entnommen ist, läßt sich nicht er-
mitteln. Sie gehört der grofsen Zahl von Berichten über Hostienfrevel und Hostien-
wunder an, die seit Gregors d. Gr. Zeit im Schwange waren. Das frevelhafte Ver-
bringen der Hostie in einen Schweinestall erzählt auch Herbert von Torres in
Sizilien (De miraculis 1. 3, c. 28 [Migne, P. L. CLXXXV 1373]), allerdings mit anderem
Ausgange. Vgl. Franz 96 ff. Jm Lacteus liquor wird erzählt: Christus offenbarte
einer Nonne in Byzanz in einer Vision, daß eine konsekrierte Hostie zu aber-
gläubischen Zwecken in einen Schweinestall gelegt worden sei. Der Verbrecher
wurde ermittelt, die Hostie, die in Fleisch verwandelt war, gefunden und feierlich
zur Kirche getragen (Clm 5128 Bl. 65').
I
E. Buße niid Beicht.
1. Einer der Väter hatte die Gabe, die ,merita singulorum' zu
erkennen. Er sieht beim Eintritt der Brüder in die Kirche alle fröhlich
I
Hostienfrevel. Buße und Beicht. 131
von freudigen Engeln begleitet ; nur einer schreitet traurig daher, ge-
schleppt von Teufeln an Ketten, und sein Schutzengel fdgt betrübten
Blickes. Beim Austritt aus dem Gotteshause sieht er auch diesen
freudig und jubelnd. Er fragt, und der Frater gesteht: bisher habe
ich in Sünde gelebt, nun hat mich das Wort Gottes ergriffen, und reuig
habe ich Besserung gelobt. (Dom. lY post Octav. Epiph, Bl. 23' ^)
Aus Vitae patrum VII 23 (Migne, P. L. LXXIII 1046), auch bei Peregrinus
Dom. XI post Octav. Pentec. Die Erzählung wurde auch gebraucht, um die Kraft der
Messe für die Bekehrung der Sünder zu beweisen (vgl. Franz 665).
2. ,Exemplum de latrone, qui secutus fuit quendam abbat em
per siluam et uoluit confiteri et corruit de equo et mortuus est. Die
quod angeli animam eins ad celum portauerunt, quod uidit heremita.
Die totum.' (Fer. 2 in Pascha Bl. 61 ^)
Bei Peregrinus Dom. II post octav. Paschae folgt der Räuber in raschem
Laufe einem im Versehgange begriffenen Priester, dem er beichten will. Der
Priester weist ihn an, in die Kirche zu gehen; auf dem Wege dahin fällt er und
stirbt. Der Priester sieht seine Seele zum Himmel fahren. Ein ähnliches Beispiel
von der ,contritio' steht in CGraec. 730 Bl. 105'^; vgl. Schönbach, Über eine
Grazer Handschrift 94.
3. Ein Räuber will sich bekehren und bittet einen Eremiten
um Aufnahme. Der letztere verweigert das. Nun will sich der Räuber
selbst ein heremitorium anlegen. Bei dem Fällen eines Baumes wird
er erschlagen. Der Eremit sieht, wie Engel seine Seele zum Himmel
tragen. (Dom. VII post Pentec. Bl. 102 \)
Auch bei Peregrinus Dom. VII post Octav. Pentec.
4*. Ein Räuber will einem Eremiten beichten; dieser stößt
ihn unbarmherzig zurück, worauf ihn der Räuber ermordet. Wiederum
drängt es ihn zu beichten; er trifft einen barmherzigen Ordensmann,
bereut, beichtet und bessert sich. (Dom. I in Quadrag. Bl. 36.)
5. Ein Pönitent kann vor Tränen nicht beichten; der
Confessarius heißt ihn nach Hause gehen und die Sünden auf-
schreiben ; er tut das ; als er aber dem Beichtvater den Zettel über-
reicht, sind alle Sünden ausgelöscht. (Dom. I Adventus Bl. 3'^.)
(Aus Cäsarius, Dialog, dist. II 10; I 75; steht auch bei Jakob von Vitry
[Grane n. 350, p. 126].)
6*. Ein Pönitent wurde nach jeder Beicht rückfällig; endlich
faßte er einen festen Vorsatz. Nach der Beicht erblickte er den
Teufel durchbohrt von vielen Messern. Befragt, was das bedeute,
]^32 ^I^- ^^® Predigten des Greculus.
erklärt der Teufel: die Messer kommen von den Beichten; mit der
letzten hast du mich am schwersten verwundet. (Dom. XI post Pentec.
Bl. 112'.)
7*. Ein Jüngling will nicht beichten. Die Seele entflieht
ihm in Form eines Frosches. Er verflucht sterbend seine Eltern.
(Dom. II Quadrag. Bl. iO^\)
8*. Ein Sünder will trotz des wiederholten Drängens seiner
Frau nicht beichten. Die letztere ruft eines Tages zwei vorüber-
gehende Fratres in das Haus. Der eine redet dem Sünder vergebens
zu. Der andere fragt: , Willst du mit mir ein Geschäft (forum) machen,
wobei du 100 Mark gewinnst?' , Gewiß', versetzte der Sünder. ,Es
ist aber Sitte', fuhr der Bruder fort, ,daß der Verkäufer dem Käufer
die Ware zeigt. Ich gebe dir all mein Gut, d. h. 30 Jahre meines
Ordenslebens, Fasten, Gebete, Vigilien, Predigten usw. Das alles sollst
du haben für deine Sünden; aber sagen mußt du mir dieselben.' Der
Sünder sagte sie und wollte dann weggehen. Aber der Bruder hielt
ihn zurück und bat ihn unter Tränen : , Dieser Handel war ein Scherz
(forum trufaticum) ; ich beschwöre dich bei Gott, daß du mich hörest.'
Da wurde der Sünder gerührt und beichtete. ,Istud cor durum per
ignem Spiritus sancti fuit mollificatum.' (Sermo 3 in Pentecoste Bl. 84 \)
Eine ähnliche Erzählung, in welcher aber die Frau des Sünders keine Rolle
spielt, steht in Peregrinus Dom. I post octav. Paschae. Hier ist der Sünder ein
reicher Mann, der gern Geistliche bei sich zu Gaste hatte. Bei einem Mahle wird
der Vertrag vor Zeugen abgeschlossen; der Sünder beichtet, stirbt noch dieselbe
Nacht, seine Seele fährt zum Himmel.
F, Jesus. Die heilige Jungfrau.
1. Ein verbrecherischer Soldat soll von seinen Feinden geköpft
werden. Er bittet um einen Priester; der wird ihm versagt. Da
ruft er: ,Animam meam commendo filio Virginis.' Einem Be-
sessenen wird nach der Hinrichtung des Soldaten gesagt, daß die
Teufel heute einen guten Fang getan haben. ,Nequaquam', erwidert
er, ,unum uerbum protulit, de quo saluatus est.' (Dom. Sexag.
Bl. 31'».)
Aus Cäsarius, Dial. dist. VH 57; H 76.
2. Zwei Spieler stoßen schreckliche Blasphemien aus. Der
eine schmäht die Mutter Gottes. Da ertönt eine Stimme: ,Meine
Beicht. Die heilige Jungfrau. 133
Beschimpfung ertrage ich , aber nicht die meiner Mutter.' Der
Spieler starb plötzlich eines elenden Todes. (Dom. V post Epiph.
Bl. 27' ^)
Aus Cäsarius, Dialog, dist. VII 43; II 32.
3*. Eine virgo religiosa bittet Gott durch ein ganzes Jahr, ihr
das Geschick ihres verstorbenen Beichtvaters zu offenbaren. Nach
diesem vergeblichem Gebete spricht sie: ,Quid peto? petam melius!' —
nämlich, daß sie das Jesuskindlein in der Krippe sehen möchte.
Nach wieder einem Jahre bittet sie den zwölfjährigen Jesus-
knaben , im nächsten Jahre Jesus im Alter von dreißig Jahren
sehen zu dürfen. Nach wieder einem Jahre sieht sie ihren Beicht-
vater glänzend wie die Sonne; zwei Engel tragen einen Kasten mit
drei Türen. Der Beichtvater öffnet nacheinander die Türen und zeigt
der Jungfrau zuerst das Jesuskind in der Krippe, dann den zwölf-
jährigen Jesusknaben und endlich Jesus im Alter von dreißig Jahren.
Nach drei Tagen stirbt die Jungfrau, wie der Beichtvater ihr vorher-
gesagt. (Sermo 3 in Epiph. Bl. 19''.)
4"^. Eine fromme Jungfrau hat durch acht Jahre die Mutter
Gottes gebeten, ihr das Jesuskind zu zeigen. Endlich erfüllt sich
ihre Bitte. Das göttliche Kind erscheint und fragt sie wiederholt,
ob sie es liebe und mehr als alles andere liebe. ,Et illa: „Nescio
plus dicere, quia ipsum cor loquitur. " Quo dicto cor uirginis scissum
est.' Unter dem Jubel der Engel wird die Seele der Jungfrau in
den Himmel geführt. ,Cor scissum inuenerunt et in eo scriptum:
Diligo te plus quam me, quia creasti me, redemisti me, dotasti me.'
(Dom. I Adventus Bl. V.)
5. Eine fromme Frau fleht um die Gnade, den Jesusknaben
sehen zu dürfen. Ihre Bitte wird erfüllt. Die Frau fragt den Knaben,
ob er das Pater noster und das Ave Maria beten könne. Der Knabe
bittet sie, ihn beides zu lehren. Als sie betet: ,benedictus fructus
uentris tui', gibt er sich zu erkennen und verschwindet. (Dom. I
Adventus Bl. 2 ^)
Bei Cäsarius, Dialog, dist. VIII 8 ; II 87 — daraus im Speculum exemplorum
VI 66 — ist die Begnadigte eine Jungfrau. Nach den Sermones Thesauri novi de
Sanctis, Sermo 18 in nativ. Domini (Argentorati apud Flach 1489) stirbt die Frau am
dreißigsten Tage nach der Erscheinung. Die Legende steht auch in dem Lacteus
liquor des Clm 5128. Distinct. II Bl. 32^
134 III- ^iß Predigten des Greculus.
6. Christus erscheint einem von Austrittsgedanken versuchten Cister-
cienser und reicht ihm grobes Brot, welches durch die Berührung mit
dem Blute der Seitenwunde versüßt wird. (S. Nr 7, Bl. 9.)
Aus Thomas Cantimp. II 57, n. 26, p. 557; auch im Speculum exemplorum
V 131.
Gr. Verschiedenes.
1*. Ein einfältiger Mensch litt an den Augen. Er fragte
seinen Paten um Rat. Dieser sagte scherzhaft zu ihm : , Reiße deine
Augen heraus und stecke sie in deine Börse, und du wirst keine
Schmerzen mehr haben.' So rät der Teufel : ,Erue oculos diuinae miseri-
cordie.' (Dom. IV Adventus Bl. 1Ö\)
2. Ein armes Mädchen ist krank und kann nur genesen, wenn
sie in königlichem Blute gebadet wird. Der König gibt sein Blut
dazu her. Der König ist Christus, das Mädchen die Menschheit, das
Bad Christi Blut. (Dom. IV post Epiph. Bl. 24^ Dom. V Quadrag.
Bl. 46.)
Steht in Gesta Romanorum n. 230, Appendix 34, p. 633.
3. Ein König war krank ; starker ungemischter Wein war ihm
lebensgefährlich. Er hatte an seinem Hofe zwei Ritter; der eine ihm
feindlich gesinnte trank ihm stets schweren Wein zu, der andere,
sein wahrer Freund, stets gemischten Wein. Der letztere erhielt den
König am Leben. Der kranke König ist jeder Mensch, der Feind der
Teufel, der starke Wein die Weltfreude, der Freund der Heilige Geist,
der gemischte Wein das Andenken an das Leiden des Herrn. (Dom.
Quinquag. Bl. 33 ^)
Steht in Gesta Romanorum n. 236, Appendix 40, p. 636 und bei Peregrinus
Dom. Quinquagesima.
4. Ein König sichert einem Neidischen und einem neidischen
Habgierigen ein Geschenk zu unter der Bedingung, daß der zweite
die vom ersten erbetene Gabe doppelt bekäme. Der Neidische bittet
um die Erlaubnis, sich ein Auge herausreißen zu dürfen; so mußte
denn der Habgierige sich beide Augen ausreißen. (Dom. Septuag.
Bl. 29 \)
Die Fabel stammt aus A v i a n u s (Fabulae XLII ad Theodosium XXII [Leipzig
1862] 27). Sie erscheint in den mittelalterlichen ,Exempla* nachweislich zuerst
bei Jakob von Vitry (Crane n. 196, p, 81) und bildet dann ein Inventarstück in
Predigten und Exempelbüchern (vgl. Crane p. 212). Auch Johannes Junior hat sie
aufgenommen s. v. invidia p. 152.
Exempla verschiedenen Inhalts. 135
5. Der hl. Antonius sah m einer Vision Stricke auf der ganzen
Welt gelegt. Er fragt den Herrn: ,Quis est, qui potest euadere la-
queos istos? Cui reponsum est: humilitas.' (Dom. XII post Pentec.
Bl. 115^)
Aus Vitae Patrum V 15 (Migne, P. L. LXXIII 953); auch in Legenda
aurea : Vita s. Antonii c. 21, p. 105.
6. Vier Eremiten unterhielten sich über die jedem derselben
eigene vornehmste Tugend. Der erste nannte die Demut, der zweite
die Geduld, der dritte die Neigung zur Anhörung des Wortes Gottes,
der vierte endlich die Liebe zum Gebet. Sie baten Gott, ihnen zu
offenbaren, wer von ihnen heiliger sei. Da erscholl eine Stimme:
, Primus ex uobis me capit, secundus me ijenet, tertius me ligat, quartus
me ducit, quo uult et sie quilibet me tenet in loco suo per suam uir-
tutem!' (In Rogationibus Bl. 76^)
Ist als Erzählung der Vitae Fatrum bezeichnet , in welchen wir sie nicht
finden können; steht auch in Gesta Romanorum n. 197, App. 1, p. 610 mit der-
selben Einleitung : Xegitur in Vitas Patrum.'
7. ,Dic exemplum in vitas Patrum de sancto patre, qui raptus
ad celum uidit VII Coronas ibi uno discipulo preparatas, quas una
nocte meruerat temptacioni resistendo.' (S. Nr 34, Bl. 37^)
Aus Vitae Patrum V 7, n. 43 (Migne, P. L. LXXIII 903).
8. ,Legitur quod quidam bone uite uenit ad quendam in firm um.
Cui infirmus: „Bene uenisti, sancte dei, ora pro me." Et ille: „Die
mihi, quando plus times deum et inuocas eum?" Cui infirmus: „Quando
sum infirmus." Respondit: „Et deus nunquam te faciet conualere, ut
sui nunquam obliuiscaris. " Sic trahit Deus.' (Dom. III post Pentec. Bl. 9 P.)
Nur wenig abweichend in der Form findet sich die Erzählung im Lacteus liquor
(Clm 5128 dist. X Bl. 76''), in welchem sie mit folgenden Versen schließt:
Cum fero languorem, fero religionis amorem.
Expers languoris non sum memor huius amoris.
Ein der Tendenz nach gleiches , exemplum' steht bei Jakob von Vitry (Crane
n. 103, p. 47) : Ein armer, frommer Scholare trug — wie das in Frankreich üblich
war — an den Sonntagen das Weihwasser in der Parochie herum, wofür er kleine
Almosen bekam. Ein Ritter aber gab ihm statt des letzteren gewöhnlich Schelte.
An einem Sonntage fand der Scholare den Ritter an einem Fufse gichtkrank. Der
Kranke gab diesmal ein Almosen und bat den Scholaren, für ihn zu beten. Ver-
wundert über den Empfang beginnt der Scholar laut zu beten, daß Gott auch den
andern Fuß krank werden lasse. Auf die unwillige Frage des Ritters erwidert der
Scholare: ,Du warst ein Löwe, als du gesund warst, nun bist du wie ein Lamm:
darum bitte ich Gott, daß er dir auch an dem andern Fuße verleihe, was er dir
136 ^^^' -^^^ Predigten des Greculus.
an dem einen gab,' In kürzerer Form wird die Erzählung sowohl von Etienne de
Bourbon (Lecoy n. 517, p. 446), als auch im Alphabetum narrationum s. v. in-
firmitas (Clm 14 752 Bl. 920 wiederholt.
9. Der Sohn eines reichen Mannes ging in das Kloster Clair-
vaux. Sein Vater, darüber ergrimmt, wollte ihn mit Gewalt dem
Kloster entreißen. Der Sohn erklärte, er wolle gern in die Welt
zurückkehren, wenn der Vater eine gewisse Gewohnheit abschaffen
wolle. Der Vater sagte zu, und nun erklärte der Sohn, er meine die
,consuetudo, quod in terra tua homines moriuntur'. Nun ver-
ließ auch der Vater die Welt. (Dom. XVI post Pentec. Bl. 122^)
Die Erzählung steht bei Cäsar ins (Lib. miracul. II 38; Meister 116);
auch bei Etienne de Bourbon (n, 20, p. 59), wo Lecoy auf Jakob von Vitry ver-
weist. In der Sammlung der ,Exempla' hei Crane finde ich das Stück nicht. Der
Ritter heißt bei Etienne Dominus de Vagnory, wahrscheinlich Vignory, Haute Marne,
das Kloster Clairvaux. Sonderbarerweise läßt das Alphabetum narrationum (Clm
14 752 Bl. 92 s. v. conversio) den Sohn in ein Kloster des Predigerordens
eintreten, obschon als Quelle der Liber de timore angegeben wird.
10. Ein Mann ritt am Sonntag, statt zur Messe zu gehen,
aufs Feld und ging dann ins Wirtshaus. Eines Abends verließ er
betrunken das Wirtshaus, um heimzukehren; unterwegs erdrosselte
ihn der Teufel, warf ihn in einen Graben. So wurde er in die Hölle
geführt. ,Ibi inueniant bibuli longas assaturas et breues missas.'
(Dom. I post Epiph. Bl. 191\)
Bei Peregrinus Dom. infra octav. Epiph, folgt die Strafe auf dem Fuße.
Der Teufel begegnet dem Reiter und befiehlt ihm: ,Descende de equo ut audias
missam meam.* Dann stürzte er ihn in den Graben und — in die Hölle, ,cum eo
auditurus missam in Inferno, ubi cantatur: ue nobis qui nati sumus, ue nobis quia
mori non possumus'.
11. ,Legitur in scolastica historia, quod Rome cuidam monacho
miranti de suo cingulo, quo accinctus erat, insoluto et proiecto ante
eum vox in aere facta est dicens: Sic potuit Christus prodire clauso
sepulchro.' (In Pascha Bl. 60".)
Aus Historia scholastica des Petrus Comestor, In evangelia c. 184
(Migne, P. L. CXCVIII 1636). Der Vorfall soll sich mit einem Mönche von
S. Laurentius extra muros ereignet haben.
12. Als Salomo den Tempel baute, ließen sich gewisse harte
Steine nicht schneiden. Er besaß einen Strauß, der ein Junges hatte.
Salomo sperrte das Junge in einen Glaskäfig. Da der alte Strauß
niclit zu seinem Jungen kommen konnte, brachte er aus der Wüste
Exempla verschiedenen Inhalts. Guter Tod. 137
einen Wurm, mit dessen Blute er den Käfig bestrich. Infolgedessen
brach das Glas, und das Junge wurde frei. Salomo ließ solche Würmer
kommen, deren Blut die Steine erweichte. (Dom. Passionis Bl. 46'*.)
Stammt aus der Historia scholastica in lib. 3 Regum c. 8 (Migne, P. L.
CXCVIII 1353) ; steht auch mit derselben Quellenangabe in Gesta Roraanorum
n. 256, App. 60, p. 662; nach dem Text der Gesta Romanorum bringt der Strauß
den Wurm ,ex stercore'. Auch Konrad von Sachsen erwähnt die Fabel im Sermo 1
dominica in Passione D. 126.
13. Ein Römer liebte übermäßig seinen Sohn, welcher bei der
geringsten Gelegenheit in Fluchworte und Blasphemien ausbrach. Die
Teufel holen den ungeratenen Sohn aus den Armen des sündlich
nachsichtigen Vaters. (Trinit. Bl. 85.)
Aus Papst Gregors Dialog. 1. 4, c. 18 (Migne, P. L. LXXVII 349).
14. Um zu zeigen, welche schwere Verantwortung Eltern haben,
die ihre Kinder schlecht erziehen, führt er an : ,Dic de illo qui uocauit
compatrem suum, quando mori debuit et comburi, et quomodo rogauit,
quod fune alligaretur. Hoc contigit in Polonia Sweidnitz.' (Trinit. II
Bl. 85^)
CLb 130 Bl. 125'^: ,in Polonia in Swedenite'. Der Vorfall soll sich in Schweid-
nitz in Schlesien ereignet haben. Das Beispiel ähnelt dem bei Jakob von Vitry
(Grane n. 287, p. 1421) und Etienne de Bourbon (Lecoy n. 43, p. 57) stehenden:
Ein Delinquent läßt vor seiner Hinrichtung seinen Vater zu sich bitten und beißt
ihm die Nase ab, weil er ihn schlecht erzogen habe. Dasselbe auch bei P e r e-
grinus Dominica infra octav. Epiphaniae. In diese Kategorie gehört auch fol-
gende Erzählung einer Predigt in CLP 719 Bl. 16V: ,Fuit quidam auarus, habens
duos filios; unus nolens patri in hereditate succedere, factus heremita, uir bonus ;
alter patri successit ; qui ambo dampnantur. Bonus hie filius dormiens ductus
spiritu ad inferum et uidit egredi patrem et filium de teterrimo puteo maledicentes
et mordentes ; et ait filius patri: Maledictus sis, quia propter te res iniustas lucratus
sum ; sum enim filius et tu pater, maledictus sis ; si eas non acquisiuisses, non eas
possedissem.'
H. Oiiter Tod.
P. Zu dem hl. Antonius kam vor seinem Tode ein Engel und
mahnte ihn, sich zum Tode vorzubereiten. Als Antonius ängstlich
noch um Aufschub bat, sprach der Engel: ,Si propter peccata times,
scito tibi omnia peccata dimissa. 0 miser, tu nescis, si deus unum
peccatum tibi dimisit, et tamen non times mortem!' (Dom. I Quadrag.
Bl. 36'^ und Dom. III Adventus Bl. 7^)
Weder in der Vita Antonii, welche der hl. Athanasius verfaßt hat, noch in
der Legenda aurea c. 21 findet sich diese Vision verzeichnet.
138 I^^' ^iö Predigten des Greculus.
2*. jLegitur de quodam, qui nunquam habuit consolacionem in
uita sua. Et cum sua anima a corpore fuisset separata, occurrit ei
Christus. Cui ait: „Domine, non habui consolantem me in terris."
Cui Dominus: „Ego ero consolacio tua in eternum."' (Dom. IV post
Pascha Bl. 72^)
3*. Ein Frater sang sterbend den Hymnus Jesu nostra redemptio'.
Gefragt, wie es ihm gehe, antwortete: ,Gut; denn der princeps mundi
hat keinen Teil an mir.' Der Grund: ,quia misericordia dei erat sibi
comes'. (Dom. I post Pentec. Bl. 86'^)
I. Himmelsfr enden.
1*. ,Quidam abbas in oracionibus positus raptus fuit et uidit se
Interesse choris angelorum. Venit ergo sanctus Michael ei in occursum
ipsum benigne suscipiens. Cui referenti gracias ait sanctus Michael:
„,0 utinam nobiscum deberes manere ! " Respondit abbas : „Hie manebo,
non exibo." Respondit Michael: „Non manebis, sed necesse est, ut
reuertaris." Venit tercius ad eum qui scriba suus fuerit in hac uita
dicens: „0 utinam nobiscum maneres." Abbas respondit : „Hie manebo,
non exibo." Accipiens predictus scriba pomum de arbore dedit abbati
dicens: „Si manducare poteris hoc pomum, non exibis, nobiscum
manebis; sin autem, necesse est ut exeas." Accipiens ergo abbas
pomum de manu eins momordit auide dicens et sepe secum replicans:
„manebo, non exibo." Accedens ergo sibi quidam subditus eiusdem
abbatis putans eum loqui de sompno et excitauit eum et ecce re-
uersus ad se abbas inuenit pomum in manu dimidium; iam aliam
partem comederat.' (In nativ. Domini Bl. 12'^)
2. Die hl. Dorothea sendet dem Theophilus Rosen und Äpfel
aus dem Himmel. (Dom. IV Adventus Bl. 8^ auch Dom. XIII post
Pentec. Bl. 116'^) Aus Legenda aurea c. 210, p. 911.
3*. ,Legitur quod quidam diues audiuit predicare de gaudiis
paradisi, et post predicacionem quesiuit a predicatore dicens : „Pro deo!
dicatis mihi, cuiusmodi est istud gaudium? Eruntne ibi pulchre domine
cum iuuenibus, preciosa cibaria?" Et multa tali numerauit. Respondit
predicator: „Non." Dixit diues: „Cum aliud gaudium non uideamus,
quäle gaudium est illud?" Cui predicator: „Legitur in fabulis, quod leo
tenuit festum, in quo omnia genera [erant] animalium preter suem.
Guter Tod. Himmelsfreuden. Der Teufel. 139
qui in luto et fetore remansit. Finito festo lupus rediit ad propria.
Cui obuians sus ait: ,Undeuems?' Ciii lupus: ,Unde uenis tu, mise-
rabilis sus?' Inquit: ,Unde uenis tu?' Et lupus: ,Ego uenio de festo,
ubi omne bonum delectabile fuit ministratum. Unde odit te leo,
quod ibi non fuisti?' Cui sus: ,Fuit aliquid boni?' Cui lupus: ,Immo
plus quam cogitari potest fuit ibi delectabile.' Cui sus: ,Fuit ibi
aliquid de furfure?' Cui lupus: ,Tace misera! Non enim esset ausus
aliquis de tarn uili cibo mencionem facere.'" „Sic dico'* — inquit pre-
dicator — „quomodo queris: Erunt ibi pulchre puelle? etc.; id est
ac si queris: erit ibi de furfure satis."' (Sermo 4 Dom. XV post
Pentec. Bl. 12P.)
4. Ein Abt bittet Gott, ihm die Freuden des Himmels zu zeigen.
Da fing ein Vögiein an herrlich zu singen. Der Abt folgt dem Vöglein
in den Wald und hört ihm unter einem Baume sitzend zu. Er kam
ins Kloster zurück; niemand erkennt ihn; die Chronik ergab das
Verschwinden des Abtes vor 340 Jahren; der Abt aber meinte nur
eine Stunde dem Vöglein zugehört zu haben. (Dom. II post
Pentec. Bl. 90'^)
Mit dem Eingange ,legitur in libro exemplorum' wird im Speculum exemplorum
IX 65 das gleiche von einem Mönch erzählt, der über den Psalmvers ,Mille anni
ante oculos tuos tamquam dies hesterna' (Ps 89, 4) meditierte. Diese Erzählung
findet sich schon bei französischen Predigern des 13. Jahrhunderts. Vgl. Lecoy p. 299
und Paul Meyer in ,Romania*, 2. Folge V 473, wo eine ähnliche Erzählung aus
den französischen Predigten des Maurice de Sully mitgeteilt wird.
K. Der Teufel.
1. lulianus Apostata sandte einen Teufel nach dem Okzident
mit dem Befehle zu eilen und ihm die gewünschte Nachricht zu
bringen. Der Teufel kam zur Wohnung eines Mönches und mußte
zehn Tage dort stehen; er vermochte nicht weiter zu gehen; denn
der Mönch betete unaufhörlich. Der Teufel kehrte darum unver-
richteter Sache zurück. Befragt über den Grund sagte er: ,Moram
feci et sine effectu redii propter quendam monachum nihil agens.'
(Dom. V post Pascha Bl. 75\)
Aus Vitae Patrum VII 2 (Migne, P. L. LXXIII 1003). Der Mönch hieß
Publius.
2. Ein Teufel in Menschengestalt zeigte einem Eremiten an,
daß morgen ein Teufel in Gestalt seines eigenen Vaters zu ihm mit
140 ^^^- ^^^ Predigten des Greculus.
einem Beile kommen werde, um ihn zu verführen. Er solle mit dem
Beile den Teufel totschlagen. Der einfältige Eremit glaubt das. Als
am nächsten Tage sein Vater ihn besucht, hält er ihn für den Teufel
und tötet ihn. (In ascens. Domini Bl. 76'^.)
Aus Vitae Patrum VII 4 u. 37 (xMigne, P. L. CXXIII 1022); auch bei Jakob
von Vitry (Crane n. 76, p. 34).
3*. Der Teufel in Gestalt eines Engels rät einem Mönch, er
solle sieben Tage fasten; er werde bald sterben und dann direkt in
den Himmel kommen. Glücklicherweise hielt der Abt den Mönch ab,
diesem Rate zu folgen. (Sermo 2 in die Cinerum Bl. 35".)
4*. ,Legitur quod quidam sacerdos interrogauit dyabolum in
quodam obsesso, quare tantum insideret homini. Qui respondit:
„Propter inuidiam."' (Dom. II post Pascha Bl. 67''.)
5. (Diabolus) ,dixit ad beatum Antonium : „Antoni, si tu uigilas,
ego nunquam dormio; si ieiunas, ego nunquam comedo; si diuicias
contempnis, ego nunquam terrena possideo; unum est, quod ualde
metuerem, uidelicet humilitas tua."' (Dom. III in Quadrag. Bl. 42\)
Steht in Vitae Patrum V 14 (Migne, P. L. LXXIII 959), aber nicht von
Antonius, sondern von Makarius ; von letzterem erzählt dies auch Peregrinus Dom.
VIII post octav. Pentec.
L. Böser Tod.
1*. ,Erat quidam uir perpetrator multorum malorum et nunquam
confitebatur cogitans, quod sibi adhuc sufficiens tempus contitendi
superesset, dum uellet mori. Tandem infirmatus et uenit ad eum
confessarius et monuit eum, ut doleret de peccatis et confiteretur
cui infirmus: „lustus est Dominus et omnia opera eins; ecce dum con-
fiteri potui, contempsi misericordie diuine terminum ponens. Dyabolus
enim ex permissione dei stat mihi supra pectus ; et cum aliquid dicere
cogito pertinens ad salutem meam, statim stringit mihi Collum ; omnia
me loqui permittit preterquam saluti mee anime necessaria." Et sie
exspirauit. Ecce quomodo dyabolus facit hominem mutum sc. pecca-
torem.' (Dom. XII post Pentec. Bl. 114'^)
Als Quelle ist angegeben Scolastica Historia; darin ist das ,exemplum' nicht
zu finden.
2. Ein reicher Geizhals kommt zum Sterben. Er sieht neben
sich ,nigerrimos uiros' stehen, die ihn zur Hölle schleppen wollen.
Er ruft seinen Sohn und andere zu Hilfe; angstvoll wälzt er sich
Der Teufel. Böser Tod. 141
hin und her; er bittet um Ausstand bis zum Morgen; umsonst; er
stirbt, und die Dämonen fahren mit seiner Seele zur Hölle.
Aus Gregors Dialog. 1. 4, c. 39 (Migne P. L. LXXVII 392).
3. Ein reicher .oppressor pauperum', der seine Buße verschoben
hatte, kommt zum Tode. Dämonen wollen ihn packen; da ruft er:
, Domine, adiuua nie!' Die Dämonen verlachen ihn; jetzt sei es zu
spät, höhnen sie und schleppen ihn zur Hölle. (In die Cinerum 1
Bl. M'\)
Nach dem Speculum exempl. II 202 soll die Erzählung aus den Vitae Patrum
stammen, wo ich sie indessen nicht gefunden habe.
4. Ein Mann fastete vor den Menschen, aß aber tüchtig
im geheimen. Auf dem Totenbette gestand er seine Heuchelei und
fügte seiner Beichte hinzu: ,et nunc datus sum demoni ad man-
ducandum, qui canda sua genua mea et pedes meos colligauit caput-
que suum super os meum mittens spiritum meum extrahit. Quibus
dictis exspirauit.' (In die Cinerum 2 Bl. 35^)
Papst Gregor erzählt Dialog. 1. 4, c. 38 (Migne, P. L. LXXVII 393) diesen Vor-
fall ,referente Athanasio Isauriae presbytero'. Danach war der Sterbende ein Mönch
eines Klosters, welches ,tu)v FaXärw'/ hieß. Im Speculum exemplorum I 68, wo
diese Erzählung auch steht, ist der Name in ,congalaton' verunstaltet.
5. Ein Trinker verkauft einem andern Trinker seine Seele
gegen Wein. In Gestalt eines Kaufmanns erscheint der Teufel. Der-
selbe kauft dem Käufer die Seele ab und fährt, nachdem sie weiter
gezecht hatten, mit dem Trinker ab. (Dom, III in Quadrag. Bl. 41'^;
auch Dom. VIII post Pentec. Bl. 104^)
Aus Thomas Cantimp. II 56, n. 2, p. 536; daraus auch im Speculum
exemplorum V 126. In dem Liber miraculorum des Clm 5128, dist. II 59 Bl. 26"*
erscheint die Erzählung reicher ausgeschmückt: Mehrere ,bibuli' unterhalten sich
in der Schenke über verschiedene Dinge, unter anderem auch ,de futura vita'.
iEiner von den Trinkern ruft aus : ,Omnes decipimur a clericis.' Die andern stimmen
zu und lachen. Da tritt ein neuer Gast ein, ein großer, kräftiger Mann. Er setzt
sich zu den Trinkern und mischt sich in die Unterhaltung. Man spricht von
der Seele. Ein Trinker bietet sie zum Verkauf aus. Der Gast kauft sie, zahlt
den Preis, der vertrunken wird. Als man aufbricht, spricht der Gast: ,Decernite
iudicium, antequam separemur. Numquid qui equum emeret, capistrum (Halfter)
eins simul acciperet? Utique inquiunt.' Sofort packt der Teufel — das war der
Gast — den Verkäufer seiner Seele und fährt mit ihm zur Hölle.
6. Ein Dieb hatte einen Pakt mit dem Teufel, gemäß welchem
der letztere ihm versprach, daß ihm alles glücken und daß er nie
gehängt werden würde. Der Dieb wurde gefangen; der Teufel sagte
142 ^^I- -^^^ Predigten des Greculus.
ihm: Fürchte dich nicht; man wird keinen Strick finden; gib dann
Geld, so kommst du frei. Er tat so; aber siehe, als er Geld aus
der Tasche nehmen wollte, zog er statt des Geldes einen Strick
heraus und wurde gehängt. (Dom. VI post Pentec. Bl. 100*.)
Auch bei Peregrinus Dom. VI post Octav. Pentec.
31. Die Hölle 1.
1. ,Sic strinxit [diabolus] cuidam [collum], de quo legitur. Quem
cum hortaretur uxor, ut confiteretur, respondit, quod non posset facere
penitenciam. Cui uxor: „Et quomodo poteris facere penitenciam in
inferno?" Cuiille: „Putatis, quod infernum sit? Nequaquam, sacerdotes
sie inuenerunt propter lucrum suum et ut timeantur." Que cum nihil
proficeret, dimisit eum in pace. Quadam nocte cum in strato suo
quiesceret, uenerunt demones et rapuerunt eum de lecto et ad in-
fernum portauerunt. Mane autem surgens uxor corpus uiri inuenit
mortuum et denigratum totum et inuenit in manu eins literam: „lam
certificatus sum, quod infernus est et pudor quem habui ad confiten-
dum et timor ad penitendum deportauerunt me ad eternam penitenciam
inferni."' (Dom. XVI post Pentec. Bl. 123.)
Steht auch bei Peregrinus in dem Sermo zu demselben Sonntage und im
Speculum exemplorum IX 88.
2. .Legitur, quod quidam erat miles potentissimus, qui
habebat multas possessiones et hereditates. Iste uixit nimis deliciose
et non erat ei cura de aliquo nisi ut corpori suo bene faciat. Erat enim
nimis luxuriosus. Contigit autem quadam nocte cum dormiret,
quod dormiendo multitudo demonum ueniret cum magno strepitu;
rugientes ut leones extraxerunt animam illius militis et proiecerunt
eam sicut pilam inter se unus ad alterum et catenatam duxerunt
eam ad infernum. lila autem anima nesciebat ubi esset, quia im-
prouise et fortuito rapta fuit de corpore. Et cum rapta esset, dixerunt
demones ad inuicem : porrigetur ei sedes ac cussinus ^ aureus, ut sedeat,
quia homo nobilis est. Portata fuit ei sedes ardens cum pico et
sulphure. „Sede hie ut potemus te poculis amarissimis. " Cumque
potassent eum exclamauit clamore magno dicens: „Maledictus sit pater
' Das Fegfeuer schildert Greculus im Sermo 3 Dom. XXII post Pentec.
Bl. 134'' nach dem Berichte des Papstes Gregor, Dialog. I. 4, c. 36 (Migne,
P. L. LXXVII 384). 2 Kissen, Polster.
Die Höllenqualen. 143
meus et mater mea, de quibus conceptus sum." Statim tulerunt
dyaboli cyphum ardentem, in quo erat pix et sulphur fetidissimum et
dabant ei bibere. Cum uero nollet bibere, tulerunt incudem et cum
malleis ipsum cedebant. Et cum cederetur clamauit uoce magna dicens :
„Ve mihi, quare natus sumi" Iterum acceperunt eum demones et
posuerunt eum in lectum, in quo erant ardentes [prune] et fetor in-
tolerabilis et dixerunt ad eum: „Hie requiesce's in eternum et nun-
quam erit tui memoria in eternum sc. ante deum." Statimque anima
illa clamauit: „Ve mihi, quia unquam deum offendi! Ve mihi, quia
nunquam liberabor!"' (Dom. XVI post Pentec. Bl. 123.)
Eine ähnliche Erzählung steht bei Thomas C a n t i m p. II 49 p. 445 ; hier
schaut die Frau eines Ritters die Qualen ihres verstorbenen Mannes in der H&lle;
die Qualen sind der Ritterausrüstung und den Lebensgewohnheiten des Ritters an-
gepafst. (Vgl. auch Speculum exemplorum V 101.)
3. ,Exemplum legitur quod quidam nobilis [erat] magnus op-
pressor pauperum id est amator mundi. Hie nobilis mandauit pro-
curatori facere conuiuium et sibi omnia necessaria a suis pauperibus
ordinari. Hie cum in eadem nocte in stratu suo quiesceret, rapitur ca-
merarius qui iacebat ante cameram in uisione dei, ubi accusabatur do-
minus de Omnibus que gesserat, pro quibus receperat sentenciam eterne
dampnacionis. Et cum esset in magno strepitu, de momento ductus est
ante Luciferum, dixitque demon, qui fuerat ei deputatus: „Ecce adduxi
ad te comitem, ut reddas ei premium pro fideli seruicio, quod tibi ser-
uiuit." Et ait Lucifer: „Adducite eum ad me." Qui cum ductus fuisset
ad eum: „Non tibi sit pax in eternum!" Et dixit: „Consueuit balneari;
adducite eum ad me et bene erunt sibi preparata." Et ecce adductus
in balneum infernale et dilaniatus est unguibus demonum, alii ignem
super eum fundentes. Et ductus est et positus in lecto infernali, qui
plenus erat uermibus. Dixit Lucifer: „Date ei bibere de calice ire
dei." Et propinatus est ei ignis et sulphur. Qui cum clamaret quod
sufficeret, dixit Lucifer: „Audite! Consueuit dulces symphonias; sur-
gite, symphonizate ei!" Et ecce duo demones surrexerunt cum tubis
igneis et ecce ignem in eum sie sufflantes, ut de ore, de naribus, de
auribus exierunt. Et ait Lucifer: „Adducite eum ad me!" Et adducto
ait: „Cantasti canciones; canta mihi unam!" Dixit: „Quid cantabo, nisi
quod maledictus sit illa dies in qua natus sum." Et Lucifer: „Canta
mihi meliorem!" Et ille: „Maledictus sit deus qui me nasci permisit."
144 ^11- ^^^ Predigten des Greculus.
Et ait Lucifer: „Hoc est quod uolui; modo ducite eum in sedem
quam meruit." Qui dum ductus fuisset ad unum puteum, proiectus
est et factus est talis strepitus ac si totus mundus caderet. Ad quem
strepitum euigüatus eamerarius cucurrit ad cameram suam et dominum
mortuum inuenit. Qui omnia narrauit post ordinem et ordinem Cyster-
ciensium intrauit et ibidem feliciter finiuit.' (Sermo 1 Dom. V post
Epiph. Bl. 25.)
,Tercia cena est infernalis; et [ab] illa liberet nos deus. lila
cena est miserabilis. In illa cena datur tibi panis durissimus, qui
nunquam potest digeri sc. mors eterna. Sicut enim herba de pasca ^
iterum crescit, sie et mors dampnatorum .... In illa cena dabitur
uinum rubeum sc. fei draconum, item uinum album id est venenum ser-
pentum. Eya, qualis miser potus erit in illa cena. Dabuntur tibi
carnes lixe, que erunt in aqua. Comedunt enim miseri pre dolore
linguas suas, que assantur in inferno eternaliter. Item dabuntur tibi
carnes asse, quia comedunt proprias carnes suas, que assantur igne
infernali in eternum. Resonabunt tibi ibi instrumenta sicut in conuiuiis
mos est. Primum est Stridor dencium, secundum est ululatus demonum,
tercium est planctus omnium dampnatorum Post cenam solent iacere
in lecto ; sie post illam cenam poneris in lectum igneum et sternentur
subtus te uermes et tinee qui corrodent corpus tuum sine intermissione.
Pete ergo Dominum, ut ab illa cena te custodiat.' (Sermo 2 Dom. II
post Pentec. Bl. 89' ^)
,Diabolus habet fornacem, in quo suos fabricat; que suc-
censa est napta, stuppa, pice, malleolis. Napta fex olei, que magis
ignem accendit. Est superbia, que accendit ignem luxurie. Stuppa,
que cito accenditur et cito deficit; sunt hü qui in tribulatione cito
deficiunt et deum blasphemant. Pix, que nigra exterius est et alios
maculat^: sunt qui alios per malum exemplum inficiunt. Malleoli^
sarmenta sunt uitis: qui excisi a caritate deficiunt. In hoc fornace
est ignis uidelicet ad consumacionem deuorans.' (Sermo 2 die s. Laurentii
S. Bl. 75.)
Zu vergleichen sind die ähnlichen, aber bei weitem nicht so drastischen
Schilderungen bei Cäsarius, Dial. dist. XII 2 14 20 23; II 316 326 330—332 und
^ Maßliebchen , globularia vulgaris , früher auch ,paschanthemum' genannt
(Tabernacmon tanus, Kräuterbuch, Basel 1687, 709), heute noch französisch
,päquerette, fieur de päques'. ^ Hs: ,inacuIor'. ^ Dürres Weinholz.
Die Höllenqualen. Quellen der Exempla. Hilfsmittel. 145
die Beschreibungen der Höllenqualen im Speculum exemplorum IX 85 206 207; X 19.
Man liebte es, die Höllenqualen standesgemäß auszumalen, wie Nr 2 und 3
zeigen. Im Lacteus liquor des Clm 5128 dist. II 58 Bl. 26 werden in ähnlicher
Weise die Qualen eines Reichen geschildert: Er erhielt einen Sessel und einen
Mantel, ,ut ille m uiuis consueuerat' ; aber der Sessel ist glühend und der Mantel
brennend; der glühende Becher, den man ihm reicht, ist mit kochendem Schmutz
angefüllt; statt der ,ioculatores' unterhalten ihn die Klänge zweier Trompeten, aus
welchen feurige Funken in seine Augen geblasen werden; in der feurigen Schlaf-
kammer erwarten ihn Schlangen, die ihn peinigen. Der Freund des Pariser Ma-
gisters Serlo erschien als Verdammter in einem feurigen Pergamentmantel, welcher
innen und außen mit Trugschlüssen beschrieben war. Vgl. Crane n. 31 p. 12
und Schönbach, Die Reuner Relationen 27.
Die Auswahl, welche Greculus bei der Aufnahme von exempla
in seine Predigten getroffen hat, bekundet durchweg den ernsten,
die sittliche Besserung der Zuhörer erstrebenden Willen der Predigers.
Freilich finden sich manche darunter, die ungesunden religiösen Nei-
gungen und einer gefährlichen Wundersucht Vorschub leisten, wie
die Erzählungen von der Erscheinung des Jesusknaben. Die Teufels-
geschichten entsprechen dem Geschmacke jener Zeit ebenso wie die
Höllenschilderungen, in welchen die Prediger um den Vorrang in der
Beschreibung des Grausigen zu ringen scheinen.
Man darf nicht annehmen, daß Greculus alle seine exempla aus
den ersten Quellen entnahm. Er wird die Sammlungen benutzt haben,
die auch in Deutschland in Nachahmung der Franzosen zusammen-
gestellt wurden. Wir haben bereits oben davon gesprochen und in
dem Verzeichnis der exempla die Quellen derselben namhaft gemacht,
soweit es uns möglich' war. Hier fügen wir noch hinzu, daß dem
Greculus schon die Gesta Romanorum bekannt waren. Darin stehen
die Stücke G. 2 3 6 10. Ist das richtig, so würde man die Ent-
stehung der Gesta Romanorum weit über das Jahr 1342, aus welchem
die älteste bekannte Handschrift stammt ^ , zurückdatieren dürfen.
Die Untersuchungen über die Hilfsmittel, welche für die
mittelalterlichen Predigtwerke benutzt wurden, ist mit großen Schwierig-
keiten verbunden. Wertvolle und bahnbrechende Arbeit hat Schön-
bach'^ für die älteren deutschen Prediger geleistet. Für die lateini-
^ Gesta Romanorum 750. Unsere Annahme von der Benutzung der Gesta
durch Greculus wird bestärkt durch die Entdeckung einer datierten Hs der ersteren
vom Jahre 1317. Vgl. Wissenschaftl. Beilage der Allgem. Zeitung 1906, 397.
2 Altdeutsche Predigten. 3 Bde.
Franz, Drei deutsche Minoritenprediger. 10
l^ß III. Die Predigten des Greculus.
sehen Predigtsammlungen des 13. und 14. Jahrhunderts ist bislang
nur sehr wenig geschehen. Die reiche lateinische Predigtliteratur
dieser Zeit ruht noch zum größten Teile fast unbekannt in den Hand-
schriftenschätzen der Bibliotheken und harrt auf eine kritisch sich-
tende Hand. Solange diese Literatur nicht durchforscht ist, wird
man bei der Untersuchung über die Quellen der späteren Predigt-
sammlungen zu einer sichern Feststellung nur selten kommen können ;
man wird sich vielmehr oft mit wahrscheinlichen Ergebnissen begnügen
müssen. Denn auch die zweifellos nachgewiesenen Übereinstimmungen
unter zwei Autoren lassen immer noch die Möglichkeit offen, daß
beide eine gemeinsame ältere Quelle benutzt haben. Diesen Vorbehalt
müssen wir auch für die nachfolgenden Untersuchungen in Anspruch
nehmen.
Mit Bertold von Regensburg hat Greculus die reiche Benutzung
von Allegorien aus dem Gebiete der Natur gemein. Dafür
boten der Physiologus und ältere Prediger eine Fülle von Material.
Die Eigenschaften des Wolfes werden auf den Teufel und dessen
menschliche Werkzeuge angewandt i. Wenn der Adler seine Jungen
fliegen lehrt, legt er auf die Höhe über dem Neste rotes Fleisch 2;
so hat Christus sein Fleisch und seine Wunden in den Himmel ge-
tragen, um uns zum Fluge gen Himmel anzureizen. In dem Sermo 3
am 8. Sonntag nach Pfingsten^ zieht er Vergleiche zwischen ver-
schiedenen Bäumen und den Sündern. Die unfruchtbaren Weiden
(salices) sind die Trägen (otiosi), die Linde (tilia), die' nur Blätter
trägt, bedeutet die Menschen, welche Worte machen und ohne Werke
sind ; ,legitur quod lupus inuenit figellam et cum bene sonaret exterius,
putabat se aliquid interius inuenire et cum nihil inueniret dixit: bonum
sonum habes sed parum de pinguedine.' Die stechenden Blätter des
luniperus sind die detractores; die stinkenden des Sambucus die
luxuriosi; gewisse Bäume am Toten Meere tragen äußerlich schöne
Früchte, die inwendig schlecht sind: das sind die Heuchler. In der
Predigt am 3. Sonntag in Quadragesima erzählt er die Fabeln von
dem Vogel Galandrius, der den Tod oder die Genesung der Kranken
anzeigt*. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren.
• Bl. 67'. 2 Bi 78/b_ 3 Bi iqö.
* Bl. 41. Gemeint ist Caraderas, ^apddptog; vgl. Laudiert 7 232; Peters 68.
Hilfsmittel: Physiologus. Frater Konrad. Bertold. 147
Eine Benutzung des Frater Konrad durch Greculus läßt sich
an einzelnen Stücken nachweisen i. Sie erstreckt sich auf die Dis-
position wie auf die Durchführung derselben. Jedoch ist sie so spo-
radisch, daß man von einer Abhängigkeit des Greculus von Frater
Konrad kaum reden kann. Deutlicher tritt die Benutzung der Predigten
Bertolds vonRegensburgin die Augen, dessen Sermones Rusticani
sicherlich am Beginn des 14. Jahrhunderts in den Minoriten-Kon-
venten fleißig gelesen wurden. Der Sermo in coena Dominik ist in
seiner Disposition dem Sermo 34 im Rusticanus de Dominicis^ Ber-
tolds gleich. Die coena heißt , magna' 1. propter instituentem et
preparantem, 2. propter fidem magnam hominis, quam oportet habere
in hoc sacramento, 3. propter multiplicem effectum. Dieselben Punkte
behandelt Bertold, freilich viel freier und eindringlicher, während
die Ausführung im Greculus einfacher und schulgemäßer ist.
Ein anderer lehrreicher Beleg für die Benutzung Bertolds
im Greculus findet sich im 2. Sermo Dominica III post Pente-
costen*. Hier wird Bertolds Sermo Dominica X post Pentecosten^
sachlich und oft wörtlich benutzt. Bertold führt acht Klassen von
poenitentes auf, von welchen sieben verworfen werden, während nur
die achte selig wird. Er findet das vorgebildet in den acht Söhnen
Isais (1 Kg 16, 1 — 14), von welchen nur der jüngste, David, zum
König auserkoren wird. Bertold führt nun die Söhne der Reihe
nach vor und kennzeichnet unter allegorischer Deutung ihrer Namen
die Klasse der Büßer, welche sie repräsentieren sollen. Im Greculus
steht nur ein Auszug aus dem längeren Eingang bei Bertold; von
der Wiedergabe der langen biblischen Erzählung wird abgesehen.
Greculus begnügt sich, die acht Klassen der Büßer nach Bertold mit
kleinen Abweichungen im Wortlaut anzuführen und kurz zu be-
schreiben: 1. superbi, 2. non agentes poenitentiam et discedentes
(differentes), 3. diffidentes ^, 4. ypocrite, 5. non stantes, iterum cadentes,
6. qui tantum in ore poenitent, non in opere, 7. qui bene faciunt et
^ Zu vergleichen sind : Greculus Sermo 3 Dom. infra octav. Epiph. mit Konrad
Sermo 4 an demselben Tage ; Greculus Sermo 3 in die Cinerum mit Konrad Sermo 4
an demselben Tage ; Greculus Sermo 1 Dom. I Quadrag. mit Konrad Sermo 1 an
demselben Sonntage; Greculus Sermo 2 Dom. I post Pascha mit Konrad Sermo 1
an demselben Sonntage.
2 Bl. 50. 3 cLinc. 4 Bl. 99. * Bl. 91'^
^ Rustic. de Domin. CLinc. 4 Bl. 123'. ^ Bertold: ,ficte penitentie.'
10*
148 I^I- ^^^ Predigten des Greculus.
cum aliquibus malis miscent ^, 8. quorum poenitentia placuit deo. Die Aus-
führungen Bertolds sind viel reicher, während sie im Greculus der ganzen
Anlage nach kurz zusammengefaßt werden. Die Warnung Bertolds an
die Prediger, in dieser Materie vorsichtig zu sein, um die Menschen nicht
zur Verzweiflung zu bringen, wird im Greculus nicht berücksichtigt.
Am Beginn des Zyklus de tempore macht sich eine oft wörtliche
Übereinstimmung mit den Sermones des Jakobus deVoragine
de tempore bemerklich. Jakobus starb 1298 als Erzbischof von Genua.
Seine Sermones de tempore und de Sanctis, sowie sein Quadragesimale^
erfreuten sich der raschesten und weitesten Verbreitung. Sie bieten
ungemein reichen Stoff. Für jeden Sonntag hat Jakobus drei Pre-
digten aufgenommen.
Im 1. Sermo zum 1. Adventsonntag hat Greculus nicht bloß
den Eingang aus Jakobus (2. Sermo zum 1. Adventsonntag) unter
Veränderung des Wortes ,principem' in ,amicum' übernommen, sondern
auch aus der reichhaltigeren Disposition desselben drei Punkte aus-
gewählt und inhaltlich wie Jakobus behandelt. Das gleiche gilt von
dem 1. und 2. Sermo zum 3. Adventsonntag des Greculus, für welche
die am gleichen Sonntag stehenden Sermones 1 und 3 stark benutzt
sind. Im weiteren Verlaufe wird die Benutzung des Jakobus seltener
und verschwindet etwa von den Quadragesimalpredigten ab vollständig.
Noch auffallender ist die Übereinstimmung des Greculus mit
Peregrinus de tempore. Wer der Verfasser der Sermones Peregrini
war und wann derselbe gelebt hat, ist noch nicht festgestellt. Denn
die traditionelle Angabe, daß Peregrinus Provinzial der polnischen
Dominikaner-Ordensprovinz war und am Ausgang des 13. Jahrhunderts
in Breslau gelebt hat^, stammt doch nur aus den unbeglaubigten
Vermerken der ersten Druckausgaben ^. Cruel will eine nicht näher
bezeichnete Leipziger Handschrift kennen, die vom Jahre 1305 datiert
ist. Da in Peregrinus die Legenda aurea des Jakobus de Voragine
benutzt ist, würde man die Entstehung der Predigten in die Wende des
13. und 14. Jahrhunderts setzen können. Auf dieselbe Zeit muß man
auch schließen, wenn sich die Benutzung des Peregrinus im Greculus
^ Bertold: ,qui quedam bona faciunt, nee tarnen peccata mortalia deserimt.' 1
2 Vgl. Copingern2, 6523—6556.
3 Vgl. Cruel 3336 und Linsenmayer 372.
* Vgl. Rose, Die lat. Hss der Kgl. Hibliothek zu Berlin II, Berlin 1901, 525.
Hilfsmittel: Jakobus de Voragine. Peregrinus. 149
nachweisen läßt. Denn der letztere entstammt den ersten Dezennien
des 14. Jahrhunderts, wie oben gezeigt wurde.
Wir finden im Greculus Predigten, die in den Eingängen fast
gleich mit Peregrinus sind. Auch in den Dispositionen bemerken wir
wiederholt Übereinstimmungen; die Ausführungen weichen freilich
vielfach voneinander ab ^ Dazu kommt, daß sich in den bei beiden
stehenden Allegorien und exempla wiederholt Übereinstimmungen fest-
stellen lassen 2. Die Frage, wer der Benutzer ist, kann kaum zweifel-
haft sein. Greculus hat sich des Peregrinus als Vorlage in einer
Anzahl von Predigten bedient. Er kürzt dabei dieselbe ab und be-
gnügt sich hie und da selbst mit einer bloßen Inhaltsangabe seiner
Vorlage. Aus dem zwischen Peregrinus und Greculus obwaltenden,
von uns festgestellten Verhältnisse ergibt sich, daß die Entstehungs-
zeit des ersteren spätestens in die Wende des 13. und 14. Jahr-
hunderts gelegt werden muß, daß demnach die traditionelle Annahme
bezüglich der Zeit wenigstens ihre Berechtigung hat.
Die von uns nachgewiesenen Entlehnungen aus andern Predigt-
werken lassen annehmen, daß die Arbeit des Greculus zum Teil eine
kompilatorische war. Er entnahm seinen Vorlagen, was ihm
brauchbar dünkte, kürzte ab oder erweiterte die Gedanken, die er
vorfand. Der größere Teil seiner Arbeit aber wird als sein Eigentum
zu betrachten sein, wenn man überhaupt bei den minder begabten
mittelalterlichen Predigern von einem geistigen Eigentum reden darf.
Denn die große Mehrzahl lebte von Reproduktion und Kompilation.
In Clm 5852 Bl. 285—309 steht ein Zyklus von Predigten über
die sonntäglichen Lektionen, an dessen Schlüsse vermerkt wird:
,Explicit Greculus de tempore super epistolas.' Es sind 50 Predigten
über die Sonntagslektionen; zwei fehlen — die für den 24. Sonntag
nach Pfingsten und den 6. Sonntag nach Epiphanie. Die Predigten
sind fast durchweg thematisch und ähneln in der Behandlungs weise
den Sermones Greculi de tempore. Übereinstimmungen im Wortlaut
zwischen beiden sind selbst da nicht zu finden, wo das gleiche Thema,
^ Vgl. Peregrinus Dom. IV VI VII post Pentec. mit Greculus zu den-
selben Sonntagen Bl. 93^ 99^ 102.
2 Vgl. Peregrinus Dom. II post Epiph. und Greculus Bl. 22*; s. oben
G. 3 10; L. 7; M. 1.
150 m* ^^^ Predigten des Greculus.
wie z. B. am 4. Adventsonntag, behandelt wird. Ob beide den gleichen
Verfasser haben, läßt sich schwer entscheiden.
Clm 5852 ist erst im 15. Jahrhundert geschrieben; aber die
Epistelpredigten sind älter; sie sind schon benutzt im CLP 639,
welcher der Mitte des 14. Jahrhunderts angehört^. In dieser Perga-
menthandschrift steht Bl. 77 — 90' ein Zyklus von Epistelpredigten,
von welchen ein großer Teil entweder ganz oder doch in der Dis-
position mit den Predigten des Greculus super epistolas übereinstimmt.
Im CLP 639 zählt der Zyklus 55 Predigten, im Clm nur 50. Im
ganzen konnten wir die mehr oder minder genaue inhaltliche und
teilweise wörtliche Übereinstimmung an 26 Predigten feststellen. Die
Epistelpredigten müßten sonach in der ersten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts abgefaßt sein. Dieses Ergebnis würde die Identität des
Verfassers des Greculus de tempore und des Verfassers des Greculus
super epistolas nahe legen.
Dieser Identität widerspricht indessen eine schwerwiegende sach-
liche Divergenz. In der Frage der Suffragien für die Verdammten
nimmt der Greculus super epistolas eine von dem Greculus de tempore
abweichende Haltung ein. Während im letzteren ^ schlechtweg erklärt
wird: ,Animabus que sunt in inferno [deus] nunquam miserebitur',
huldigt Greculus super epistolas ^ der Ansicht mancher mittelalter-
lichen Theologen •^, welche den Suffragien für die Verdammten Wirk-
samkeit zuschreiben: ,Nota quod illis in inferno prosunt suffragia non
tamen ad liberacionem, sed ad penarum mitigacionem, quia licet in
inferno nulla est redempcio et tamen ibi est penarum mitigacio, quia
misericordia dei est in regno et in inferno. In inferno uero sie, quod
punit eos minus, quam meruerunt.' Auffallend ist auch im Greculus
de epistolis das Fehlen der exempla, während im Greculus de tempore
diese in reicher Fülle vorhanden sind.
Die Sprache des Verfassers der Epistelpredigten ist zuweilen
lebhaft. In der Predigt am 4. Sonntag nach Ostern (Bl. 294') schildert
er in Form eines Zwiegespräches zwischen Jesus und sich selbst die
Schrecken der Hölle, die ,dona diaboli' : ,Dona diaboli sunt tormenta
infernales, quae sunt numero neuem:
' S. oben S. 51. ^ Sermo 2 Dom. VII post Pentec. Bl. 102'i'.
« Clm 5852 Bl. 303^ * Vgl. Franz 227.
Greculus super epistolas. Kirchenbesuch. Haustus s. Bernardi. 151
Flamma, gelu, uermes, fetor, caligo, flagellum,
Demonis aspectus, scelerum confusio, nexus.'
... ,0 bone lesu et misericors Domine, si eos tuo sanguine
redemisti cur ipsis non misereris? Respondet Dominus, quod solum-
modo christianitatis nomen habuerunt, sed iustitiam postposuerunt.
Et cur tantam sustinent flammam? Quia igne luxurie inflammati
erant, a caritate dei eradicati. Cur roduntur uermibus^? Quia proxi-
mos ore iniquo et lingua dolosa diffamauerunt. Cur fetorem^? Quia
computruerunt in peccatis ut iumenta in stercore suo. Cur tenebras?
Quia lucem eternam neglexerunt. Cur flagellum? Quia pauperes
incendiis, rapinis, iniusta coaccione oppresserunt. Cur aspectum de-
monis? Quia faciem concupiscenciarum intuiti sunt. Cur confusionem
scelerum? Quia peccata sua confiteri erubuerunt. Cur nexus? Quia
singula membra singulis peccatis nexa erant.'
Im Nachfolgenden lassen wir eine Anzahl Stellen aus den Predigten
des Greculus folgen, bei deren Auswahl wir Stücke von kultur- und
religionsgeschichtlicher Bedeutung bevorzugten.
1. (Lässigkeit im Gottesdienste.) Sermo 1 Dom. XIV post
Pentecosten Bl. 117': Die lepra spiritualis nimmt den Menschen die
Stimme, damit sie nicht beten, blendet die Augen, damit sie das Gute
nicht sehen, lähmt die Füsse, damit sie nicht in die Kirche gehen,
,aufert pedes ne possint ire ad missas, predicaciones. Tunc ille [sacerdos]
nimis multum loquitur in sermone, alius loquitur per nasum, alius
nimis longam habet missam. Audi: si modo non uis audire missam,
audies in futuro missam infernalem, que nunquam habet finem.' —
Sermo 2 Dom. Septuagesimae Bl. 30*: ,Multi sunt qui habent tedium
de bono sc. de longa missa et hü in taberna non habent tedium,
quando clamant, ludunt tota die cum nocte.'
2. (Haustus s. Bernardi.) Sermo 1 Dom. I post Epiphaniam
Bl. 19''': Christus ging, wenn er Jerusalem besuchte, stets zuerst
in den Tempel. ,Sed heu ! Aliqui prius currunt ad tabernas antequam
[ad] ecclesiam, bibunt haustum sancti Bernardi^ a mane usque
^ Hs: , uermes'. ^ g^^ sustinent.
^ Haustus oder amor s. Bernardi ; man trank sich zu Ehren des Heiligen zu,
ähnlich wie bei dem gebräuchlicheren amor s. Johannis. Man kann daraus schließen,
daß der Prediger in einer Gegend gelebt hat, in welcher der hl. Bernhard besonders
geehrt wurde, in der Nähe eines Cistercienserklosters.
152 ^^^- ^^® Predigten des Greculus.
ad uesperam. Tales caueant, ne contingat eis sicut contigit cuidam
ciui' etc. ^
3. (Wallfahrten.) Sermo 3 Dom. II Quadrag. BL 40'^ ,Si
essemus ante infernum et clamaremus ad dampnatos: „Vos dampnati!
estne aliquis inter uos, qui fuerit Rome?" Responderent mille anime :
„Nos fuimus Rome et tarnen dampnate sumus!" Similiter ad sanctum
lacobum. Sed si diceremus: „Est aliquis inter uos, qui bene sit con-
fessus?" Respondent: „Non."' S. Bl. 53: .. .,nec Petrus nee lohannes
nee beata Maria nee sanctorum aliquis liberabit filium talem nee filiam
nee prece nee precio (nisi conuersi fuerint). Audiant hoc, qui ad
limina sancti Petri uel aliorum sanctorum uadunt uel ecclesiis eorum
seruiunt nee tamen a peccatis desistunt.'
4. (Osterfreude.) In die Paschae 2 Sermo Bl. 58: ,Gaudere
debemus non in uanitatibus, sicut multi faciunt, quia propter hoc
hodie gaudent, quod pisa euaserunt et comedunt carnes et mouent
insolencias in plateis currendo, percuciendo.' ^
5. (Menschenmord.) Sermo 1 Dom. V post Epiph. Bl. 27'*:
,Homicidium, quod eheu! tam commune est iam, quod pro uno uerbo
et per quosdam gratis committitur ; tantum reputant hominem tanquam
bestiam. Quondam intra mille annos non fuerunt nisi tres uiri occisi
sc. Cayn occidit Abel, fratrem suum, et Lamech, duos in duabus mil-
libus annorum^. Modo heu! ita commune, quod mater occidit puerum
suum. Ve quibusdam mulieribus que occidunt pueros suos, ut liberius
uacent libidini; non unum occidit, sed omnem progeniem, que ab illo
nasci posset; tam magnum est, quod clamat in celum.'
6. (Vetulae et incantationes.) Sermo 3 Dom. II post Pascha
Bl. 67'^: Die 4. Klasse von Wölfen sind ,uetule et omnes qui dant
prauum consilium. . . . Tales enim uetule sunt prophetisse dyaboli
et lupo comparantur, quia simulant vocem pastoris; accedunt et lo-
cuntur sub specie pietatis, ut sie alii decipiantur. . . . Habent enim
morsum venenosum ut lupus; mordent enim per praua consilia ita
^ Folgt das ,Exemplum', welches oben unter G. 10 S. 136 mitgeteilt ist.
- Diese Stelle bezeugt das Herumziehen junger Leute auf der Straße , das
Schlagen mit geflochtenen Ruten, wie es bis in die jüngste Zeit üblich war. Vgl.
Schönbach, Bertold zur Volkskunde 110.
^ Gn 4, 8 23. Die Auffassung des Predigers von der angeblichen Schonung
der Menschenleben im A. T. ist naiv.
Wallfahrten. Osterfreude. Mord. Beschwörungen. Wegweiser. Schauspieler. 153
ut multi moriantur corpore et anima'. Sermo 2 in Dom. XXI post Pentec.
Bl. 131: ,Euangelium istud commendat nobis regulum istum, qui spem
suam non posuit in medicis terrenis nee incantacionibus uetularum,
quod multi modo faciunt, sed posuit in celesti medico, sc. Christo.'^
7. (Wegweiser.) Sermo 1 Dom. VI post Pentec. Bl. 98'^^: ,Multi
sunt quasi acerui lapidum et sicut nodi uirgarum, qui uiatoribus uiam
ostendunt et nunquam ad terminum laborant.' In dem (Pseudo-) Greculus
de epistolis Bl. 307^ steht: Jnsuper diuersa signa secus uiam posita
faciunt homines errare. Sic latrones sepe solent cruces facere et aceruos
lapidum secus uiam ponere, ut homines ea sequentes interficiant.' ^
8. (Schauspieler und Gastmähler.) In Ascensione Sermo 2
Bl. 74*': ,Quarti petunt et obtinent per adulacionem, sicut sunt hystriones
et ioculatores, qui dicunt militibus: pater uester probus et largus
fuit, quod omni anno dedit nobis bonam uestem; sie et uos debetis
facere, tunc crescit laus uestra.' Sermo 2 Dom. II post Pentec. Bl. 89:
, Voca pauperes . . . sed multi faciunt contrarium , non solum [non]
uocant eos, sed si ueniunt reiciunt eos et introducunt seruos et membra
diaboli sc. hystriones et ribaldos, qui exercent ludos diabolicos coram
eis; talibus dant equos et uestes preciosas et pauperi qui est mem-
brum Christi denegant frustum panis .... non faciunt sicut antiqui
leguntur fecisse. Antiqui tantum semel in die comedebant et illud
appellabant cenam et in communi loco comedebant, non claudebant
se in altis domibus, non ponebant ianitores sicut modo. Sic comedebant
cum disciplina, non loquebantur turpia uerba; ostendebant in hoc
liberalitatem suam, quod peregrinos, bonos et iustos homines invitabant,
non fures nee raptores, sicut quidam modo faciunt.'^
9. (Soldaten.) Sermones in feste s. Georii S. Bl. 36 — 38:
[Georius] ,agonizabat usque ad mortem pro iusticia, non sicut milites
nostri temporis, predones pauperum, subversores ecclesiarum, iusticiam
subuertentes, sicut dicitur Is 1, 23: „Principes tui infideles, socii furum;
^ Besegnung und Besprechungen wurden meist von alten Frauen gewerbs-
mäßig geübt ; daher die vielfachen Warnungen vor den ,uetulae incantatrices' in
Predigten und Traktaten. Vgl. Schönbach, Bertold zur Volkskunde 24 131 ff.
^ Vgl. Schönbach a. a. 0. 118 und Miszellen 147. Die Stelle aus Greculus
bestätigt die von Bertold erwähnte Sitte.
^ Vgl. Schönbach a. a. 0. 56 ff und meine Abhandlung über das Buch des
Minoriten Rudolfus : De officio cherubyn, in der Tübinger Theol. Quartalschrift
LXXXVIII 416 ff.
154 I^^I- I^iß Predigten des Greculus.
omnes diligunt munera". . .. Milites quidem hoc fecerunt, non solum
circa Christi passionem, sed heu multi hodie mala faciunt. Is 34, 4:
„Omnis milicia eorum defluet" sc. in infernum „sicut folium de uinea."
Non enim residet in equis albis innocencie et castitatis, sed in equis
inmundicie et ferocitatis .... Sed heu ! milites huius seculi nee dei
gloriam nee bonum proximi querunt, sed destruccionem ecclesiarum
et pauperum uiduarum et orphanorum; sicut dicitur lo 19, 24: „Et
milites quidem hoc fecerunt." Ipsorum enim superbia, luxuria, gula
et auaricia tamquam quatuor bestie, quas uidit Daniel ascendens de
mari, Dn 7, 3. Sic isti ascendunt de mari huius mundi. Primo
quasi leena, habens alas quatuor aquile, que est eorum superbia ....
Quatuor ale sunt IUI species superbie; unde uersus: .,Ac se pro meritis
falso plus Omnibus inflat." ^ Secunda bestia fuit ursus per quem no-
tatur luxuria ; ursus enim mel et asininas ^ nimis diligit ; sie ipsorum
carnalis uoluptas delectaciones querit impudicicie et animas multarum
mulierum persecuntur pertrahentes ad mortem eternam. Tercia bestia
est pardus, pictus diuersis coloribus; hec est gula, que diversa et
exquisita querit fercula .... Quarta bestia terribilis nimis et fortis
est, crudelis rapacitas, quam exercent sine misericordia contra maiores
et minores, pauperes et diuites, nulli parcentes, ut possint explere
libidinem superbie, gule et luxurie . . . .'^
10. (Wucherer.) Sermo 2 Dom. IV post Pentec. Bl. 71'": ,Est
autem usurarius sicut bursa inueterata et perforata, que ad ultimum
proicitur in sterquilinium. Similiter usurarius nihil aliud est nisi
bursa numorum suorum, pre duricia usure perforatur in anima sua;
postquam nummi ceciderunt in manus domini sui uel uxoris uel pue-
rorum suorum, tunc proicitur in sterquilinium inferni. Unde in uanum
cantatur pro anima usuraria „ Requiem eternam " *. Potest diabolus sibi
respondere : tu oras sibi requiem eternam, sed ipse uendidit animam,
ergo nunquam habebit.' ^ (Folgt die Erzählung vom Barbier und vom
Wucherer; siehe oben C. 4 S. 129.)
11. (Almosen von ungerechtem Gute.) Sermo 3 Dom. lY
post Pentecosten Bl. 95: ,Unde quidam, quando pauperes spoliant,
* Woher der Vers stammt, ist nicht zu ermitteln. ,Ac' korrigiert aus ,A' der Hs.
2 Eine Art süßer Pflaumen.
^ Zum Ganzen vgl. die Schilderungen des Frater Ludovicus oben S. 87 91.
* Vgl. Bertold, Deutsche Predigten I 137. ^ S. oben S. 84 100.
Soldaten. Wucherer. Der Teufel. 155
credunt per oblaciones suas placere deo, dant elemosinas Predicatoribus,
Minoribus etc. et sperant se per hoc saluari.' ^ Sermo 1 Dom. I post
Pentecosten Bl. 87': ,Sunt et quidam, qui faciunt elemosinam claustrali-
bus de male acquisitis, sperant se per hoc saluare et decepti sunt.
Unde legitur 3 Rg 17, 16, quod coruus Helyam pauit uespere et
mane panem et carnes afferendo. Per Helyam claustrales intelli-
guntur, per coruum auari diuites, qui quandoque pascunt claustrales.
Quodsi coruus Helye putridas carnes obtulisset, certe non recepisset.
Si homo furto uel usura pecuniam acquisitam claustralibus offerat,
non debent eam recipere.'
12. (Der Teufel.) Sermo 2 Dom. III Quadragesimae Bl. 41'^
,Nota quod demones habent sua officia inter se ualde ordinata et in
malum hominum. Est enim unus demon, qui preest superbie id est
Lucifer . . . Iste habet satellites, qui ipsum iuuant; nam ipse est
rex super omnes, super omnes dico demones. Alter uocatus As-
m 0 d e u s , et iste preest luxurie . . . iste odit legitimum matrimonium
et iste habet satellites multos, qui multis modis fornicantur et adulter-
antur-. Tercius uocatur Mammon et iste preest auaricie. Quartus
preest inmundis cogitacionibus et rancoribus et uocatur Beizebub.'
Sermo 2 Dom. XVIII post Pentecosten Bl. 126'^^: ,Ille magister
[diabolus] habet discipulos multos in scolis : reges et principes, milites
et barones, uiros et mulieres, seruos et dominos, literatos et illiteratos.
Et quare habet tot scolares? Quia dat eis modo ad breue tempus
libertatem. Sed ultimo pellet eos in scolam suam et claudet eam in
eternum. Iste magister non percutit modo scolares suos et ideo habet
multos; si enim percuteret, cauerent sibi et ideo non intrarent scolas
suas; modo dimittit eis uoluntatem suam et non corrigit excessus
eorum. Sicut enim magistri nostri temporis faciunt, qui quandoque
dissimulant excessus puerorum ad tempus et postea resumunt, sie iste
magister modo dissimulat excessus puerorum ad tempus et postea
resumit et affliget eos in eternum. Iste magister docet suos disci-
pulos furari , mentiri, occidere, adulterari, fornicari etc. Et qui-
cunque affirmat sc. lectionem suam et seruat eam, oportet quod det
sibi pastucum^ duobus nummis sc. cum corpore et anima. Eya ora
1 Vgl. Bertold a. a. 0. 2 g oben S. 82.
^ Pastucum = pastum oder pastus , Honorar , weder bei Ducange noch bei
Diefenbach.
156 I^I- ^^^ Predigten des Greculus.
Dominum, ut noii discas lectionem huius magistri. Iste magister ita
subtilis est, quod legit unicuique quod libenter audit. Mercatoribus
legit librum auaricie et fraudis. luuenibus legit librum luxurie et
fornicacionis ; mulieribus aliquibus legit librum superbie qua sollicitant
uiros suos de uestibus suis preciosis pulchris ; illam lectionem retinent
alique mulieres usque ad mortem suam. Senibus legitur sie: Senex
es et laborare non potes; tene quod habes. Et sie omnes scolares
sui decipiuntur per ipsum et dampnantur.'
13. (Wie der Teufel ausgetrieben wird.) Sermo 2 Dom. III
Quadragesimae Bl. 42: ,Sciendum quod dyabolus uocatur serpens
Gn 3, 1. Serpens autem naturalis expellitur per quatuor. 1. Per
odorem uinee florentis. Serpens enim naturaliter odorem uinee fugit;
quando quamdiu sunt uinee florentes uix aut nunquam serpens in-
uenitur. 2. Per Sputum ieiuni hominis. Dicit enim Ambrosius ^, quod
tanta est uis sputi ieiuni hominis, quod si serpens gustaverit, statim
moriatur. 3. Expellitur per nudacionem hominis. Dicitur enim in
scolastica hystoria^, quod serpens in hominem uestitum insilit, nudum
uero fugit. Et racio assignatur ibidem: quando deus posuit inimi-
cicias inter hominem et serpentem et semen eins, tunc homo nudus
erat et ideo hominem nudum tamquam inimicum suum fugit. 4. Ex-
pellitur per carmina incantatricis. Quando enim incantari se senciunt^
unam aurem in terram figit, ne audiat, aliam cauda tegit. Per
ista quatuor spiritualiter intellecta quatuor demones expelluntur . . .
Lucifer per odorem uinee florentis id est ueram humilitatem . . .
Asmodeus expellitur per Sputum ieiuni hominis uidelicet per macera-
cionem carnis . . . Mammon expellitur per denudacionem id est tem-
poralium abieecionem et elemosinarum largicionem . . . Beizebub, eicitur
per uerba incantatoris et predicatoris, qui expellit diabolum per predi-
cacionem et doctrinam et oracionem sanctam.'
^ Hexaemeron 1. 6, c, 4 (Migne, P. L. XIV 252): Jeiuni hominis Sputum,
si serpens gustauerit, moritur. Vides quanta uis ieiunii sit, ut et sputo suo homo
terrenum serpentem interficiat, et merito spiritalem.'
^Petri Comestoris Historia scholastica, über Genesis, c. 23 (Migne,
P. L. CXCVIII 1074) : ,Sicut enim venenum serpentis hominem, sie Sputum hominis
ieiuni perimit serpentem. Et quia adhuc (Adam et Eva) nudi erant, serpens modo
hominem timet nudum et fugit et in uestitum insilit.' Vgl. auch Lauche rt 15
242; Peters 80.
^ Hs: ,solent*.
Wie der Teufel ausgetrieben wird. Schlußurteil über die Predigten. 157
Die Predigt des Greculus ist die seit der Mitte des 18. Jahr-
hunderts in Deutschland übliche scholastisch angelegte Spruchpredigt,
deren sich auch Konrad von Sachsen und Frater Ludovicus bedienten.
Ein Vergleich des Greculus mit den genannten Ordensgenossen läßt
aber tiefgreifende Unterschiede in der Ausführung der Themata er-
kennen. Frater Konrad sucht sein Thema theologisch zu vertiefen
und verwendet dafür ein reiches Material aus der Schrift, den Vätern
und aus der asketischen Literatur. Bei Greculus ist die theologische
Begründung im allgemeinen dürftig. Seiner Predigtweise gebricht
auch meist das fruchtbare Eingehen auf die Fehler und Bedürfnisse
der einzelnen Stände, wie wir das bei dem Frater Ludovicus rüh-
mend hervorheben konnten. Hin und wieder bemerken wir freilich
Ansätze dazu, besonders in den Heiligenpredigten, im allgemeinen
jedoch entbehren die Predigten des individuellen Gepräges, welches
die Predigten Bertolds und seines Schülers so anziehend macht. Diese
Mängel können durch die Einfügung zahlreicher exempla nicht wett-
gemacht werden. Denn die letzteren vermögen weder die theologische
Begründung der religiösen Wahrheiten zu ergänzen, noch die lebens-
warme und zu Herzen gehende Anwendung der letzteren auf die ver-
schiedenen Klassen der Zuhörer zu ersetzen.
Wenn nun auch die Predigten des Greculus im Vergleich zu den
Leistungen seiner beiden von uns behandelten Ordensgenossen einen
unverkennbaren Rückgang bekunden, so bieten sie doch noch viel
Lehrreiches und Ansprechendes. Darum galten sie als ein willkommenes
Hilfsmittel für die Prediger. Sie lieferten allerdings keine Muster-
predigten, die wortwörtlich zu verwenden waren, wohl aber genügenden
Stoff in knapper Form und eine Fülle frommer, dem ungelehrten
Prediger willkommener Erzählungen. Man wird sie den Predigten
des Peregrinus gleichwertig zur Seite stellen können. Während die
letzteren durch den Buchdruck weithin bekannt wurden, ruhte die
Arbeit des Greculus bislang unbekannt und ungeschätzt im Schatten
der Bibliotheken.
Eegister der zitierten Handschriften.
Die beschriebenen und exzerpierten Handschriften sind durch fettgedruckte Ziffern angezeigt.
CBg 20 35
36 109 111.
Clm 16026 10 16.
CFl XI 289
107 ff.
16055 123.
342
107 ff.
23385 13 16.
CGraec. 730 13 52 113 129 131.
26 958 10 16 38.
CLb 130 108 112 137.
CLP 496 84 85 92 93 94.
190 13 16 20.
498 93 94 101.
CLinc. 4 67 71 147.
639 50 51.
— Cc IV 22 108.
719 49 ff 137.
Clm 2699
32 86 93.
723 17.
2709
10 16.
CPlg. 220 10.
2946
13 16 21 30 35 38 41.
CPrag. A 16 111.
2950
94 101.
— Vi D. 3 111.
4778
16.
CScot 52 109.
5128
123 130 133 135 141.
CSPH 26. 1. 27 13 16 18.
5187
21.
27. 1. 20 13.
I
5582
111.
CVP 1347 10 16.
5852
51 149 ff.
1645 107 109 112.
!•
7695
13 16 21 38 41.
1710 121.
9
7703
123.
Heiligenkreuzer Hs 218 10
b
i
7789
10 14 21.
Kopenhagener Hs 218 20..
i
7961
69 93 94.
Lilienfelder Hs 95 123.
8953
11.
Lüneburger Hs 57 11.
8967
123.
Osseger Hs 34 109.
1,
12728
10 11.
Reuner Hs 22 13.
?
14752
121 136.
Wilheringer Hs 142 13.
ii
14817
123 124.
i
Berichtigungen:
S. 2 Anm. 1 Zeile 3 und 7 ist zu lesen : Seppelt.
S. 49 Anm. 1 Zeile 10 ist zu lesen: celum.
S. 112 Zeile 10 ist zu lesen: mundicia.
Personen- und Sachregister.
Ablaß 38 39.
Abusiones saecularium 86.
Adel 87 90 99.
Adolf von Nassau 54 80.
Ägypten, Flucht nach 126.
Albertus de Prussia 113 114 130.
Albrecht von Osterreich 54 80.
Alexander IV., Papst 50.
— von Haies 63.
Allegorien aus der Natur 33 146.
Alphabetum narrationum 121.
Altenzelle 17 18.
Antichrist 70 ff.
Antonius, der hl. 135 137.
— von Padua, dessen Predigten und
Predigtweise 2 — 4.
Arme 100 ff.
Armut, klösterliche 37 38.
Arnald von Villanova 75.
Augustinus, der hl. 63.
Barmherzigkeit 127 ff.
Bauern 88 90 92 99 ff.
Beamte 102.
Beicht 131 132.
Benedikt, der hl. 128.
Benefizienjagd 35 36.
Bernadi s. Haustus 151.
Bertold von Regensburg
97 147.
Beschwörungen 152.
2 66 ff 71 ff
Bethlehem 126.
Betrug im Handel 39.
Bonifaz VÜI., Papst 54 80.
Brunopolis (Brunswick) 10.
Bußpredigt 1 2.
Clairvaux 136.
Cölestin IL, Papst 54.
Colonna Jakob und Petrus 54.
Compostela 83.
Conradus de Nyzza 51.
Bämonen 82 83.
Dionysius Areopagita 127.
Dotierung bei dem Eintritt ins Kloster
84.
Eheleute 93 94.
Eremiten 135.
Etienne von Besan9on 121.
— von Bourbon 120 ff.
Exempla in Predigten 121 ff 124.
Feindesliebe 127.
Frauen 92 100.
Frosch, Symbolik 24.
Gresta Romanorum 145.
Glossa ordinaria 24 58.
Handwerker 89 90 92 100.
Hasen Paulus 51.
Hilfsmittel zur Predigt 28 58 145 ff.
Himmel 138 139.
Hölle 142 ff 151.
Honorius IIL, Papst 1.
Hugo de Argentina 63.
Humbert von Romans 120.
Jakob von Vitry 120.
Jakobus de Voragine 148.
Joachim von Fiore 64 ff.
Kaufleute 87 90 92 99.
Ketzer 81 82.
Kirche, Schmuck der 69.
— Verfolgungen der 68.
Kirchenbesuch 151.
Klagen über Strenge der Prediger 84.
Kleriker 35 91.
Knoderer Heinrich, Erzbischof von Mainz
50.
Konsonanzen 26.
Konstantin, Kaiser 60.
160
Personen- und Sachregister.
JLeprosen 128.
Liber miraculorum (lacteus liquor) 123.
Literae fraternitatis 84.
Liturgie in der Predigt 32 ff 94 ff.
Ludovicus Theutonicus 55.
Maria 132 ff.
Martin V., Papst 49.
Menschenmord 152.
Messe 94 ff 136 151.
l^eid 134.
Nikolaus von Bibra 98.
Oktavian 126.
Ordensleute 21 34 37 89 90 92.
Osterfreude 152.
Otto der Große 55 60.
— von Freising 64.
Peregrinus 125 148.
Perikopenordnung 19.
Perioden der Geschichte 60 63—67.
Pluralität der Seelsorgsbenefizien 35.
Pomesanien, Bistum 114.
Predigt, emblematische 24 25 116.
— homiletische 2.
— scholastische 2.
Kaymundi Summula metrica 31 53.
Riesenburg 114.
Roger Bacon 5.
Rudolfus, Minorit 51,
Ruina angelica restauranda 23.
Sakramentsfrevel 129 130.
Salimbene, Frater 65.
Salomo 136.
Schauspieler 153.
Schrifterklärung , allegorische , typolo-
gische 27.
Schriftkenntnis 27.
Schulverse 29-32 59.
Schwarzwälder Prediger 40 ff.
Schweidnitz 137.
Schwerter der Verfolgung und Versu-
chung 62 ff.
Silvester, Papst 60 62.
Soldaten 87 90 91 153.
Spruchpredigt, thematische 22 26 55
116.
— textuale 116.
Strafsen, die sieben 58.
Synodalreden 35 86.
Teufel 134 139 140 155.
— als Schlange 86.
— als Spielmann 83 ff.
— wie er ausgetrieben wird 156.
Tod, guter 137.
— böser 140 ff.
Trier 83.
Tur recrem ata Johannes 14.
Typologie 27 97.
Unbarmherzigkeit 129.
Unbefleckte Empfängnis 14 15.
Unterwelt, Fahrt zur 127.
Verfall der Kirche 60 ff.
Veronikabild 126.
Vision Daniels 67.
Wallfahrten 152.
Wegweiser 153.
Wolf 45.
Wucherer 129 154 155.
Zeiten, die sieben, der Welt 67.
ßV 4208 .G3F75 130/
IMS
Franz^ Adolph^
1842-1916.
Drei deutsche
minoritenprediger aus
BBF-3675 (mcab)
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